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Fast & Furious 7: Gustav Gans hat ein Auto ...

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Mit Fast & Furious 7, respektive Furious 7 (wie er in Nordamerika betitelt ist), findet Universals benzingeladenes Erfolgsfranchise seinen kommerziellen Höhepunkt. Doch nicht nur die Einspielergebnisse können sich sehen lassen, sondern auch die Kritiken dieses autovernarrten Actionabenteuers. Ich möchte erklären, weshalb ich diese Reaktion zwar dulden kann, aber nicht in diesen Reigen der Begeisterung mit einstimme. Dazu muss ich etwas weiter ausholen und über Donald Ducks gelockten Vetter referieren. Keine Sorge, es wird am Ende alles Sinn ergeben ...

Ich liebe es, Gustav Gans zu hassen! Daher möchte ich mir ein Entenhausen ohne den größten Glückspilz der Comicgeschichte gar nicht mehr vorstellen. Vor allem gibt er einen wundervollen Antagonisten ab, denn während Donald ein Erpel ist wie du und ich, steht Gustav stellvertretend für all jene, die scheinbar nichts tun müssen, und dennoch unentwegt von Fortuna geküsst werden. Aber selbst als Verbündeter Donalds ist Gustav, in den Händen der richtigen Disney-Autoren, eine reizvolle Figur. Er kann mit seiner Eitelkeit und seinem unredlich erarbeiteten Selbstbewusstsein als Kontrast zum normaleren Donald dienen, oder mit seinem abartigen Glück als Comic Relief nützlich sein - sofern die Autoren es pointiert nutzen. Anders darf es nicht sein! Man stelle sich bloß vor, es gäbe eine Disney-Heldentruppe, zu der auch Gustav gehört. Es wäre unerträglich, würde er sich einfach strikt auf sein Glück verlassen, wenn ihn die Autoren wie jede andere Figur behandeln würden und sich darauf verließen, dass wir Leser schon noch mitfiebern werden.

Aber erfreulicherweise müssen wir es uns gar nicht vorstellen, wie ein Disney-Heldenteam mit Gustav als Mitglied aussieht. Diese Vereinigung gibt es nämlich bereits: Es sind die Ultraheroes und deren Epos wurde im LTB Premium Nr.1 veröffentlicht. Eben dieser geniale Comic wusste, Gustav dramaturgisch effizient einzusetzen: Partiell wird Gustavs unverschämtes Glück zu komischem Effekt genutzt, teilweise soll Gustav gar bewusst als Unsympath wirken und so für Dramatik sorgen, obwohl seine 'Fähigkeit' ja bei einer schnörkellosen Verwendung jegliche Spannung verhindern würde.

Was aber wäre, wenn es ein Heldenteam gäbe, das nicht aus diversen Figuren inklusive Gustav Gans besteht, sondern ausschließlich aus Kopien von Gustav Gans: Aus einem IT-Techniker-Gustav, einem Cop-Gustav, einem Muskelprotz-Gustav, und so weiter. Die Geschichten dieser Truppe müssten vor Selbstironie triefen und zielsicher Tropoi des Actiongenres auf den Kopf stellen, um vollauf zu funktionieren. Wenn sie keine gepfefferte Persiflage darstellen, wie sollten sie denn unterhalten? Egal, was Gustav versucht, es gelingt. Und weil er sich dessen bewusst ist, bemüht er sich gar nicht erst, bemerkenswerte Pläne zu schmieden. Eine sich als Eskapismus ernstnehmende, also gerade heraus erzählte, auf Kurzweil abzielende Story mit dem Gustav-Team drohe von den ersten Augenblicken an, keinerlei Dramaturgie oder Spannung zu entwickeln. Und wäre somit den Ultraheroes meilenweit unterlegen.

Es ist gar nicht erst notwendig, sich solch eine Story auszumalen. Denn eben dieses Gustav-Gans-Prinzip ist eines meiner Probleme mit der Fast & Furious-Saga. Und obwohl der siebte Teil so manche Qualitäten aufzuweisen hat, wird er auch deutlich von diesem Makel in Mitleidenschaft gezogen.


Ich störe mich überhaupt nicht daran, wenn Figuren in Actionfilmen Situationen nahezu unbeschadet überstehen, die im echten Leben mindestens schwere Blessuren mit sich bringen würden. Und bei solch überdrehten Filmen wie Fast & Furious 7 ist es erst recht unsinnig, sich darüber zu beklagen, was die Figuren so alles überleben. Würden sich solche Filme an den Gesetzen der Physik orientieren, wären sie spätestens nach zehn Minuten zu Ende. Ich gehe ja überhaupt erst in Actionfilme, um überwältigende Dinge zu sehen. Wenn also Vin Diesels muskelbepackte Rolle Dominic Toretto volles Rohr eine Klippe hinunter fährt und dies überlebt, habe ich kein Problem damit. Zumindest nicht damit, dass Toretto seinen waghalsigen Stunt übersteht. Dennoch komme ich mir als Zuschauer vor, als wollten Regisseur James Wan und Autor Chris Morgan mich für dumm verkaufen. Nicht, weil sie denken, ich kaufe Diesel seine übermenschliche Widerstandskraft ab. Sondern weil sie denken, ich bin davon beeindruckt, dass sich eine Figur von einem hohen Punkt hinunterstürzt. Immer und immer wieder.

Die Actionsequenzen in Fast & Furious 7 sind unrealistisch. Nun, das darf ruhig so sein. Was aber nicht sein sollte, ist dass sie nahezu alle auf genau einen Trick hinauslaufen: Die Helden stürzen sich aus großer Höhe und hoffen, dass sie das mit viel Glück überleben. Dieser Trick wird etwas variiert, mal springt Paul Walkers Paraderolle Brian O'Conner mit Vertrauen in seine Fortuna gen Rettung. Mal springt Dwayne Johnson aus einem Hochhaus. Doch besonders oft gibt es in Fast & Furious 7 folgendes zu sehen: Mindestens einer der Helden steckt auf einem hohen Punkt in der Klemme, daraufhin gibt er mit seinem Auto Vollgas und stürzt sich hinunter. Das Glück wird den Wagen mitsamt Insassen schon auffangen!

Prinzipiell sehr eintönig, und umso erfreulicher ist, dass James Wan und Chris Morgan dieses Grundkonzept an der Oberfläche genügend abwandeln, um einer enervierenden Übersättigung an "Ich lasse mich runterfallen und hoffe auf das Beste"-Aktionen vorzubeugen. Gleichwohl verlassen sie sich dermaßen auf diesen Kniff, dass ich mich als Zuschauer einerseits frage, ob den Filmemachern denn nichts anderes einfällt, und dass ich zweitens unfähig bin, mit den Figuren mitzufiebern.

Denn das Aufregende an einem Actionfilm sind ja zu einem bedeutenden Teil auch die Fähigkeiten der Figuren. Ihr Mut, ihr Einfallsreichtum, ihre Findigkeit oder ihre besondere Talente im Kampf. Wenn Jason Statham als Öl beschmierter, halbnackter Transporterer dank seines kämpferischen Könnens einen Haufen Leute fertig macht, bin ich gebannt. Wenn Jack Sparrow in den Palast des Königs verschleppt wird und einen spontanen, gefährlichen Fluchtplan schmiedet, der von ihm verlangt, seine Umgebung zu seinem Vorteil zu nutzen, bin ich gebannt. Auch wenn Indiana Jones einen Flugzeugabsturz erlebt und sich rettet, indem er ein Gummiboot missbraucht, um den Sprung aus dem trudelnden Flieger abzufedern, bin ich gebannt, weil eine smarte Figur eine Idee hat - eine Idee, die zwar nur in einer Filmrealität so wirklich clever ist, trotzdem bin ich engagiert. Genauso, wie ich voller Begeisterung die Avengers in ihrem ersten gemeinsamen Kinofilm bestaune, wenn sie ihre ganz eigenen Fähigkeiten im Teamwork einsetzen, um die Chitauri zu bezwingen,

Wie aber soll ich voller Engagement die Taten der Fast & Furious 7-Protagonisten verfolgen, wenn sie praktisch durchwegs nach dem "Ach, wird schon!"-Gedanken handeln. Und, ach ja, es wird tatsächlich immer! Da kann ich schlicht nicht im Kinosaal sitzen und innerlich jubeln "Wow, dieser Dominic Toretto ist echt ein genialer Actionheld, wow, was der so alles drauf hat!" So beeindruckend die Ideen der Fast & Furious 7-Macher auch sein mögen, Autos aus einem Flugzeug zu schmeißen oder eines zwischen Hochhäuser springen zu lassen, so faul empfinde ich deren Methoden, diese feschen Bilder in einen fesselnden Popcorn-Film zu betten. Die Figuren sind nicht intelligent, schlagfertig, verbissen, brillant im Umgang faszinierender Gimmicks oder Meister im Improvisieren. Dass die Figuren in diesem Film zudem das Wort 'Angst' als Fremdsprachenvokabel erachten, kann ich nicht einmal vor ihrem Mut den Hut ziehen. Im Trailer zum fünften Mission: Impossible-Teil lässt sich Tom Cruises'Überagent Ethan Hunt im Angesicht einer halsbrecherischen Aktion mehr Panik ansehen, als sämtliche Fast & Furious 7-Protagonisten über die gesamte Filmlaufzeit zusammengerechnet. Sie machen ihre irren Sachen nicht, weil sie einen ausgefeilten Plan haben oder gewaltige Cojones in der Hose, sondern weil sie sich, wenn sie sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand stehen, auf ihr Glück verlassen.


Dass mir Fast & Furious 7 trotzdem besser gefällt als ein fiktiver Comicband über die Gustav-Gans-Klon-Avengers, ist insbesondere der Verdienst von Kurt Russell, der aus dem ihm gebotenen Material wahrlich etwas Sehenswertes macht. Der alte Haudegen bringt nicht nur eine coole, dennoch bodenständige Ausstrahlung mit sich, sondern legt seine Rolle völlig anders an als das restliche Ensemble. Es ist so, als sei er vom Set eines besseren, nicht von Grobianen gestützten Actionfilm gewandert und würde einfach nur aus Freude an der Sache mitwirken. Aus seinem Munde klingen die Dialogzeilen, die bei vielen anderen Darstellern wohl unbedeutend wären, wie kollegial gemeinte Seitenhiebe auf das Toretto-Team beziehungsweise die Fast & Furious-Filme: Er trinkt gerne gutes, belgisches Bier, mit einem verschmitzten Grinsen gönnt er Toretto aber auch sein wässriges Proleten-Massenprodukt Corona. Wenn Russell als ominöser Leiter einer Geheimorganisation sich darüber auslässt, dass Toretto, O'Conner und Co. eine sehr eigene (soll hier heißen: sehr stupide) Weise haben, Probleme anzupacken, kichert er süffisant und gratuliert ihnen. Als wolle er mit allem was er sagt und tut Vin Diesels Rolle mitteilen wollen: "Du stehst auf solche Dummheiten? Na gut, ich will dir nichts einreden, entscheidend ist, dass du Spaß hast, ich halt mich raus. Selbst wenn ich schon Kultivierteres mitgemacht habe ..."

Während Russell hervorragend eingesetzt wird, kommen zwei weitere Pluspunkte dieses Films zu kurz: Sowohl Jason Statham als auch Dwayne Johnson bekommen recht wenig zu tun, doch wenn sie genutzt werden, lassen sie mich mit schroffem Charisma und ihrem Können in Mann-gegen-Mann-Kämpfen kurzzeitig aus dem 'Berieselungsmodus' zurückkehren und den Film als geneigten Zuschauer verfolgen. Dass Wan und sein Kamera- sowie Schnitt-Team diese Faustkämpfe nicht etwas ruhiger inszenieren, ist zwar schade, dennoch nimmt die Kamera ausreichend Distanz vom Geschehen, um beim zügigen, nicht überhasteten Schnitt Fast & Furious nicht zu einem völlig konfusen Action-Kuddelmuddel abgleiten zu lassen. Die Faustkämpfe sind zudem in ihrer Gesamtheit überzeugender gehalten als viele der Auto-Stunts. Obschon diese laut diverser Hintergrundmaterialien weitestgehend in echt gedreht wurden, sehen sie in meinen Augen nur selten danach aus. Zu oft sorgen die Farbfilter und die computergenerierten Hintergründe für den Eindruck, dass die Szenen komplett digital kreiert wurden. Vor allem die durchgedrehte Fallschirm-Sequenz und der nicht minder irre Hochhausstunt in Abu Dhabi werden dadurch in ihrer Wirkung gedrosselt, während die im bewaldeten Gebirge Aserbaidschans spielende Verfolgungsjagd dank großem Fokus auf 'gewöhnlicher' Stunt-Fahrerei und übersichtlicher Kameraeinstellugen viel mehr Flair aufweist.

Dank seiner wenigen, aber entscheidenden Pluspunkte hat mich Fast & Furious 7 weder gelangweilt noch genervt, womit er für mich an der franchiseinternen Konkurrenz vorbeidüst. Zwischendurch fand ich ihn sogar ohne die Hilfe von Russell, Johnson und Statham leidlich amüsant. Etwa, wenn Nathalie Emmanuel als aufgeweckte Hackerin die Dynamik der Heldengruppe 'scannt'.

Trotzdem bleibt halt dieses Gustav-Gans-Problem, welches am Hauptelement des Films nagt: den kreativ-unwirklichen Actionszenen. Und ich möchte hiermit gar nicht sagen, dass die Fans dieses Films doof sind und sich schämen sollten, weil sie sich durch das Gänseelement nicht gestört fühlen. Aber vielleicht hilft diese Review begeisterten Fast & Furious 7-Zuschauern, zu verstehen, weshalb nicht alle so denken wie sie. Es ist nicht verboten, Gustav zu seinem Glück zu gratulieren. Doch ich schaue lieber Donald zu, wie er sich abmüht.

Avengers: Age of Ultron

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Es könnte so einfach sein, zu erläutern, was die Marvel Studios und Joss Whedon mit Avengers: Age of Ultron bewerkstelligt haben. Eine kurze und knappe Gegenüberstellung genügt: Age of Ultron verhält sich zu Marvel's The Avengers wie Pirates of the Caribbean: Am Ende der Welt zu Fluch der Karibik. Damit habe ich alles gesagt. Viel Spaß im Kino! Adieu!

Na gut. Ganz so leicht ist es wohl leider nicht. Schließlich ist Am Ende der Welthinsichtlich seiner Rezeptionsgeschichte ein ziemlich schwieriger Film. Einerseits steht er mit einem Einspielergebnis von 963,4 Millionen Dollar deutlich stärker da als Käpt'n Jack Sparrows 658,3 Millionen Dollar schweres erstes Leinwandabenteuer. Andererseits ist der dritte Teil der Piratensaga mit einem IMDb-Durchschnittswert von 7,1 Punkten ein gutes Stück unpopulärer als das mit 8,1 Punkten bewertete Original. Und die professionellen Rezensionen erst: Während Teil eins nahezu einhellig umjubelt wurde, spaltete der dritte Teil die Gemüter: Harsche Kritik, vollkommene Gleichgültigkeit und verhaltener Positivismus hielten sich nach Kinostart nahezu die Waage. Dann wiederum gibt es jene eloquente Minderheit, die Am Ende der Welt energisch über den grünen Klee lobt. Wie etwa Filmkritiker Mark Sinker, der Gore Verbinskis bislang kostspieligste Regiearbeit in die renommierte Sight & Sound-Rangliste gehievt hat, oder Filmprofessor Henry Jenkins. Dieser sieht die über den Rand der Welt hinausführende Reise als Höhepunkt der ursprünglichen Trilogie an und feiert sie als transmediales Entertainment in Höchstform.

Angesichts einer derart schizophrenen Rezeptionsgeschichte muss ich meinen "Age of Ultron ist wie Am Ende der Welt"-Vergleich wohl genauer erläutern ... Zunächst ist mein Vergleich keineswegs als qualitative Einschätzung beabsichtigt, laut der beide Werke gleich gut sind. Er ist eher als persönlich gefärbte Zeugenaussage gemeint. Denn zwischen den beiden Filmen bestehen gewaltige Parallelen. Sie sind eng verwandt hinsichtlich ihrer Art des Geschichtenerzählens und ihres Tonfalls. Und sie gleichen sich dahingehend, wie sie sich vom Erstling (hier gemeint: Fluch der Karibik und Marvel's The Avengers) entfernen und sogar in ihrer Optik haben sie vergleichbare Ansätze. 


Um das Pferd (den Roboter? den Windjammer?) von hinten aufzuzäumen: Am Ende der Welt und Age of Ultron teilen sich keine Schauplätze. Allerdings teilen sie die Mentalität, im Gegensatz zum jeweiligen Original Orte zu besuchen, die in ihrem Genre weniger naheliegend sind. Fluch der Karibik ist ein Piratenfilm, der in der Karibik spielt, inklusive Schatzhöhle, weißem Sandstrand und einer historisch weitestgehend akkuraten Hafenstadt. Der Endkampf in Avengers derweil spielt, wie es sich für einen Superheldenfilm wohl gehört, in Manhattan, und auch der militaristische Helicarrier ist ebenso wie das S.H.I.E.L.D.-Quartier kein Schauplatz mit völlig ungewohnter Ausstrahlung. Am Ende der Welt unterdessen führt unsere Karibik-Piraten unter anderem in einen versifften Hafen in Singapur, quer durchs ewige Eis, ins Reich der Toten und in eine Stadt, die aus zerstörten Segelschiffen erbaut wurde. Thematisch und atmosphärisch alles angebracht für ein Fantasy-Piratenepos, trotzdem ist es weit, weit davon entfernt, generisch zu sein. Age of Ultron geht nicht ganz derart verschrobene Wege wie das von Ted Elliott und Terry Rossio erdachte, rumgetränkte Abenteuer. Dessen ungeachtet erhält das neue Superhelden-Aufeinandertreffen sehr viel seines Flairs dadurch, dass Joss Whedon nicht stets die für ein US-Superheldenspektakel offensichtlichsten Orte besucht.

Verstärkend kommt hinzu, dass Whedon und Guardians of the Galaxy-Kameramann Ben Davis selbst filmisch bereits ausgeloteten Schauplätzen wie Johannesburg etwas Frisches, Ungewöhnliches abringen: Sie filmen die südafrikanische Metropole nicht wie District 9-Macher Neill Blomkamp in allem Detailreichtum ab, sondern fangen Johannesburg (und sämtliche weiteren Kampfplätze) expressionistisch ein. Mit kräftigen, teils anaturalistischen Farben und starker Linienbetonung distanzieren sie die Hintergründe von Avengers: Age of Ultron zumindest ein Stück weit unserer Realität. Sie werden abstrahiert, um ein komplexes Spiel mit der Handlung und dem Gemüt der Figuren einzugehen, ohne aber die Avengers je völlig unserer Welt zu entreißen und zu einer kosmischen Comicheft-Chaostruppe wie die Guardians of the Galaxy zu formen. Die Marvel Studios erheben dank Whedons Inszenierung, Davis' Lichtsetzung und der subtil-außergewöhnlichen Produktionsgestaltung von Charles Wood, Ray Chan und Domenico Sica die Avengers-Geschichte stattdessen nach langem Warten zu einer Mythologie. Genauer gesagt zu einer nerdig-verqueren Mythologie, die ihre (mehr und mehr ins Verborgene kehrenden) Wurzeln in unserem Alltag hat.

Womit sich die nächsten entscheidenden Parallelen zwischen Am Ende der Welt und Age of Ultron aufdrängen. Denn beide Filme bieten an der äußersten Oberfläche eskapistische Unterhaltung im Stile des jeweiligen Originalfilms – bloß um ein Vielfaches pompöser (sowohl im Hinblick auf die Laufzeit als auch hinsichtlich des Tumults in den Actionszenen) und dramatischer: Es steht mehr auf dem Spiel und es geht mehr zu Bruch! Sobald man sich als Betrachter aber nicht einfach nur von den überwältigenden Bildern berieseln lässt, eröffnet sich eine Narrative, die gänzlich neue Horizonte eröffnet als die ursprünglichen Produktionen. Fluch der Karibik ist hauptsächlich daran interessiert, ein Swashbuckler mit launigem, übernatürlichem Element zu sein. Und Marvel's The Avengers verlässt sich (zu äußerst vergnüglich-mitreißenden Ergebnissen) auf den "Wow, viele coole Superhelden müssen an einem Strang ziehen!"-Faktor.

Joss Whedons zweite Marvel-Mission hingegen schert sich, genauso wie Verbinskis 300-Millionen-Dollar-Mammutproduktion, kaum mehr um Einsteigerfreundlichkeit und lässt zudem viele der im Popcornkino üblichen Stützen fallen. Beide Filme setzen darauf, dass sich Kinogänger entweder gänzlich ohne Widerrede auf eine wilde Reise mitnehmen lassen oder dass sie genau der Erzählung folgen. Klassisch-offensichtliche Plot-Exposition und die ausführliche, unmissverständliche Erläuterung sämtlicher Spielregeln der jeweiligen Filmuniversen werden dagegen ausgelassen. Gelegenheitsnörgler und Zuschauer, die zwar gewisse Ansprüche an den Plot stellen, aber angesichts der immensen Materialschlachten nicht jedes minutiöses Detail aufsaugen wollen, lassen Am Ende der Welt und Age of Ultron also mit einer selbstbewussten Attitüde außen vor. Entweder betrachtet man die Filme als cineastisches Feuerwerk oder als ausgefeilte Mythen mit opernhafter Tragweite und komplexen Mechaniken, die im Hintergrund ablaufen und so dem simplen Grundplot zusätzliche Dimensionen verleihen. Ein halbherziges "Ein bisschen Story, ein wenig Krawall!" ist da als Betrachtungsweise nicht vorgesehen.


In weiser Voraussicht gestaltet Joss Whedon den zentralen, stets vorantreibenden Plot von Avengers: Age of Ultron simpel genug, damit er in seiner rudimentärsten Ausführung ganz leicht verfolgt werden kann: Die problemfreie Zeit der Avengers nimmt ein jähes Ende, als Tony Stark eine Künstliche Intelligenz namens Ultron erschafft, die den Begriff 'Weltfrieden' sehr radikal interpretiert und daher dringend gestoppt werden muss. Aber ganz oberflächlich betrachtet handelt Am Ende der Welt ja auch nur davon, dass der Ära der Piraterie ein brutales Ende droht, weshalb die berüchtigsten aller Piraten vereint werden müssen, ehe sie sich ihren extrem fähigen Widersachern stellen. Und trotzdem finden sich zahllose professionelle Kritiken, laut denen das Epos "schwer verständlich", "verwirrend", "überreizend und kompliziert" oder schlicht undurchschaubar "kopflastig" sei. Was auch daran liegt, dass jede der Figuren ihre eigene geheime Agenda hat und eine eigene Hintergrundgeschichte mitbringt, deren Verständnis für den groben Gesamtüberblick kaum von Bedeutung ist, dafür umso mehr Relevanz hat, möchte man begreifen, wie die zahllosen Zahnräder dieses verflochtenen Handlungskonstrukts ineinander greifen.

Avengers: Age of Ultron ist da kaum anders. Wer bei diesem mit überragenden Effekten bespickten filmischen Ritt durch eine faszinierende Comic-Mythologie nicht nur die spektakuläre, abwechslungsreiche Action bestaunen und über die raffinierte Dialog- und Situationskomik lachen will, bekommt ein minutiös ausgearbeitetes Geflecht aus Charaktermotivationen und innerhalb des Filmkosmos geltenden Legenden geboten. Bei dieser Bandbreite an Figuren, Orten, Artefakten und Ereignissen den Überblick über sämtliche Zusammenhänge zu bewahren ist im Anbetracht der umwerfenden Schauwerte, des zügigen Erzähltempos und der niedrigen Anzahl an "Erklärpausen" nicht das Einfachste in der jüngeren Popcorn-Kinogeschichte. Unnötig verschachtelt ist Age of Ultron dank des zielsicheren Storytellings aber auch nicht. Dieses Crossover ist bloß reich an Elementen, die das Erlebnis bereichern. Umso faszinierender, dass der Film bei komplett zurückgelehnter Zuschauerhaltung problemlos funktioniert. Noch erstaunlicher, und reizvoller, ist aber das Seherlebnis, wenn man sich in Gänze auf diesen durchgeknallten Mythos mit einem unvergleichlichen Helden-Quartett, einer beängstigend-charismatischen Killer-Intelligenz mit Charakterschwächen sowie einem übernatürlichen Zwillings-Duo einlässt. Denn diese energische, selbstbewusste Maschine von einem Film läuft wie geschmiert! Sämtliche Elemente beeinflussen andere Aspekte des Films, selbst das Kostüm- und Requisitendesign dient dazu, Lücken innerhalb des 'Marvel Cinematic Universe' zu schließen. Und wirklich jeder Avenger steht mit seinen Teammitgliedern auf einer Augenhöhe, was die charakterlichen Feinheiten angeht. Ebenso ist die Detailliebe, mit der Whedon und das Ensemble den Kampfstil, das Humorverständnis und das Verhalten der Figuren in dramatischen Momenten voneinander abgrenzen.

Hinzu kommen die beneidenswerte Selbstverständlichkeit, mit der Avengers: Age of Ultron sein nerdiges Anderssein innerhalb der Blockbuster-Welt nach außen kehrt, und die Art wie grundehrlich Whedon den dramatischeren Tonfall in die Erzählung einwebt, ohne je den Spaßfaktor zu gefährden. Und nicht zuletzt daher lässt sich der elfte 'Marvel Cinematic Universe'-Film als das bislang seltsamste Biest innerhalb seines Rasters bezeichnen. Es ist zugleich das imposanteste und facettenreichste. Und ich gönne ihm in jeglicher Hinsicht einen massiven Erfolg. Den Schneid, in diesem Genre und bei exorbitanten Produktionskosten darauf zu verzichten, jedes einzelne Publikumsmitglied so fest anzuschnallen, dass es auf keinen Fall verloren geht, muss man erst einmal haben. Erst recht, wenn sowohl ein atmosphärisch dichtes, weit verzweigtes Filmuniversum gestaltet wird und dann obendrein die Geschichte ebenso elegant wie tolldreist eine ganze Tonleiter an Stimmungen durchläuft.

Nicht zu vergessen: Dank virtuoser Regieführung, einem grandiosen Ensemble, spaßig-abwechslungsreicher Action die ausnahmslos von Relevanz ist und feschen Sprüchen bleibt Avengers: Age of Ultron darüber hinaus verdammt unterhaltsam. Aber, wow, mit seiner Mischung aus opernhafter Seele und exzentrischen Verwicklungen ist dieser Film auch äußerst verschroben. Glücklicherweise hat Marvel sein Publikum fest in der Hand. Vielleicht erhält Age of Ultron daher nun all die Anerkennung, die ich schon Am Ende der Welt gegönnt habe?

Die Pinguine aus Madagascar

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Die Madagascar-Trilogie gehört zu den ganz großen Rennern in der Welt des Animationsfilms. Weltweit spülte das Franchise aus dem Hause DreamWorks Animation über 1,88 Milliarden Dollar in die Kinokassen und allein in Deutschland verkaufte das tierische Quartett Marty, Alex, Melman und Gloria mehr als 16,75 Millionen Eintrittskarten. Mit ihrem immensen Publikumserfolg geben die launischen Zootiere so manchem Trickfilmliebhaber jedoch auch Rätsel auf. So auch mir. Denn die chaotischen Komödien rund um die aus dem New Yorker Zoo ausgebüxten Cartoonhelden haben weder die Spitzfindigkeit der ersten Shrek-Teile, noch haben die Hauptfiguren solch eine gewinnende Persönlichkeit wie die zentralen Helden in Drachenzähmen leicht gemacht.

Dass die Madagascar-Streifen dennoch zu überragenden Selbstläufern wurden, ist wohl zu nicht unerheblichem Teil vier schwarz-weißen Nebenfiguren zu verdanken: Den unberechenbaren, leicht durchgeknallten Pinguinen. Schon in Teil eins wurden sie zu wahren Publikumslieblingen, in Part zwei überflügelte ihr spritziger Subplot mühelos die eigentliche Story und auch in Teil drei sorgten sie für herzliche Lacher. Kein Wunder, dass das eingespielte Team bestehend aus Skipper, Rico, Kowalski und Private bereits seit 2008 in seiner eigenen Fernsehserie zu sehen ist. Da das quirlige, mit ungeheuerlich hohem Tempo vorgehende Format Die Pinguine aus Madagascar bewies, dass die watschelnden Vögel auf eigenen Füßen stehen können, fiel 2011 der Startschuss für die Produktion eines Pinguin-Kinofilms. Dieser orientiert sich trotz mancher Anspielungen auf die Madagascar-Filme näher am Tonfall der Nickelodeon-Fernsehserie, was einige Pluspunkte mit sich bringt – aber auch den einen oder anderen Wermutstropfen.

Bevor die eigentliche, während Madagascar 3: Flucht durch Europa spielende, Handlung einsetzt, blicken die Regisseure Simon J. Smith (Bee Movie) und Eric Darnell (Madagascar 1 – 3) einige Jahre zurück und erzählen vom ersten Abenteuer der Seevögel: Die drei Pinguin-Kinder Rico, Skipper und Kowalski hinterfragen als einzige in ihrem Umfeld das eintönige Dasein, das ihre Artgenossen in der Antarktis führen. Als ein Ei dem nahezu sicheren Verderben entgegen kullert, bricht das starrköpfige Trio aus der Monotonie aus und setzt alles dran, dieses Ei zu retten. Nach allerlei turbulentem Slapstick und bissigen Begegnungen mit einem sensationsgierigem Dokumentarfilm-Team ist es in Sicherheit: Rico schlüpft und komplettiert als süßer Knirps das dem Kinogänger bereits bestens bekannte Pinguin-Team.

Zehn Jahre später machen Truppenführer Skipper (Stimme: Tom McGrath/Michi Beck), das vermeintliche Genie Kowalski (Chris Miller/Thomas D) und der wortkarge, verfressene Rico (Conrad Vernon/And.Ypsilon) ihrem Freund Private (Stimme: Christopher Knights/Smudo) ein ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk: Einen (mit perfekt sitzenden Filmreferenzen gespickten) Einbruch in das US-Goldlager Fort Knox. Währenddessen kommt es jedoch zu Komplikationen, die Private wiederum vor Augen führen, dass er von seinen Weggefährten nicht als gleichwertiges, unverzichtbares Mitglied dieser Teilzeit-Geheimagenteneinheit betrachtet wird.

Eine Gelegenheit, seine Sorgen anzusprechen, hat Private nicht, denn in Fort Knox gerät das Quartett in die Fänge des manischen Oktopus Dave (John Malkovich/Ilja Richter). Dieser hat über Jahre hinweg einen Hass auf Pinguine entwickelt, weil diese mit ihrem knuffigen Auftreten weniger süßen Tieren jegliche Aufmerksamkeit stehlen. Nun aber hat er eine Geheimwaffe entwickelt, die es ihm ermöglicht, liebliche Tierchen in abscheuliche Kreaturen zu verwandeln. Aufgrund dieser Erfindung ist der Geheimdienst Nordwind hinter dem wahnsinnigen Schurken her. Und so kommt es zwischen den Pinguinen und Nordwind zum stetigen Zank um die Zuständigkeit in diesem Fall …

Der Die Pinguine aus Madagascar-Kinofilm hat paradoxerweise sowohl sehr viel Plot als auch sehr wenig Handlung: Zwar werden sehr viele Geschichten angeschnitten, die allesamt Auslöser für ihre ganz eigenen Gags sind, doch keiner dieser Plots wird sonderlich tief ausgelotet. Am ehesten schröpfen die Autoren John Aboud, Michael Colton und Brandon Sawyer Privates Wunsch nach Anerkennung, aber selbst dieser Handlungsfaden wird durch bewusst dick aufgetragene Zeilen von ihnen gelegentlich auf den Arm genommen.

Was der storytechnisch keine Überraschungen wagenden 132-Millionen-Dollar-Produktion an emotionaler Tiefe mangelt, macht sie durch ihr rasantes, an klassische Looney Tunes-Verrücktheiten erinnerndes Gagfeuerwerk wett. Ob origineller Wortwitz, denkwürdig alberne Dialoge (etwa die wiederholten Diskussionen der Pinguine über die Aussprache oder Bedeutung diverser Begriffe), gekonnte Popkulturreferenzen oder herrlicher Cartoon-Slapstick: In den rund 90 Filmminuten bleibt kaum ein Auge trocken, da nahezu jede Humorfarbe bedient wird.

Durch die zahlreichen, nicht sonderlich ausgeloteten Handlungsfäden will zwar nur selten echtes Kinofeeling aufkommen, wenn das von den Pinguinen ausgelöste Chaos aber leinwandfüllende Ausmaße annimmt, dann so richtig. Ob eine halsbrecherische, urkomische Verfolgungsjagd durch Venedig, der bereits in Teilen im Trailer gezeigte Sprung der Pinguine aus einem Flugzeug oder das ungezügelte Finale: Die Pinguine aus Madagascar will gar nicht erst am technischen Kräftemessen zwischen Disney/Pixar und DreamWorks Animation teilhaben, sondern mit seiner Farbenfreudigkeit, Energie und Lockerheit bestechen. Was nicht heißen soll, dass die Animation in dieser Produktion völlig ambitionslos ist: Der glitschige, wendige und andauernd theatralische Posen einnehmende Superschurke Dave sollte für jeden Animationsliebhaber eine wahre Freude sein. Dass er obendrein dank einer fantastischen Sprechperformance (egal ob im Original durch einen amüsierten John Malkovich oder im Deutschen durch den begnadeten Synchronsprecher Ilja Richter) die wohl lustigste Figur im Film ist, ist bei der vitalen Animation fast schon zweitrangig.

Die Geheimorganisation Nordwind derweil bleibt fast durchgehend blass: Der Eisbär Corporal (Peter Stormare/Dennis Schmidt-Foß) und die Robbe Kurze Lunte (Ken Jeong/Michael Pan) sind eher Ballast für das zügig-tumultatige Abenteuer, auch Schneeeule Eva (Anna Mahendru/Conchita Wurst) bleibt kaum in Erinnerung. Allein der Nordwind anführende Wolf (Benedict Cumberbatch/Heino Ferch) verleiht dem Film mit seiner Selbstverliebtheit und Technikbesessenheit zusätzlichen Witz und eine gewisse Würze. Somit gilt bei Die Pinguine aus Madagascar dennoch das Gegenteil zu dem, was bei der Madagascar-Trilogie festzuhalten war: Hier sorgt der Großteil der Figuren ununterbrochen für Lacher, während nur einzelne Randcharaktere den Spaß ausbremsen.

Bleibt die Frage, weshalb diese Trickkomödie im Kino weit unter den Erwartungen abschnitt: In den USA wurden rund 50 Millionen Dollar weniger eingespielt als die vorsichtigsten professionellen Prognosen besagten, auch im Rest der Welt erhofften sich viele Branchenbeobachter mehr. Vielleicht haben einige ältere Kinogänger ihn aufgrund der Konnotation mit der Nickelodeon-Familienserie unfairerweise als 'Kinderkram' abgetan? Oder lag es daran, dass doch mehr Filmfreunde die Madagascar-Hauptfiguren vermisst haben, als es Leute wie gedacht hätten? Für mich steh jedoch fest: Verdient ist dieser Misserfolg nicht!

Fazit: Mit seiner Unverblümtheit und hohen Gagfrequenz hat es Die Pinguine aus Madagascar ganz versiert auf die Lachmuskeln seiner Zuschauer abgesehen. Alles andere, etwa Plot, Logik und Charakterentwicklung, ist nur Geheimsache, äh, Nebensache.

Mommy

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Der kanadische Filmemacher Xavier Dolan ist ein wahres Wunderkind. Mit seinen 25 Jahren müsste er eigentlich als Newcomer gelten. Tatsächlich gehört er allerdings, wenn man so will, zu den erfahrenen Meistern seines Fachs: Seit 2009 veröffentlichte der arbeitswütige Regisseur, Autor, Schauspieler und Cutter fünf Langfilme, die allesamt auf Filmfestivals für großes Aufsehen sorgten und nahezu einstimmige Lobeshymnen von Kritikern und Cineasten erhalten haben. Mit Mommygelang ihm endgültig der Aufstieg in die obere Regiegarde: Auf den Filmfestspielen von Cannes 2014 gewann das Drama den Preis der Jury, womit Dolan altehrwürdige Konkurrenz wie Ken Loach, Jean-Luc Godard oder Mike Leigh ausstach.

Und dies völlig verdient. Denn mit Mommy gelang dem Kanadier ein intellektuell-kunstvoll ausgearbeitetes, hochemotionales Familiendrama, das sich mit authentischem Blick zwischenmenschlichen Problemen nähert. Dieses ist in einer nahen, hypothetischen Zukunft angesiedelt, in der ein Gesetz es Eltern gestattet, die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder einem speziellen Krankenhaus zu übertragen, sollten sie sich körperlich oder geistig bedroht fühlen. Abseits dieses in einer einleitenden Texttafel erläuterten Aspekts wirkt Mommy dagegen so, als hätten sich die Protagonisten aus nostalgischen Überbleibseln der späten 90er-Jahre und der ersten Jahre nach der Jahrtausendwende einen emotionalen Schutzwall gebaut.

So scheinen der Modesinn und weite Teile der sozialen Gepflogenheiten der alleinerziehenden Diane Després (Anne Dorval) in ihren Jugendjahren stehengeblieben zu sein. Die riesige Ohrringe tragende, auf den Rufnamen „Die“ hörende Witwe benutzt so viel Schminke wie eine rebellische 14-Jährige, die glaubt, mit ihrem knalligen, pseudo-aufreizenden Outfit als 17 durchzugehen. „Die“ hat einen hyperaktiven pubertierenden Sohn namens Steve (Antoine-Olivier Pilon), der sich aufgrund seiner Gewaltexzesse mehrmals Ärger mit dem Gesetz einbrachte. Als Steve in einer besonderen Schuleinrichtung für psychisch kranke Heranwachsende einen seiner Mitschüler schwer verletzt, wird er der Institution verwiesen und in die alleinige Obhut seiner Mutter übergeben. Diese befindet sich fast unentwegt auf Jobsuche, was ihre Geldreserven nahezu komplett aufgebraucht hat. Schon allein daher kann sie sich den Stress und den Zeitaufwand, Steve von Zuhause aus zu unterrichten, nicht leisten.

Dass Steve dank seiner hochkochenden Hormone nun ungehaltener ist denn je, macht alles nur noch schlimmer. Zum Glück lernt „Die“ aber Nachbarin Kyla (Suzanne Clément) kennen, eine langfristig beurlaubte Lehrerin, die aufgrund eines grausamen Vorfalls traumatisiert ist und seither stottert. Die gutmütige, ebenso schüchterne wie geduldige Kyla greift „Die“ so gut sie nur kann unter die Arme und freundet sich auch mit Steve an. Die Balance, die Kyla in das Leben des verdrießlichen Mutter-Sohn-Gespanns bringt, ist aber sehr fragil …

Xavier Dolan unternimmt mit Mommy einen waghalsigen Drahtseilakt, denn er erlaubt Steve und „Die“, sich wie reale Menschen aus der oberen Unterschicht zu verhalten. Er verzichtet ebenso auf das Filmvergnügen erleichternde, klischeebeladene Kunstgriffe, wie auf eine beschönigende Charakterzeichnung oder auch eine klare Trennung zwischen „gut“ und „böse“. Mommy ist kein simples Drama über einen missverstandenen Raufbold, der seiner Mutter beweist, dass sie nur lernen muss, das Gute in ihm zu sehen. Genauso wenig ist es strikt als inspirierende Charakterstudie über eine eifrige Mutter aufzufassen, die ihren aggressiven Sohn zähmt. Stattdessen sind der unter ADHS leidende Bube und seine nie so ganz aus der Pubertät entwachsene Mutter in ihrem Verhalten überaus real – und damit erschreckend unvorhersehbar. Beide können unfassbar vulgär, störrisch und laut sein, nur um wenige Filmminuten später einfühlsam und selbstlos zu agieren, wodurch sie ihre Liebe zueinander zum Ausdruck bringen.

Mommy ist als filmisches Konstrukt daher ähnlich fragil wie der Haussegen der Familie Després. All zu leicht könnte aus dem authentischen Wankelmut einer ausgebrannten Mutter und eines hitzköpfigen Sohnes eine narrative Willkür werden. Ohne Weiteres könnten das ständige Gezeter und die impulsiven Handgreiflichkeiten den Zuschauer unwiderruflich von den Després' abbringen, so dass die herzliche Seite des Films jegliche Wirkung verliert. Im Gegensatz zu den glückseligen Momenten, die bei Steve, „Die“ und Kyla sehr rar gesät sind, hält Dolans Glanzstück aber sämtlichen Widrigkeiten stand. Und dies, obwohl eine zu strenge Geste, ein melodramatischer Dialog oder eine forcierte Kameraeinstellung alles zerstören könnte, was Dolan hier mühevoll aufgebaut hat. Dass dies nicht passiert, zeugt von der Präzision, mit der das cineastische Nachwuchsgenie das Geschehen in Szene setzt, sowie von der fesselnden darstellerischen Kraft der drei zentralen Schauspieler.

Der bestechendste Kniff Dolans ist es, Mommy im außergewöhnlichen Bildformat 1:1 zu filmen. Das quadratische Format ist nicht bloß beklemmend, und lässt das Publikum somit intensiver am einengenden Gefühlsdilemma der Figuren teilhaben, sondern zwingt den Betrachter zugleich, sämtliche Aufmerksamkeit auf die gefühlsgeladenen Darbietungen zu lenken. Alles andere verschwindet, egal, wie wichtig es vielleicht ist. Der Cast ist den damit einhergehenden Anforderungen mehr als bloß gewachsen: Die atemberaubende Anne Dorval vereint jede nur erdenkliche Facette einer alleinerziehenden Mutter, macht ihre Wut und Verzweiflung ebenso glaubwürdig und greifbar wie ihre Hoffnungen, Wünsche und eben jene unbeschwerten Augenblicke, die sich ihr im Laufe der am Zuschauer vorbeirauschenden 134 Minuten so selten erbieten.

Antoine-Olivier Pilon steht seiner Leinwandmutter in nichts nach. Obschon er Steves Aggressionsschübe mit solch einer Wucht vermittelt, dass es einem angst und bange werden kann, lässt er stets auch einen verletzlichen, überlasteten Kern durchschimmern. Er macht aus diesem Rüpel – und Steve ist unmissverständlich ein kleines Ekelpaket – einen Fall, den man nicht aufgeben will. Zu deutlich ist es, dass seine Pubertät, seine schwierige Vergangenheit und seine psychische Erkrankung unglücklich zusammentreffen und Steve eigentlich ein lieber Kerl sein will – was sich zum Beispiel zeigt, wenn er zu einem optimistischen Céline-Dion-Klassiker tanzt oder seiner Mutter beim Karaoke einen Andrea-Bocelli-Schlager widmen möchte.

Suzanne Cléments Rolle der Kyla ist zwar längst nicht so komplex, trotzdem besticht auch sie mit intensiven Sequenzen. Besonders lange bleibt ihr Zusammenspiel mit Pilon alias Steve hängen, dem sie mehrmals die Stirn bieten muss. In ihrer heftigsten Auseinandersetzung macht Dolan meisterhaft Gebrauch vom 1:1-Format, zoomt direkt auf das Profil der sich ankeifenden Figuren – und macht so jede einzelne nervöse Zuckung, aber auch die Entschlossenheit Kylas ersichtlich. Aber nicht nur die Darbietungen und die versierte Kameraführung lassen Dolans Drahtseilakt gelingen. Die mal bezaubernd-naive, mal tragisch-doppelbödige Untermalung dieses Familiendramas mit eingängigen Popsongs verleiht diesem Akt den letzten Schliff, macht ihn noch eindringlicher. Und so vollbringt Dolan es, dass man sich als Zuschauer nicht mehr von diesen Charakteren lösen möchte, denen er im wahren Leben wohl den Rücken kehren würde. Denn sie sind uns oftmals näher, als wir wohl jemals zugeben würden.


Fazit: Erstklassige Schauspieler, Figuren, die den Zuschauer herausfordern, und ebenso magische wie bedrückende Momente, wie aus dem Leben gegriffen: Mommy ist schroff, hoch emotional, brillant.

Nightcrawler

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Obwohl Jake Gyllenhaal mit Donnie Darko einen großen Kultfilm in seiner Vita hat, für Brokeback Mountain bereits eine Oscar-Nominierung einheimste und er zudem dank des Big-Budget-Abenteuers Prince of Persia: Der Sand der Zeit als LEGO-Figur verewigt wurde, gilt der 1980 geborene Schauspieler noch immer nicht als ganz große Marke in Hollywood. Weshalb, ist schier unerklärlich. Denn der begnadete Bruder der ebenfalls sehr talentierten Maggie Gyllenhaal (Crazy Heart) liefert seit mehreren Jahren regelmäßig beachtliche Darbietungen ab. Nach dem rauen Found-Footage-Actiondrama End of Watch und dem hochspannenden Sebstjustizdrama Prisionersbegeisterte Gyllenhaal zuletzt im surreal angehauchten PsychothrillerEnemy, den er mit einer filigran gezeichneten Doppelrolle aufwertete.

Diesen beeindruckenden Lauf toppt der Studienabbrecher jedoch mit der besten Schauspielleistung seiner bisherigen Karriere: Im Zentrum des medien- und gesellschaftssatirischen Kriminalthrillers Nightcrawlerzeichnet er das einnehmende Psychogramm eines psychosozial gestörten Einzelgängers, der sich im Haifischbecken der US-Nachrichtenbranche nach oben arbeitet. Und in eben dieser Rolle weiß Gyllenhaal nicht nur darstellerisch zu verblüffen und auf düstere Weise zu unterhalten, sondern auch zu verstören.

„Stell dir eine schreiende Frau vor, die eine Straße entlang rennt – mit durchschnittener Kehle.“
Getrieben vom Kampf um die Quote sowie vom immer härter werdenden Wettstreit mit den neuen Medien werden die US-Lokalfernsehnachrichten immer skrupelloser. Die Folge dessen: Obwohl die Kriminalstatistiken einen beruhigenden Abwärtstrend belegen, steigt in der Bevölkerung die Angst vor Gewaltverbrechen. Denn durch die reißerische, pausenlose Berichterstattung der TV-News entsteht ein Gefühl der permanenten Bedrohung. Zu verdanken haben die Nachrichtenmacher ihr Bildmaterial unter anderem sogenannten Nightcrawlern, freischaffenden Reportern, die nachts Jagd auf spektakuläre Aufnahmen machen. Sie hören den Polizeifunk ab und ziehen in Großstädten ohne Unterlass ihre Kreise, um bei einem Unfall oder Verbrechen idealerweise noch vor der Polizei und den Sanitätern vor Ort zu sein. In dieser kompetitiven Subkultur journalistischen Schaffens werden Schnelligkeit und Dreistigkeit belohnt, ebenso wie ein Mangel an ethischen Bedenken.

In diesem desensibilisierten Markt entstehen Newsmagazine wie das der erfahrenen Nachrichtenchefin Nina (effizient: Rene Russo), die auf Anfrage ihre Sendung ohne mit der Wimper zu zucken als Horrorszenario beschreibt: „Stell dir eine schreiende Frau vor, die eine Straße entlang rennt – mit durchschnittener Kehle.“ Autor und Regiedebütant Dan Gilroy (Das Bourne Vermächtnis) befasst sich in Nightcrawler damit, was passiert, wenn sich dieser amoralischen, zügellosen Branche ein von der Welt entfremdeter Einzelkämpfer wie Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) anschließt.

Lou ist zu Beginn des Films ganz unten angekommen: Ohne feste Anstellung und ohne Bestimmung hangelt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Notgedrungen vertickt der überaus eloquente, gleichwohl unterkühlte, im zwischenmenschlichen Kontakt peinlich berührte Tagelöhner Metallreste, die er auf der Straße findet oder gelegentlich auch mal stiehlt. Als der Nachtschwärmer aber mitansieht, wie der Kameramann Joe Loder (Bill Paxton) die dramatische Rettung einer Frau aus ihrem Autowrack filmt, glaubt Lou, seine Berufung entdeckt zu haben. Mittels Internetkursen erlernt er eilig das Handwerk des TV-Journalismus und macht sich bald darauf mit einem günstig erworbenen Camcorder ans Werk. Technisch besteht bei ihm zunächst viel Luft nach oben, aber Lous Anpassungsfähigkeit verhilft ihm dennoch zu einem Engagement für Ninas auf wackligen Beinen stehendes Nachrichtenformat.

Daran, dass diese unheilige Ehe nicht gut gehen kann, lässt Gilroy keinerlei Zweifel entstehen. Dies bedeutet aber nicht, dass Nightcrawler ohne Suspense auskommt. Viel mehr gewinnt die Story ihre Spannung aus dem unwohlen Gefühl, das sich ab dem ersten Aufeinandertreffen zwischen Nina und Lou einstellt. Denn obwohl klar ist, dass Schlimmes geschehen wird, so ist lange Zeit nicht abzusehen, in welche Richtung sich Ninas und Lous Zusammenarbeit entwickelt – wer ist der Wolf und wer ist das Lamm?

"Lou verkörpert am Anfang der Geschichte die entfremdete, junge Generation mit düsteren Zukunftsaussichten. Statt Karriere und Vollzeitarbeit haben Sie nur noch Praktika und Mindestlohn zu erwarten. Ich will die schreckliche Wahrheit aufzeigen, dass nicht Lou das eigentliche Grauen ist, sondern die Welt, die ihn geschaffen hat und für sein Handeln belohnt." - Regisseur und Autor Dan Gilroy

Ein grausames Produkt seiner Welt
Mehr noch als die Anspannung, die durch das verschlagene Skript entsteht, fesselt in Nightcrawlerjedoch die preisverdächtige schauspielerische Leistung Jake Gyllenhaals, der sich völlig in seiner Rolle verliert. Er kreiert mit Lou einen der packendsten Anti-Helden der vergangenen Kinojahre, ohne sich dabei auf die üblichen Manierismen solcher Figuren zu verlassen. Mit mechanisch vorgetragenen Monologen, weit hervorstehenden, neugierigen Augen und kontrollierter Mimik und Gestik ist Lou nicht nur faszinierend befremdlich, sondern lässt auch unausgesprochen eine Erklärung für sein Verhalten zu. Lou trampelt nicht auf den Gefühlen seines Umfelds herum, weil er raffgierig ist. Und er misst der Perfektion seiner Kameraaufnahmen nicht etwa einen höheren Wert als der Pietät zu, weil er seinen Anstand runter schluckt. Lou hat ganz klar eine psychosoziale Störung, befindet sich irgendwo auf dem breiten Spektrum an Asperger-Erkrankungen – er kann keine Gefühle deuten, er ist ohne neuen Input unfassbar gelangweilt und dafür umso engagierter, wenn er Informationen verarbeiten oder möglichst akkurat wiederholen kann.

Dies entschuldet Lou nicht für seine im Namen des TV-Journalismus getätigten Verletzungen ethischer Regeln, allerdings macht ihn dies viel interessanter, als es schiere Habgier würde. Zumal sein kindliches Strahlen, wann immer er einen perfekten Kamerawinkel gefunden hat, ihm lange all seinen Taten zum Trotz ein Minimum an Sympathie sichert. Er ist einfach zu froh, endlich etwas gefunden zu haben, das er wirklich beherrscht und für das er entlohnt wird, als dass er von vornherein dafür verurteilt werden könnte. Dass er moralische Grenzen übertritt, welche er ja eh nicht begreift, ist schlussendlich auch Schuld seiner Auftraggeber – immerhin verlangen sie immer derberes Material. Trotzdem macht Gyllenhaal seinen Soziopathen nie zu einem verkannten Helden – dank kleiner Gesten unterstreicht er unentwegt, dass Lou jemand ist, der in seinem Streben nach Effizienz keinen Makel erkennt und dem man sich daher besser nicht anvertrauen sollte.

Obwohl Gyllenhaals Performance allein reichen würde, um Nightcrawler zu einem Pflichfilm für jeden zu machen, der sich für Journalismus und/oder Antiheden interessiert, trumpft Gilroys Medienthriller auch mit starker Bildästhetik auf. Kameramann Robert Elswit (There Will Be Blood) kreiert großartige Nachtaufnahmen, mit glänzenden Farben und tiefem, sattem Schwarz, die aus dem nächtlichen Los Angeles einen gleichermaßen visuell ansprechenden wie atmosphärisch einschüchternden Ort machen. Komponist James Newton Howard derweil unterstützt tatkräftig die zweischneidige Stimmung des Films, indem er grausige Szenen mit coolen E-Gitarren-Riffs untermalt, während harmlosere Momente durch ruhigere, schaurigere Musik beklemmend werden.

So lassen sich auch ohne Weiteres die einzelnen, kleinen Schwächen von Nightcrawlerverschmerzen. Zum Beispiel ist Lous Assistent Rick (Riz Ahmed) vergleichsweise blass geschrieben, weshalb seine Szenen den immensen Drive dieses Films leicht ausbremsen. Ganz verzichtbar ist diese Figur indes nicht, ist Rick doch wichtiges Element mehrerer Szenen, die Nightcrawler um ein nachhallendes Element bereichern. Denn Gilroys satirische Seitenhiebe enden nicht allein bei blutgeifernden Lokalnachrichten. Nightcrawlerattackiert den Stand des Journalismus an sich sowie die Zahlungs- und Ausbildungsmoral, die sich generell in vielen Branchen ausbreitet. Diese Mentalität ist schlussendlich der wahre Schurke in diesem Ausnahmefilm. In einem Arbeitsmarkt, der einer ganzen Generation von Jobsuchenden keine langfristigen Aussichten ermöglicht und der eine Ellenbogenmentalität befürwortet, sind wir bedrohlich nah daran, Tausende Lou Blooms heranzuzüchten. Und kaum jemand hat genügend Anstand, etwas dagegen zu unternehmen …


Fazit:Nightcrawler ist spannend, unheilvoll sowie bitterböse. Und Jake Gyllenhaal gibt die beste Leistung seines bisherigen Lebens!

The Voices

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Magenta, Missgeschicke, Mord, Miau. Die US-amerikanisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion The Voices ist ein manischer, mutiger Mischmasch aus Gemütszuständen. Daher wird sie sich schwer tun, ein Publikum zu finden. Für eine Komödie ist sie zu nachdenklich, für ein Drama ist sie zu abstrus-ulkig und für einen Horrorfilm ist sie nicht schaurig genug. Gerade diese tonale Schizophrenie, die gewiss einige Zuschauer verschrecken wird, ist jedoch zugleich eine große Stärke von The Voices. Denn Regisseurin Marjane Satrapi (Persepolis) und Drehbuchautor Michael R. Perry (Paranormal Activity 2) schwanken mit beachtlicher Zielstrebigkeit zwischen munteren und finsteren, absonderlichen und nachdenklichen Momenten hin und her. Und nähern sich dadurch eindrucksvoll dem Thema ihres Films. In dessen Mittelpunkt steht nämlich der unscheinbare Außenseiter Jerry, der unter Schizophrenie leidet und Hauptdarsteller Ryan Reynolds zu einer neuen Karrierebestleistung anspornt.

Der in einer abgeschiedenen, leicht dem Puls der Zeit hinterherhinkenden US-Kleinstadt lebende Jerry könnte kaum unscheinbarer sein: Fleißig geht er in einer Sanitärfabrik seinem Tagwerk als Verpacker nach, ohne je engere Bande mit seinen Kollegen zu knüpfen oder sich alternativ mit ihnen anzulegen. Nach Dienstschluss tauscht er seinen magentafarbenen Overall gegen unauffällige Jedermannsklamotten, geht allein Essen oder stapft direkt in seine Wohnung direkt über der örtlichen Bowlingbahn. Dort erwarten ihn sein Kater Mr. Whiskers, der mit seinem Herrchen umspringt wie es ihm beliebt, und sein Hund Bosco, eine gutmütige Seele, die dem einsamen Jerry stets Trost spendet. Und das nicht allein durch seinen treuseligen Blick, sondern auch mit Worten: Denn seit Jerry eigenmächtig die Psychopharmaka abgesetzt hat, die ihm seine Psychotherapeutin Dr. Warren (Jacki Weaver) verschrieben hat, hört er, wie seine Haustiere mit ihm sprechen. Während Mr. Whiskers mit rotzfrechem Mundwerk Jerry wahlweise runtermacht oder zu ungezogenem Verhalten anzustiften versucht, übernimmt Bosco die Rolle eines etwas schwerfälligen, geduldigen Engels. Als Jerry sich vornimmt, die Büroschönheit Fiona (Gemma Arterton) um ein Rendezvous zu bitten, erhält er von Bosco den erhofften Rückhalt. Dann aber geht der gemeinsame Abend furchtbar schief - und Mr. Whiskers fordert sein Herrchen auf, dies zum Anlass zu nehmen, seine finstere Seite auszuleben ...

Möchte man The Voices unbedingt mit einem Genrelabel versehen, so lässt sich die neuste Arbeit von Marjane Satrapi am ehesten als 'tragikomische Psycho-Groteske mit vereinzelten Horrorelementen' bezeichnen. Klingt zunächst sperrig, ist es auf gewisse Weise auch. Denn Satrapi, die ihren auf dem Studio-Babelsberg-Gelände entstandenen Film mit harmonischer Dudelmusik und einem dezent-makaberen Zeichentrickvorspann eröffnet, ist spürbar wenig daran interessiert, ein angepasstes Werk abzuliefern. Als Zuschauer muss man schon ein Faible fürs Absonderliche mitbringen und/oder durch Reynolds' vielschichtige Darbietung gefesselt werden, um Zugang zu The Voices zu finden. Gerade diese Herangehensweise ist es, durch die The Voices für den geneigten, sich diesem geistreichen Wahnwitz stellenden Zuschauer aber erst so denkwürdig wird. Denn mittels unentwegter narrativer Tonfallwechsel ist die Geschichte des in eine mordsmäßige Tragödie versinkenden Jerrys schwer vorhersagbar und konfrontiert das Publikum zudem schonungslos mit seinen Moralvorstellungen. Der sich in immer größere Schwierigkeiten manövrierende Jerry erregt gleichermaßen Mitleid, Abneigung, Gleichgültigkeit, Sorge um ihn und sogar Respekt vor ihm, all dies von Szene zu Szene wechselnd und dank des kurzweiligen, aber unterschwellig überraschend einsichtsvollen Drehbuchs stets fundiert.

Es gibt zahlreiche Filme, die sich mit kaputten Psychen beschäftigen, und es herrscht nicht einmal ein Mangel an guten Vertretern, dennoch ist The Voices wahrlich einzigartig: Die komödiantischen Sprengsel, allen voran die sketchartigen Gespräche zwischen Jerry und seinen Haustieren sowie sämtliche Momente die Satrapis Vision des Kleinstadtlebens offenbaren, meiden es, sich über Jerry lustig zu machen. Sofern Mr. Whiskers aber nicht gerade etwas sagt, das dermaßen falsch ist, dass man einfach lachen muss, lädt The Voices auch nicht ein, mit Jerry zu lachen. Stattdessen sind die humoresken Passagen durch und durch abstrus bis grotesk und somit diatanzierend. Sie sind zumeist sehr kurzweilig, zeugen von Einfallsreichtum und erleichtern den Einstieg in dieses Psychopathen-Psychogramm, da sie den Eindruck einer irrealen Geschichte erwecken. Aber je weiter The Voices voranschreitet und die Abgründe hinter den nie endenden bizarren Einfällen absteckt, desto glaubwürdiger, echter wird die Hauptfigur. Dies führt dazu, dass die spaßige Oberfläche von The Voices weit von unserem Alltag entfernt scheint, während der emotionale Weg Jerrys nahegeht. Ryan Reynolds zeichnet mit traurig-verängstigt-schüchternem Blick, erschreckendem Comedy-Timing und zielstrebigem Gestus einen faszinierend-komplexen Charakter, der ungewöhnlich genug ist, um inmitten Satrapis exzentrischer Inszenierung zu bestehen, der gleichzeitig aber so lebensnahe Gefühle hat, dass einem immer wieder das Lachen im Hals stecken bleibt. Zuweilen schwingt sich Jerry dank Reynolds' instinktiver Leistung gar zu einer astreinen Identifikationsfigur auf - bloß um wenige Sätze später effektiv an Slasher-Schurken zu erinnern.


Das breiteste Gefühlsspektrum deckt The Voices jedoch ab, sobald der Protagonist engere Bande mit einer weiteren Kollegin knüpft: Nachdem es mit der von Arterton ebenso selbstbewusst-arrogant wie witzig gespielten Fiona übel endete, geht Jerry auf die schüchterne, durch frühere Beziehungen verletzte Lisa zu. Diese wird von Anna Kendrick auf gewohnt zuckersüß-sympathische Weise gespielt, kitzelt aber glaubwürdig zuvor ungeahnte Seiten wach, die Jerry innewohnen. Aufgrund dessen unterbrechen Satrapi und Michael R. Perry die Schilderung des zuvor so schlichten Date-Abends durch einen Rückblick auf Jerrys Kindheit. Durch die Sound- und Schnittarbeit ist dieser wie aus einem Horrorfilm entliehen, aufgrund der Verletzlichkeit darlegenden Dialoge traurig und dank des Kontexts hochdramatisch - all dies, ohne die Gelegenheit für kleine grotesk-komische Elemente verstreichen zu lassen.

The Voices verdient, zumindest von jenen, die sich auf seine den Inhalt stützende atmosphärische Heterogenität einlassen können, schon allein aufgrund der Orchestrierung der Tonfallwechsel großen Respekt. Hinzu kommt, dass die Filmemacher ihre ausführlichen Recherchearbeiten zum Thema Geisteskrankheiten ebenso unaufdringlich, wie effektvoll ins fertige Werk einfließen lassen. Diese rabenschwarze Tragikomödie erhebt nie den Anspruch, ein Lehrbeispiel abzubilden, gleichwohl greifen sämtliche Aspekte von Jerrys Umfeld und Persönlichkeit so plausibel ineinander, dass spätestens in den finalen 15 Minuten die grausam simple Wahrheit auf das Publikum einbricht: Es ist einfach, für Unglücke einen Schuldigen ausfindig zu machen, allerdings machen wir es uns den Umgang mit diesen Schuldigen all zu einfach. Sei es rückblickend oder zu einem Zeitpunkt, an dem wir noch hätten eingreifen können.

So beeindruckend The Voices seine thematischen Elemente auch darbietet, sei es erzählerisch oder durch die farbenkräftige Produktionsgestaltung, rundum makellos ist natürlich selbst dieser Film nicht. Zu den Stolpersteinen zählt etwa die Animation, die ermöglicht, dass Mr. Whiskers seinen Mund bewegt, aber nur in Profileinstellungen rundum überzeugen kann. Und so engagiert Gemma Arterton auch spielen mag, ist ihre Figur längst nicht mit den besten Dialogzeilen des Films gesegnet.

Jedoch wäre da noch der vor Originalität platzende, zunächst so befremdliche Abspann. Sitzenbleiben macht sich hier außerordentlich bezahlt, denn wenn Reynolds ein letztes Mal gen Kamera schaut, dringt dieser Blick fast schon ins Innere des Zuschauers vor. Und dieser darf daraufhin entscheiden, ob er kopfschüttelnd versucht, The Voices als haarstäubend abzutun. Oder ob er sich Jerrys Blick stellt - und allem, was in ihm mitschwingt. Gänsehaut nicht ausgeschlossen!

Entengeschnatter: Avengers Assemble!

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Die gesamte Filmwelt spricht über Avengers: Age of Ulton. Nur wir nicht. Wir sind nostalgisch drauf, sofern man das bei Filmen sagen kann, die weniger als zehn Jahre alt sind, und blicken auf Phase eins des Marvel Cinematic Universe zurück. Ist Iron Man so toll, wie ihn alle in Erinnerung haben? Welche Stärken hat Der unglaubliche Hulk?

Und mit welchem Film wurde ich zum Fan der Marvel-Eigenproduktionen? Diese und weitere Fragen behandle ich mit Antje und Stefan im aktuellen Entengeschnatter!

TinkerBell und die Piratenfee

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Und plötzlich kommt alles Schlag auf Schlag: Ursprünglich sollte rund ein Jahr nach Kinostart von Das Geheimnis der Feenflügel ein fünftes abendfüllendes TinkerBell-Abenteuer auf die große Leinwand fliegen. Doch dann verkündet der Disney-Konzern, dass Planes den US-Starttermin des nächsten Feenfilms erhält. Kurz darauf die nächste Nachricht, die den Anhängern der Nimmerland-Reihe den Tag verregnet: TinkerBell und die Piratenfee soll entgegen früherer Ankündigungen der vorletzte Film über das Reich der geflügelten Grazien werden. Mitarbeiter der DisneyToon Studios geben zu Protokoll, dass die geplanten siebten und achten TinkerBell-Filme eingestellt wurden, weil die Studioleitung mit den Verkaufszahlen an Feen-Merchandising sowie mit den Einnahmen der TinkerBell-Filme unzufrieden ist.

Das Marketing für den neuen Film bekommt einen veränderten Anstrich. Es wird ein deutlich größerer Fokus darauf gelegt, dass Piraten die Handlung mittragen und dass es sich um ein Prequel von Peter Pan handelt, während der ganze "TinkerBell und ihre Feenfreunde"-Ansatz in den Hintergrund tritt. Der zwiegespaltene Lohn dessen? Während an den Kinokassen ein hauchdünnes Minus gegenüber Teil 4 der Reihe verbucht wird, geht es beim Verkauf des 'Disney Fairies'-Merchandisings wieder aufwärts.

Es ist eine Zwiespältigkeit, die dem Film angemessen ist. Denn nach dem grauenvollen dritten Teil und dem soliden vierten Part der Feensaga lässt sich TinkerBell und die Piratenfee qualitativ irgendwo zwischen seinen beiden direkten Vorgängern verorten. Die Grundidee ist dabei das Stärkste an diesem Nimmerland-Abenteuer: Feenglanzverwalterin Zarina rebelliert, ähnlich wie ihre Freundin TinkerBell, gegen die ihr auferlegten Regeln und experimentiert damit, wie sich die Kraft des magischen Stabs ausbauen lässt. Dies führt jedoch zu einer kleinen Katastrophe, weshalb Zarina aus dem Tal der Feen verbannt wird. Einige Zeit später schleicht sich Zarina während eines großen Fests zurück ins Tal, um eine große Dosis Feenglanz zu stehlen. TinkerBell und ihre Freunde erwischen Zarina dabei, woraufhin sie die Gruppe wohlmeinender Feen verzaubert: Ihre Kräfte werden vertauscht, weswegen sie bei der Hatz nach Zarina gehörig ins Hintertreffen geraten. Umso dramatischer, dass Zarina mit einer Bande Piraten, angeführt von Käpt'n Hook, gemeinsame Sache macht ...

So bahnt sich eine zweifache Geschichte über Wiedergutmachung an: Zarina muss die Folgen ihres Diebstahls bereinigen, TinkerBell und Konsorten müssen ihren Fehler korrigieren, Zarina wegen eines Unfalls sogleich ins Exil ziehen zu lassen. Aus dieser Dopplung macht das Autorenteam rund um Jeffrey M. Howard, Kate Kondell, John Lasseter, Peggy Holmes, Bobs Gannaway, Jeffrey M. Howard, Lorna Cook und Craig Gerber jedoch herzlich wenig: Ehrliche Emotionen und glaubwürdige Reue bleiben in TinkerBell und die Piratenfee völlig aus, genauso wie der Kräfte-Vertausch-Kniff bestenfalls in eine kleine Handvoll Schmunzler mündet, die Figuren aber weder nennenswerte Lektionen lernen, noch das Fähigkeitenkuddelmuddel für kesse oder spannende Aktionen nutzen.

Tiefpunkt von TinkerBell und die Piratenfee ist aber die Darstellung des Peter-Pan-Erzschurken Käpt'n Hook: Das Design ist völlig charakterlos und die Mimik beschämend unnuanciert. Im englischsprachigen Original kann Loki-Darsteller Tom Hiddleston wenigstens einen Hauch Kompensationsarbeit leisten und Hook eine spaßig-einschüchternde Note beigeben, die deutsche Synchronfassung indes versagt beim fiesen Kapitän völlig. Der von ihm und seiner Mannschaft angestimmte Song ist wiederum in jeglichen Sprachfassungen jenseits von Gut und Böse: Eine seelenlose Melodie, grausig-dumme Texte und schräger, keinen Seeräubercharme aufzeigender Gesang. Die gesungenen Lieder im TinkerBell-Franchise sind oftmals schwach, aber selten so mies wie hier.

Auch visuell reicht der Piratenfilm nicht an das vorhergegangene Wintermärchen heran. Zumindest partiell: Die Szenen auf hoher See und/oder im güldenen Abendlicht erhalten durch Überbeleuchtung und ein Übermaß an weichen Konturen einen sehr billigen, undetaillierten Charakter. Dafür wissen die Nachtszenen zu begeistern: Stimmiger Licht- und Schattenwurf und ein Gespür für aussagekräftige Kompositionen sorgen dafür, dass zwischen den Tag- und Nachtszenen ein Unterschied herrscht wie ... naja, Tag und Nacht halt. Ein weiterer großer Pluspunkt ist die Figur der Zarina, die für eine Fee aus dieser DisneyToon-Studios-Reihe relativ facettenreich in ihrer Persönlichkeit, und das fesche Design sowohl ihrer Frisur als auch ihrer Kleidung hebt sie deutlich von ihren Feen-Kolleginnen ab.

Zusammen mit dem Knuffigkeitsbonus sämtlicher Szenen, in denen das Baby-Krokodil vorkommt, das eines Tages zu Hooks wandelndem Albtraum werden soll, sowie der für das junge Zielpublikum angemessen-aufregenden Kampfchoreographie im Finale rettet sich TinkerBell und die Piratenfee noch davor, hier eine klare See-Warnung, äh, Sehwarnung zu erhalten. Die anvisierten Zuschauer werden für etwas mehr als 70 Minuten auf solidem Niveau bespaßt, wenngleich nie sonderlich gefordert. Ältere Animations- und/oder Disney-Fans derweil müssen sich durch einen lahmen Mittelteil kämpfen, bekommen sonst aber akzeptablen Feenzauber geliefert. Faustregel: Wer die ersten TinkerBell-Filme nicht mochte, kann auch dieses Abenteuer ignorieren. Wer wenigstens mit ein paar Teilen dieser Reihe etwas anfangen kann, wird sich nicht langweilen und dann und wann auch schmunzeln.

Der nächste Teil der Reihe schlägt dann wieder qualitativ ganz andere Töne an ...

Entengeschnatter: Marvel Phase zwei - weitestgehend

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Weiter geht unser bunter Reigen an Marvel-Diskussionen. Dieses Mal sprechen Antje, Stefan und Sidney über die kontroverse Mandarin-Darstellung in Iron Man 3, die Stärken und Schwächen von Thor – The Dark Kingdom und natürlich über Guardians of the Galaxy. Ach ja, dieser zweite Film über Cap wird natürlich auch thematisiert …

TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest

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Es gibt zwar keine größere Disney-Ikone als Micky Maus höchstpersönlich, jedoch finden sich in der Trickfamilie des Traditionskonzerns zahlreiche weitere Figuren, die vom Unternehmen gewissermaßen in eine Botschafterposition gedrängt werden. Mickys vom Pech verfolgter Freund und Teilzeit-Konkurrent Donald etwa ist solch eine Figur, insbesondere dank seiner Popularität in Comicform. Und dann wäre da beispielsweise noch TinkerBell, respektive Naseweis, wie sie in der deutschen Synchronfassung des Zeichentrickmeisterwerks Peter Pan genannt wird. Seit 1954 leistet TinkerBell tüchtig ihren Dienst als fliegendes, Feenstaub hinterlassendes Maskottchen in Vorspannsequenzen zu Walt-Disney-Fernsehsendungen, in Themenpark-Werbespots oder in Werbetrennern auf Disney-Videokassetten sowie -DVDs. 2005 erhielt die flatterhafte Fee sogar ihr 'Disney Fairies' betiteltes eigenes Franchise, welches zahlreiche Bücher sowie Mengen an Merchandising umfasst.

Als Flaggschiff dieses Franchises wurde jedoch eine Reihe an Direct-to-DVD-Trickfilmen auserkoren. Der erste Teil dieser kinderorientierten Saga, ganz simpel TinkerBellgenannt, erschien dank umfangreicher Probleme und Auseinandersetzungen hinter den Kulissen erst im September 2008 – und sorgte daraufhin für großes Staunen. Entgegen aller Befürchtungen erwachsener Disney-Liebhaber traf die Heimkino-Produktion nicht nur den Nerv des Kinderpublikums, sondern wusste auch ältere Zuschauer mit ihrem gewaltigem Charme zu verzaubern. Die Fortsetzungen schieden dagegen, zumindest unter Trickfilmfreunden abseits des Grundschulalters, die Geister. Einige kamen super an, andere dürftig. Offenbar hätte in den Augen Disneys der Erfolg beim jungen Publikum ebenfalls größer ausfallen dürfen: Im Oktober 2013 drang an die Öffentlichkeit, dass die Arbeiten an einem siebten und achten TinkerBell-Film eingestellt wurden. Mitarbeiter der verantwortlichen DisneyToon Studios gaben im Zuge dessen zu Protokoll, dass ihre Chefs mit den Einnahmen des Franchises unzufrieden sind.

Der sechste Film aber wurde noch vervollständigt und gelangt, wie schon der vierte und fünfte Part dieser Reihe, in die Kinos ausgewählter Disney-Märkte – darunter Deutschland. Und nach den qualitativen Aufs und Abs, die das grün gekleidete Feenmädchen seit 2008 durchgemacht hat, hätte es keinen besseren (vorläufigen?) Abschluss geben können: Denn TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest fliegt mühelos an die Spitze der Feenfilm-Charts!

Die abenteuerlustige und daueroptimistische Tierfee Emily liebt sämtliche Wesen bedingungslos, ganz gleich, wie bedrohlich sie aussehen mögen. Ihre Impulsivität bringt Emily aber auch regelmäßig in Schwierigkeiten – etwa, wenn sie die Regeln der Feengesellschaft missachtet, um selbst gefährlichen Tieren in der Not zur Seite zu stehen. Als Emily einmal mehr zu sehr ihrem Herzen folgt, ringen ihr TinkerBell und ihre weiteren Freundinnen ein Versprechen ab: In Zukunft soll sie ihr Handeln kritischer überdenken. Alsbald stößt Emily allerdings auf ein sagenumwobenes, pelziges und mit Fangzähnen ausgestattetes Ungetüm namens Nimmerbiest. Dieses bringt, so besagt die Legende, Unheil und Verderben über das Tal der Feen. Emily jedoch ist vom zotteligen Geschöpf fasziniert – erst recht, da es sich verletzt hat und Hilfe benötigt. Also wirft Emily ihren Vorsatz über den Haufen und kümmert sich um den von ihr 'Grummel' getauften Fellträger, der ein völlig undurchsichtiges Verhalten an den Tag legt …

Wie sich bereits aus obiger Plotzusammenfassung ableiten lässt, müsste der Titel dieses mit 76 Minuten Laufzeit erfrischend kompakten Märchens korrekterweise Emily und die Legende vom Nimmerbiest lauten. Und dies ist ein spätes Novum dieser Trickfilmsaga: Zwar gehört es zum Konzept der TinkerBell-Filmreihe, dass in jedem Teil ein anderer Bewohner der Disney-Feenwelt vermehrt Zeit im Rampenlicht verbringen darf, bislang war TinkerBell dennoch der unbestrittene Mittelpunkt des Geschehens. In dieser Geschichte dagegen wird TinkerBell zu einer untergeordneten Nebendarstellerin degradiert. Junge wie alte Fans der erfinderischen sowie aufbrausenden Blondine sollten daher aber nicht verzagen oder TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest gar mit der kalten Schulter strafen. Denn das kurzweilige Zusammenspiel des titelgebenden Nimmerbiests und der großherzigen Emily ist viel zu goldig, als dass sich aufgrund der verschobenen Feen-Rangordnung Unbehagen einstellen könnte.

Einerseits wäre da die Stärke der Animation: Mit flinker Gestik und einem unbeholfen-schiefen Lächeln wirkt Emily wie eine Mischung aus typisch amerikanischer Unschuld vom Lande (man denke an Judy Garland oder Dawn Wells) und einem zeitgemäß-frechen Charmebolzen wie Jennifer Lawrence. Der gleichermaßen tapsige wie eigentümliche Grummel dagegen ist eine faszinierende Kreuzung aus zahllosen realen wie fantastischen Tieren. Während ältere Zuschauer über die für diese Filmreihe ungewohnt komplexen Bewegungsmuster Grummels staunen dürfen, zieht das Biest junge Zuschauer aus ganz anderem Grund in seinen Bann: Mit einem flauschigen Pelz und niedlichen Macken erweckt es einen freundlichen Anschein, mit seinen giftgrünen Augen und einer unheimlichen Kraft sorgt es gleichwohl für Misstrauen – diese undurchschaubare Art Grummels macht ihn zu einem spannenden Leinwandwesen, dessen wahres Ich enthüllt werden will.


Andererseits trumpft TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest damit auf, wie das Autorenteam rund um Steve Loter, Tom Rogers (Das Geheminis der Feenflügel), Robert Schooley & Mark McCorkle (Kim Possible) und Kate Kondell (TinkerBell und die Piratenfee) von dem Verhältnis zwischen Fee und Biest erzählt: Die ungleiche Beziehung der beiden Figuren entfaltet sich völlig frei von Hektik und nimmt immer wieder bedeutsame Wenden. Die Autoren zeigen sowohl herzliche und lustige Höhen als auch traurige und Spannung schürende Tiefen. Somit wird das junge Publikum beiläufig dazu angeregt, zwischen Kopf- und Bauchentscheidungen abzuwägen und zudem selbst nachzudenken, ob Emily korrekt handelt. Eine so ausdifferenzierte, die ganz jungen Kinogänger fordernde (doch nicht überfordernde!) Erzählweise dürften Eltern von dieser Reihe nicht gewohnt sein – umso mehr lässt es sich verschmerzen, wenn die Erwachsenen im Finale ihre kleinen Begleiter etwas fester halten müssen. Der Schlussakt wagt sich nämlich über die Komfortzone bisheriger TinkerBell-Geschichten hinaus und lässt es mit Blitzen, Donner und einschüchternden Bildern äußerst atmosphärisch und dramatisch angehen.

All zu gruselige Formen nimmt diese feenhafte Erzählung aber niemals an: Regisseur Steve Loter hat dank des Disney-Serienklassikers Kim Possible und des DreamWorks-Fernsehspaßes Die Pinguine aus Madagascarmassenhaft Erfahrung darin, sein Zielpublikum mit Action zu fesseln, ohne es durch zu harsche Entwicklungen zu verschrecken. Loters Handschrift lässt sich aber nicht bloß im turbulenten Finale erkennen, sondern genauso in den harmonischeren Momenten zuvor: Zwar versackt wie in sämtlichen TinkerBell-Filmen auch hier der eine oder andere Wortwitz, insgesamt sind die Dialoge aber deutlich pointierter, genauso wie die knuffige Situationskomik viel erquicklicher als zuvor daherkommt. Des Weiteren fällt auf, dass die gesungenen Lieder, in all ihrer übertrieben-kindlichen Fröhlichkeit bis dato ein Schwachpunkt dieser Filmreihe, unerwartet ansprechend geraten sind – und das in den Kinos optionale 3D ist geradezu magisch. Zusammen mit der wie eh und je fabelhaften Instrumentalmusik aus der Feder von Joel McNeely würde all das bereits reichen, um TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest zum absoluten Höhepunkt dieses DisneyToon-Studios-Franchises zu machen.

Aber dann ist da noch der herausragende Prolog, der behutsam und herzergreifend von der Bedeutsamkeit wahrer Freundschaften und dem Vorgang des Abschiednehmens handelt. Eben dieser hebt TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiestsogar auf Augenhöhe mit einigen Evergreens der 'großen' Walt Disney Animation Studios – selbst ohne Berücksichtigung der Metaebene. Schon für sich genommen sind die letzten Augenblicke dieser liebenswerten Trickproduktion Grund genug, den lieben Kleinen vor Rührung die Taschentücher zu reichen (und sich vielleicht auch selbst eins zu nehmen). Darüber hinaus lässt sich der Schluss von TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest jedoch als womöglich letzte Verbeugung der Macher vor ihren Zuschauern verstehen: Vielen lieben Dank fürs Zuschauen. Vielleicht geht es eines Tages weiter – ansonsten: Es war schön mit euch!


Fazit: Goldige Animationen, schöne Melodien und eine ungleiche Leinwand-Freundschaft, die zu Herzen geht: TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest ist ein unvergleichlich beflügelndes Feenmärchen für Junge und Junggebliebende.

Entengeschnatter: Das Schöne daran ist die Unvermeidlichkeit!

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I’ve Got No Strings to Hold Me Down

Nach zwei Podcasts über diverse ‘Marvel Cinematic Universe’-Filme machen wir uns nun an die große Nummer heran: Avengers – Age of Ultron! Ist das bombastische Spektakel besser als Avengers? Wie stehen Bianca, Antje, Stefan und Sidney zu den Sexismusvorwürfen, die sich Joss Whedon aufgrund seines Drehbuchs anhören musste? Und wie schneidet Ultron im Vergleich zu anderen Marvel-Fieslingen ab? Dies und mehr in unserem XL-Podcast!

Magic in the Moonlight

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Woody Allen wird einfach nicht müde: Jahr für Jahr bringt der New Yorker einen neuen Film in die Kinos. Bei einer solchen Produktivität müsste es jedoch mit Hexerei zugehen, wäre jede einzelne Regiearbeit des intellektuellen Neurotikers ein Volltreffer. Und auch wenn Allens jüngstes Projekt von übernatürlichen Spielchen handelt, ist die Filmografie des Oscar-Preisträgers kein Hexenwerk. Denn auf jeden besonders gelungenen Film des 78-Jährigen folgt im Regelfall ein besonders schwaches Werk. So zuletzt in den Jahren 2011 / 2012: Während Midnight in Paris ein absolutes Glanzstück darstellt, kam im Folgejahr mit To Rome With Loveeine regelrechte Gurke in die Lichtspielhäuser. Da 2013 der Kinowelt die brillante Tragikomödie Blue Jasmineeinbrachte, ist es naheliegend, erneut eine dürftige Leistung Woody Allens zu erwarten. Diese Erwartungen trügen allerdings: Das unaufdringliche Lustspiel Magic in the Moonlightist durch und durch … nett.

Die Geschichte ist im Sommer 1928 angesiedelt: Der Erste Weltkrieg liegt nunmehr zehn Jahre zurück und Westeuropa befindet sich in einem beachtlichen Wirtschaftsaufschwung. Generell herrscht eine neue Weltsicht vor, weite Teile der Gesellschaft sind offener und kulturell interessierter als noch in den Jahrzehnten zuvor. Vor lauter Lebensfreude sieht niemand, welch deprimierenden Umwälzungen sich in Bälde mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem politischen Rechtsruck anbahnen sollten. Zynismus findet in den Goldenen Zwanzigern kaum statt. Selbst der Bilderbuchzyniker Stanley (Colin Firth) konzentriert seinen Missmut ganz und gar darauf, dass er übernatürliche Ereignisse als Schwindel offenbart. Der Brite entlarvte bereits zahlreiche Scharlatane und wird aufgrund dieser Erfolgsquote von seinem alten Kupferstecher Howard (Simon McBurney) an die französische Côte d'Azur zitiert. Dort hat sich die junge Sophie (Emma Stone) mitsamt ihrer Mutter (Marcia Gay Harden) bei einer reichen, amerikanischen Familie eingenistet und sorgt mit ihren hellseherischen Kräften für Staunen und Verwirrung. Da selbst Howard daran scheiterte, Sophie als Betrügerin zu enttarnen, soll nun der selbstbewusste Stanley ran. Aber sogar er beißt sich am außergewöhnlichen Medium die Zähne aus …

Gewiss lässt sich Magic in the Moonlight als illustrer Kommentar auf die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber wahren Problemen betrachten. Sämtliche Figuren dieser nostalgischen Komödie nehmen ihre Lebenssituation als gegeben hin, niemand blickt kritisch auf das große Ganze oder erkennt die Zerbrechlichkeit des Roaring-Twenties-Lifestyles an. Die einzigen kritisch denkenden Persönlichkeiten, Colin Firths tapsig-schnöseliger Stanley und sein trockenhumoriger Kumpane Howard, nutzen derweil ihren Mut, Dinge zu hinterfragen, lediglich für die Hexenjagd. Und sind wir kulturell nunmehr knapp 85 Jahre später über Stanleys Verbissenheit, Medien als Blender zu deklarieren, hinausgewachsen? Man bedenke: Derzeit suchen viele von uns mit Eifer nach verräterischen Illusionsbrüchen in Medien anderer Art (nämlich in Filmen, Serien und Videospielen), stand uns schlicht verzaubern zu lassen und unser analytisches Denkvermögen für politische Baustellen aufzuheben.

Doch selbst wenn das zeitliche Setting und die thematischen Zwischentöne in Magic in the Moonlight in zu großem Einklang sind, um obigen Interpretationsansatz vollauf in den Wind schlagen zu können: Der meist so listige Woody Allen legt in sein Skript eine ungeahnt große Sympathie für die zwei Hauptfiguren Sophie und Stanley. Zudem stimmt Allen durch seine luftig-lockere Inszenierung einen derart unbeschwerten Ton an, dass dieser cineastische Ausflug in ein sommerliches Südfrankreich einer doppelbödigen Lesart nahezu allen Antrieb nimmt. In oberster Priorität erblüht diese Geschichte von Schein und Sein, Lug und Selbstbetrug, Romantik und Magie daher als schlichte, kleine Komödie ohne weitreichende Ambitionen. Woody Allen schwelgt hier in Nostalgie für altmodische Romanzen, die zwar mit Witz punkten, sich aber jeglicher Selbstironie verweigern. Damit dürfte es ihm schwer fallen, neue Fans zu gewinnen, und selbst unter seinen größten Anhängern sollten sich wohl nur sehr wenige finden, die Magic in the Moonlight zu den Höhepunkten seiner Vita zählen. Trotzdem hat diese rund 17 Millionen Dollar teure Produktion ihren Reiz und dürfte vor allem bei jenen Anklang finden, denen es nach sorgloser Kinounterhaltung mit Esprit dürstet.

Das liegt zum größten Teil darin begründet, wie toll die Hauptdarsteller aufgelegt sind: Als scheinbar naive, in Wahrheit aber trickreiche Seherin weiß The Amazing Spider-Man-Aktrice Emma Stone mehrmals, die Szene an sich zu reißen und für diverse Lacher zu sorgen. Colin Firth übt sich derweil mit ansteckender Freude in seiner Paraderolle als stocksteifer, leicht schusseliger Snob. Zudem stimmt die Chemie zwischen ihnen: Eine kleine Prise Slapstick und zahllose amüsante Wortgefechte machen die Begegnungen zwischen Sophie und Stanley zu einer warmherzig-vergnüglichen Angelegenheit. Die größte Schwäche dieser Komödie ist dagegen ihr etwas schluderig geschriebener Plot: So amüsant die Dialoge sind und so einleuchtend Stanleys wankenden Positionen gegenüber wahrer (?) Magie, die aufkeimende Romanze zwischen seinen Protagonisten hat Allen klar übers Knie gebrochen. Wodurch die Charakterentwicklung und der Schlussakt enorm an Wirkung verlieren.

Darüber hinaus tut sich Kameramann Darius Khondji schwer, die austauschbare Story auf wirkliches Kinoformat zu heben. Nur das schwärmerische Flair, das die Darsteller und ihre Kostüme seinen überbelichteten, uninspirierten Bilder verleihen, verhilft Magic in the Moonlightauf ästhetischer Ebene zum Sprung vom edlen Fernseh- zum Kinofilm. Dessen ungeachtet wecken Autorenfilmer Woody Allen, Colin Firth und Emma Stone vor träumerischer Kulisse Sehnsüchte nach vergangenen, simpleren Zeiten. Das mag angesichts der zuvor erläuterten, möglichen Lesart dieser Komödie paradox erscheinen und so vielleicht einen weiteren Kritikpunkt darstellen. Andererseits ist der Charme dieser einfachen, netten filmischen Urlaubsreise so bestechend, dass mit genügend Willen ihre inneren Widersprüchlichkeiten ebenso abgeschüttelt werden können wie ihre Seichtheit.

Fazit: Der nimmermüde Woody Allen ergänzt sein Œuvre durch Magic in the Moonlightum ein schlichtes Werk, das dank Emma Stone und Colin Firth sowie leichtfüßiger Dialogwechsel ein gewisses altmodisch-unbedarftes Charisma hat.

#Zeitgeist

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Jason Reitman startete seine Regiekarriere mit Thank You for Smoking als treffsicherer Satiriker. Nach dem Indie-Überaschungserfolg Juno entwickelte er ein beeindruckendes Talent dafür, am Puls der Zeit orientierte Dramatik mit hintersinnigem Humor zu vereinen. So entstanden der mehrfach Oscar-nominierte Up in the Air und Kritikerliebling Young Adult. Und dann hielten fragile Gefühlskonstrukte Einzug in Reitmans filmische Vita – mit schwerwiegenden Folgen. Bereits die Romanverfilmung Labor Day mit Kate Winslet und Josh Brolin spaltete aufgrund ihrer Sentimentalität die Gemüter. Somit schien die Geschichte eines Jugendlichen (Gattlin Griffith), der aufgrund des Aufeinandertreffens zwischen seiner Mutter und einem Gefängnisflüchtling seinen Platz im Leben überdenkt, der qualitative Ausrutscher Reitmans zu sein. Mitte 2014 sicherte sich allerdings #Zeitgeist mit katastrophalen US-Kritiken die rote Laterne in der Filmografie des 37-Jährigen. Und es ist ein Leichtes, sich zu erklären, wo die kargen Reaktionen herrühren.

Ähnlich wie das Drama Disconnect erzählt Reitmans Leinwandadaption des Romans Men, Women & Children in mehreren lose verknüpfen Handlungsfäden von diversen zwischenmenschlichen Problemen. So herrscht bei den Eheleuten Helen und Don (Rosemarie DeWitt und Adam Sandler) sexuelle Flaute, während ihr pubertierender Sohn Chris (Travis Tope) von seinen Trieben beherrscht wird. Dons Verehrerin Hannah (Olivia Crocicchia) sehnt sich nach einer Schauspielkarriere und lässt sich von ihrer Mutter Joan (Judy Greer) managen, verliert ihr gegenüber aber kaum Worte, sofern es nicht um ihre verblendeten Zukunftsträume geht. Allison (Elena Kampouris), eine Cheerleader-Kollegin Hannahs, hungert sich derweil auf ungesunde Maße herunter, um ihrem älteren Schwarm Brandon (Will Peltz) zu gefallen. Er und viele andere seiner Mitschüler hegen einen ungeheuerlichen Groll gegen Tim (Ansel Elgort), der lange Zeit als fähiger Football-Spieler gefeiert wurde, sich aber von einem Tag auf den anderen aus dem Schulteam zurückzog. Auch sein Vater Kent (Dean Norris) zeigt kein Verständnis dafür, dass Tim eine grüblerische Phase hat. Dass Tim sich mit der zurückhaltenden Brandy (Kaitlyn Dever) trifft, bekommt Kent unterdessen gar nicht mit. Brandys Mutter Patricia (Jennifer Garner) hingegen schon – und sie ist ausgesprochen dagegen, dass sich ihre Tochter mit Jungs einlässt.

All diese Plots blicken, ebenfalls nicht unähnlich Disconnect, nicht bloß auf familiäre und schulinterne Zwistigkeiten. Sie eruieren zudem, welche Gestalt solche Situationen des misslungenen Austauschs gerade heute, im Zeitalter digitaler Kommunikation, annehmen können. Ganz im Gegensatz zu Henry Alex Rubins Ensembledrama kommt #Zeitgeistaber mit einem unangemessen martialischen Arsenal aus narrativen Werkzeugen an. Mit dem Brecheisen zwängen die Autoren den einzelnen Episoden Wendungen auf, die in solcher Form vielleicht einer Seifenoper geziemen würden, nicht aber einem ausgewachsenen, sich ernst nehmenden Kinofilm. Mindestens alle 15 Minuten wird die Moralkeule geschwunden. Und selbstredend wird dann noch obendrein mit dem Holzhammer auf den Zuschauer eingedroschen.

Doppelt mag zwar besser halten, wie oft Reitman in #Zeitgeist dem Zuschauer „Leute, redet offen miteinander und hört auch genau zu, wenn sich euch jemand anvertraut!“ entgegen brüllt, lässt sich aber kaum noch zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese als weltbewegende Erkenntnis verkaufte Botschaft in äußerst bemühten Dialogen übermittelt wird: Während sich die Textnachrichten in diesem Melodram zumeist wie unpräzise Parodien lesen, sind die von Angesicht zu Angesicht getätigten Dialoge fast ausnahmslos gestelzt und dick aufgetragen. Und dies ist nahezu fatal: Ein mit Satire gewürztes Drama, welches die gegenwärtigen Kommunikationsgepflogenheiten anklagt, verliert massiv an Wirkung, wenn es kein Auge und kein Ohr für reale Zwiegespräche hat.

Im Falle von #Zeitgeistist dies besonders bedauerlich, da vereinzelte Sequenzen das Potential hervorheben, das in diesem Projekt steckt. So zeigt eine Szene, wie Cheerleader Hannah und ihre Mutter Joan durch ein Einkaufszentrum spazieren – beide schweigen sich an, nutzen aber ihre Smartphones, um über Distanz mit anderen Leuten zu chatten. Hannah zeigt dabei keinerlei Scheu, direkt neben ihrer Mutter hergehend explizite Sex-Botschaften an ihren Verehrer zu senden. Eine konzeptuell starke und plausible Sequenz, die bloß durch die Formulierungen der Textnachrichten ein Stück hinter ihren Möglichkeiten bleibt.

Ähnliches gilt für den Plot rund um Tim und Brandy, die aus verschiedenen Gründen Außenseiter sind (er, weil er sich der örtlichen Football-Obsession entsagt, sie, weil ihre Mutter ihr Onlineverhalten streng reguliert) und allmählich zueinander finden. Die Jungdarsteller Kaitlyn Dever und Ansel Elgort haben eine gute Chemie in ihren gemeinsamen Auftritten und geben ihren eher flach geschriebenen Figuren durch vieldeutige Mimik einen runden Charakter mit. Auf jede Szene dieser Klasse kommt jedoch rund ein Dutzend schwerfälliger Momente, die mittels Küchenpsychologie und Hobbyphilosophie das Geheimnis hinter dem heutigen Zeitgeist zu entschlüsseln versuchen. Dass #Zeitgeist ein unausgegorenes Potpourri an Problemthemen (und „Problemthemen“) angreift, verhindert, dass auch nur einer der Einzelaspekte eine ausdifferenzierte Betrachtung erfährt. Von Pornosucht über vulgäre Chats in MMORPGs bis hin zu Escortservices, immer wieder wird auf die Tränendrüse gedrückt und stark verallgemeinert.

Zwischendurch versucht Reitman, die gebotene Trübseligkeit mittels bewusst spritziger Satire aufzulockern, aber selbst dies verläuft schnell im Sande: Jennifer Garner etwa mag als manische Mutter mit irrationalem Hass gegenüber digitalen Medien für manches Schmunzeln gut sein, jedoch ist ihre Figur in ihrer Begriffsstutzigkeit derart unplausibel gezeichnet, dass sie spätestens nach der ersten Filmhälfte jegliche Wirkungskraft verliert.

Es grenzt daher fast schon an ein Wunder, dass dieser insgesamt sehr manipulative und vorhersagbare Streifen auf die übliche Tränenzieher-Musik verzichtet. Stattdessen vermischt Komponist Bibio subtil orchestrale und digitale Musik, die in teils kühlen, teils warmen Klangfarben erklingt. Die „reale“ und „vernetzte“ Welt wird vom Score erst getrennt, ehe die Hintergrundmusik Brücken schlägt. Schade, dass der Film selbst nicht so unaufdringlich und mehrschichtig arbeitet. Selbst Jason-Reitman-Fans dürfen daher überlegen, ob sie unbedingt in ihrer Sammlung stehen haben müssen – oder ob sie sich nicht lieber die DVD respektive Blu-ray von Disconnect gönnen sollten.


Fazit: Ungefähr so subtil wie eine Pop-Up-Reklame und genauso denkwürdig: Der eigentlich so talentierte Regisseur Jason Reitman macht in #Zeitgeist nahezu alles falsch, was er in früheren Projekten meisterte.  

Mr. Turner - Meister des Lichts

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Das Historiendrama Mr. Turner – Meister des Lichts ist nicht einfach nur eine weitere Künstlerbiografie. Für Regisseur Mike Leigh ist diese internationale Koproduktion ein Passionsprojekt. Mehr noch: Sie ist eine selbst auferlegte, immense Herausforderung. Ende 2013 erklärte der mehrfach prämierte Dramatiker im Gespräch mit dem britischen Magazin 'The Guardian', er beabsichtige mit seinem Film, bestmöglich die berückende Paradoxie der Gemälde J. M. W. Turners einzufangen. Diesen gelingt es, so Leigh, ihren Betrachter „die tiefe, vollendete, geistige und unendliche Schönheit und zugleich das entsetzliche Drama spüren zu lassen, was es bedeutet, auf dieser Welt zu sein“.

Hohe Ansprüche, die der Verantwortliche hinter Filmen wie Another Yearoder Lügen und Geheimnisse erhebt. Aber selbst wenn Leigh auf dem Weg zu diesem Ziel kein leicht zugängliches Geschichtsstück gedreht hat, wird Mr. Turner – Meister des Lichts seinen Aspirationen gerecht. Dem geneigten Zuschauer entfaltet sich in den rund 150 Filmminuten ein faszinierendes Porträt in starken Bildern, das sich formal ebenso ungezwungen wie wirkungsvoll der künstlerischen Neigung seines Protagonisten anpasst.

Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es daher nicht. Leigh reiht ohne stärkeren roten Faden diverse Anekdoten aneinander, die von den letzten 25 Jahren des einflussreichen Marine- und Landschaftsmalers Joseph Mallard William Turner (Timothy Spall) berichten. Es wird ersichtlich, dass er mit seinen lichtdurchfluteten, dezent abstrakten Bildern zu seiner Schaffenszeit von Kunsthistorikern gefeiert, von Kollegen trotz einiger Häme geachtet und vom Volk verlacht wurde. Sein grober Umgang mit seiner Haushälterin Hannah Danby (Dorothy Atkinson) zeigt auf, welch schroffer Rüpel er sein konnte. Seine Neugier gegenüber wissenschaftlichen Errungenschaften jeglicher Art zeichnet ihn aber auch als offenen, geistreichen Mann. Und das zärtliche Verhältnis zu seinem Vater William (Paul Jesson) macht seine empfindsame Seite bewusst …

Mr. Turner – Meister des Lichts ist nicht daran gelegen, seinem Publikum im Detail sämtliche überlieferten Fakten über seine Titelfigur nachzuerzählen. Die Handlung springt mehrmals nach vorne, so dass ganze Monate oder teils Jahre im Leben des hochproduktiven Künstlers ausgelassen werden. Da dieser obendrein ein wortkarger Zeitgenosse war, wird schon recht früh in diesem Prachtwerk Mike Leighs deutlich: Der Zuschauer hat es hier weniger mit einem dramatisierten Abriss eines beachtenswerten Lebens zu tun, viel mehr breiten sich auf der Leinwand Impressionen aus der Biografie dieses begnadeten Malers aus. Durchaus angemessen, immerhin dreht sich dieses unter 15 Millionen Dollar teure Prachtwerk über einen Pionier der romantischen Kunstperiode, der lange bevor der Impressionismus ein Begriff war, eben dessen Merkmale bravourös für sich beanspruchte.

Die gewiefte Vereinigung von Form und Inhalt in Mr. Turner – Meister des Lichts wird durch eine nahezu mustergültige Umsetzung dieses Konzepts abgerundet. Das Fehlen eines die über zwei Stunden Laufzeit durchziehenden Spannungsbogens wird von der narrativ geschickten Dramaturgie der einzelnen Sequenzen abgefedert: Egal, ob Leigh und der großartige Hauptdarsteller Spall in aller Ausführlichkeit zeigen, wie Turner nach dem Tod seines Vaters zusammenbricht, oder ob grandiose humorvolle Szenen wie eine Smalltalkrunde sich übertrieben gewählt ausdrückender Reicher für etwas Licht in diesem emotional sonst so tristem Drama sorgen. Wer sich auf die mit aller Gelassenheit voranschreitende Erzählweise einlässt, wird mit reichhaltigen Handlungsepisoden und einem völlig hinter seiner Rolle verschwindenden Timothy Spall belohnt.

Aber nicht nur der sich zeitweise nur durch Ächzen, Stöhnen und Grunzen verständigende Maler, dessen Gedankenwelt Spall mit vielschichtiger Mimik nachzeichnet, weiß zu überzeugen. Jeder Teil des großen Mr. Turner-Ensembles erweckt eine runde Figur zum Leben, die dieses vorzüglich ausgestattete Porträt des frühen bis mittleren 19. Jahrhunderts aufwertet. Den wertvollsten Beitrag liefert allerdings Kameramann Dick Pope, der mit seinen stillen, von seicht gelblichem Licht geprägten Bildern den Stil Turners würdevoll nachahmt – und mitunter die Grenzen verschwimmen lässt: Sieht man auf der Leinwand gerade ein Bewegtbild oder doch eines der Landschaftsgemälde Turners?

Allein die eintönigen Musikkompositionen Gary Yershons, die das wundervoll gefilmte Geschehen all zu trist begleiten, trüben ein wenig den Gesamteindruck dieses unvergleichlichen Kunstwerks eines Biopics. Stark gespielt, in malerischen Bildern eingefangen und von seiner spröden Eleganz geprägt – Mr. Turner – Meister des Lichts ist wahrhaftig bemerkenswert!

Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil I

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Die zweifache Hungerspiel-Überlebende Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) verkriecht sich verzweifelt, verängstigt und verwirrt in einem nicht sonderlich einladend wirkenden Raum. Manisch spricht sie im Flüsterton mit sich selbst, erinnert sich an die wenigen Fakten, an denen sie noch festhalten kann: Sie stammt aus dem ärmlichen Distrikt 12 des diktatorisch geführten Staates Panem, zerstörte bei den letzten Hungerspielen die Arena und wurde daraufhin von den Rebellen gerettet. Doch Katniss' Versuche, sich zu beruhigen, scheitern: Obwohl ihr versprochen wurde, in Sicherheit zu sein, ist sie voll des Misstrauens – schließlich enthüllten die verbissenen Gegner des abscheulichen Präsidenten Snow (Donald Sutherland), sie als unwissende Figur in einem Schachspiel gegen die Regierung verwendet zu haben. Da es ihnen obendrein nicht gelang, Katniss' Leidensgenossen Peeta (Josh Hutcherson) aus der Gladiatorenarena zu befreien, macht sie den Rebellen und sich selbst schwere Vorwürfe.

Die Aufständischen jedoch wollen keine Zeit verlieren und warten daher gar nicht erst, bis Katniss das Geschehen verdaut und sich an ihr neues Zuhause im unterirdischen, lange zerstört geglaubten Distrikt 13 gewöhnt hat. Vor allem Medienstratege Plutarch Heavensbee (Philipp Seymour Hoffman) und Anführerin Alma Coin (Julianne Moore) möchten das Kapitol möglichst zeitnah am schockierenden Ausgang der kürzlich abgehaltenen Hungerspiele stürzen – mit Katniss als personifiziertes Symbol der Rebellion. Ob sie dazu bereit ist, diese schwere und gefährliche Bürde zu tragen, scheint niemanden zu interessieren …

Endlich wieder eine Saga, die mit ihren Aufgaben wächst
Die Tribute von Panem-Filmreihe ist weit mehr als einfach nur eine weitere von vielen Jugendbuchadaptionen. Dies drückt sich bereits darin aus, dass es den Produzenten Nina Jacobson und Jon Kilik gelang, drei Jahre in Folge einen neuen Teil der Saga in die Kinos zu bringen. Und sofern keine unvorhergesehenen Ereignisse die Veröffentlichung des vierten Teils hinauszögern, können sie 2015 von sich behaupten, ein jährliches Filmfranchise beendet zu haben. Trotz dieser beeindruckenden Geschäftigkeit sind die Die Tribute von Panem-Filme deutlich hochwertiger produziert (geschweige denn geschrieben) als die ebenfalls Jahr für Jahr ins Kino geeilten Twilight-Verfilmungen. Eine bedeutsame Gemeinsamkeit existiert trotzdem zwischen diesen beiden Reihen: Frei nach dem Vorbild der Harry Potter-Saga wird die Adaption des finalen Romans in zwei Teile gesplittet. Diese Methode, an der sich auch Die Bestimmung bedient, während Der Hobbit bekanntlich sogar gedrittelt in die Lichtspielhäuser gelangt, ist unter Filmfans, nicht ganz zu unrecht, umstritten.

Die kreativen Köpfe hinter den betroffenen Reihen begründen diesen Schritt stets damit, den Fans der Buchvorlage zum Abschied einen möglichst originalgetreuen und detaillierten Film bieten zu wollen. Jedoch zweifelt wohl niemand daran, dass es den Studiobossen allein um die zusätzliche Gelegenheit geht, das Publikum zur Kasse zu bitten. Hinzu kommt, dass sich einige Bücher schlicht nicht für eine ausführliche Verfilmung eignen, weshalb mehrteilige Romanadaptionen leicht zur Redundanz neigen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, und obwohl Francis Lawrences verklausuliert betitelter Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I nach dem turbulenten Schluss des Vorgängers mehrere Gänge zurückschaltet, zählt der dritte Panem-Teil zu diesen löblichen Fällen.

Hinter den Kulissen einer Rebellion
Das größte Qualitätsmerkmal der neuen filmischen Erlebnisse der kämpferischen Jugendlichen Katniss Everdeen ist zugleich der Aspekt, der unvorbereitete Zuschauer eingangs etwas verwundern könnte. Nach dem leichte Mediensatire und dystopisches Abenteuerfeeling vereinenden ersten Part und dem in seiner Gesellschaftskritik deutlich bissigeren zweiten Teil, der neben seiner Abenteueraction auch eine stärkere Dosis Dramatik bietet, wandelt sich die Die Tribute von Panem-Saga nämlich ein weiteres Mal. Und dies radikaler denn je: Mockingjay: Teil I ist im Grunde genommen ein sehr karges, ernstes Drama über moderne Kriegsführung – bloß im dystopischen Gewand und gerade so jugendgerecht verpackt, dass es die bisherige Tribute von Panem-Zielgruppe weiterhin erreicht.

Mit diesem geänderten thematischen Schwerpunkt kommt auch – schon wieder – eine neue Ästhetik daher: Produktionsgestalter Philip Messina und das Kostümdesigner-Duo Kurt Swanson & Bart Mueller setzen nahezu ausnahmslos auf dunkle Erdtöne und schlichtes Grau. Bei aller Trübseligkeit ist die Ästhetik dieser Lionsgate- und Color-Force-Produktion die bisher eindrücklichste im Franchise, was der dichten Atmosphäre und Weltbildung zugutekommt. Ob der hoch funktionale, beengende Distrikt 13, dessen Gestaltung an das verwinkelte Innere von Atomkraftwerken der 1960er und 1970er erinnert, oder die verwüsteten Überreste anderer Distrikte, die Katniss besucht: Die gesamte Filmwelt wirkt authentisch, verlebt und lässt unentwegt das Gefühl aufkommen, sich als Zuschauer in einem vor dem Umbruch stehenden, zerrütteten Staat zu befinden.

Und vor exakt dieser bedrückenden Kulisse lassen die auf Suzanne Collins' Vorlage aufbauenden Drehbuchautoren Danny Strong und Peter Craig ihre Heldin Katniss Everdeen die unangenehmen Pflichten einer Aufstandsikone durchleiden. So besucht sie ein Feldlazarett, um den Anwesenden trotz ihrer hoffnungslosen Lage Mut zu machen, lässt sich in Strategiegesprächen von Heavensbee und Coin herumschubsen und wird widerwillig zur Protagonistin aufrührerischer, pathetischer Propagandaspots gegen das Kapitol. Auch wenn vereinzelt kurze, aber umso intensivere Sequenzen erste Guerillakämpfe zeigen, liegt das Hauptaugenmerk dieses Films nicht auf Feldeinsätzen, sondern auf den medial-strategischen Aspekten eines Krieges. Und somit trifft Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I den Nerv der Zeit: Politische Kämpfe werden dank der Fortschritte in der Kommunikationstechnik mehr und mehr über die Medien ausgetragen (Stichwort: Arabischer Frühling), und wie wichtig inspirierende Aushängeschilder für solch eine moderne Revolution sind, stellt dieses Jugenddrama erstaunlich treffend dar.

Darüber hinaus setzen die Verantwortlichen den in Catching Fire begonnen Ansatz fort, die zentrale Auseinandersetzung der niederen Distrikte gegen ihre hedonistischen Herrscher differenziert zu betrachten: Da in Mockingjay kein Sieg der Rebellen ohne herbe Verluste geschieht, die Franchis Lawrence auch drastischer zeigt als noch Gary Ross die Hungerspiel-Opfer in Teil eins, und Katniss von den Rebellen allein ob ihrer Funktion respektiert wird, fehlt der Panem-Reihe die in Hollywood sonst so verbreitete Glorifizierung militärischer Gewalt. Zwar lässt der in anspannender Gemächlichkeit erzählte Film keinen Zweifel daran, dass Snows Regentschaft gestürzt werden muss, gleichwohl werden die unschuldigen Opfer des Bürgerkriegs und die steten Gefahren eines blutigen Umsturzes klar. Recht anspruchsvoller Stoff, erst recht für eine primär an Jugendliche gerichtete Filmreihe.

Neue und altbekannte Akteure, die das Geschehen im Kontext der Reihe verankern
Es ist Regisseur Lawrence sowie den Autoren Craig und Strong sehr hoch anzurechnen, dass sie die 123 Minuten Laufzeit dieses „Halbfinals“ nicht nutzten, um stylisch choreografierte Actionpassagen, all zu kitschige Liebesszenen oder gar übermäßig viele Comedysequenzen einzustreuen. Viel mehr verlassen sie sich darauf, dass die treuen Zuschauer den Anspruch des neuen Teils zu schätzen wissen – immerhin stützen sich die Motive auf dem aus den Vorläufern bekannten Material. Und während im ersten Teil das obligatorische Liebesdreieck noch etwas forciert daherkam, dient es in Mockingjay in überschaubaren Dosen vor allem der Charakterisierung unserer Heldin Katniss. Darüber hinaus lenkt es aber auch Aufmerksamkeit auf eine weitere Frage: Ist es allein Katniss Zuneigung zu Peeta, die sie dazu bringt, weiter an seine Integrität zu glauben, obwohl er in Propagandaspots fürs Kapitol auftaucht? Oder ist es auch ohne romantische Bindung in Ordnung, daran zu Zweifeln, dass alle Kollaborateure eines Regimes die Überzeugungen der Täter teilen?

In seinen wenigen Leinwandminuten zeigt Peeta-Darsteller Josh Hutcherson einen graduellen Wandel seiner Figur, was ihm ermöglicht, durch das gebotene Material über sein in den ersten Panem-Teilen geliefertes, bestenfalls annehmbares Niveau hinaus zu reichen. Ähnlich ist es um Sam Claflin bestellt. Der Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten-Mime, der in Catching Fire als Finnick Odair noch schmückendes Beiwerk war, hat in diesem Part zwar erneut wenig zu tun, dafür gehört sein Monolog, in dem er sein ganzes Wissen über das Kapitol preisgibt, zu den Gänsehautmomenten dieser Großproduktion. Liam Hemsworth reicht angesichts seiner weniger dramatischen Szenen als Gale Hawthorne zwar nicht an seine männlichen Jungdarstellerkollegen heran, trotzdem verleiht auch er seiner weiterhin ausbaufähigen Figur mehr Profil als zuvor. Dies gilt auch für Willow Shields als Katniss' Schwester Primrose, die kurz vor dem letzten Akt dieses Teils leider Auslöser der einzigen bemüht wirkenden, das Material unnötig streckenden Spannungsszene ist. Woody Harrelson und Elizabeth Banks werden in ihren wiederkehrenden Rollen vom Geschehen dagegen nahezu völlig an den Rand gedrängt, wobei Banks den Vorteil hat, dass ihre affektierte Effie Trinket einen krassen, plotgestützten Wandel durchmacht und daher eine kleine, aber feine Darbietung geben darf.

Dies scheint das verbindende Element des Ensembles rund um Jennifer Lawrence zu sein: Waren vor allem im Erstling viele der Randfiguren bloße Staffage, können die Nebendarsteller in Mockingjay mit markantem Gestus ihren Figuren ein Eigenleben verleihen, selbst wenn der Zuschauer nur wenig über sie erfährt. Dies gilt etwa für Natalie Dormer als Cressida, die strenge, zynische Regisseurin der Propagandafilmchen mit Spotttölpel Katniss in der Hauptrolle, sowie Julianne Moore und Philip Seymour Hoffman als Strippenzieher der Rebellion. Moore ändert von Szene zu Szene subtil die innere Haltung der eigensinnigen (anfangs fast gelangweilt erscheinenden) Anführerin, Hoffman unterdessen dominiert seine wenigen Sequenzen mit einer prägnanten Mischung aus Abgebrühtheit und trockenem Humor. Es sind – zumindest in diesem Film – äußerst knapp gefasste Rollen, trotzdem spielen die preisgekrönten Akteure sie nicht lustlos herunter, sondern schröpfen das Beste aus dem gegebenen, knappen Stoff.

Die Macht des Spotttölpels
Mimisch gehört Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil Ieh nahezu allein Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence. Und dies, obwohl die beliebte Schauspielerin in den ersten Filmminuten ein wenig enttäuscht. Katniss' Wut und Verzweiflung brachte die 24-Jährige gegen Ende von Catching Fire deutlich besser zur Geltung als in den anfänglichen Passagen dieses Teils, wo ihr Spiel mehr an die Monotonie erinnert, die sie in The Hunger Games partiell zu Tage legte. Dies ist wohlgemerkt nicht allein Lawrences Schuld, da der Einstieg in das dritte filmische Panem-Kapitel nicht pointiert genug gewählt ist. Nach rund zehn Minuten gewinnen Skript und Regieführung aber an Schärfe, wovon auch Lawrence profitiert, die Katniss je nach Situation als hilflosen Spielball der Mächte oder als zielstrebige Kämpferin skizziert und vor allem die Zwischentöne überzeugend spielt.

Wenn Lawrence die unbeholfene Seite ihrer Figur wieder hervorkehrt und die ersten Propagandaclips der Rebellen verhaut, sorgt sie zudem auch für einige der wenigen, sich natürlich aus der Situation entwickelnden Lacher des Films. Zudem trägt Lawrence mit einem sanft gesäuselten Lied den Höhepunkt von Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I: Eine eindringlich geschnittene Gegenüberstellung der „oberen“ Rebellen und des sich gegen das Regime auflehnenden Volkes. Mit übersichtlicher Kameraarbeit und die Emotionen untermalendem Schnitt (statt des Gewaltspitzen vertuschenden Schnittgewitters aus Teil eins) wächst das Franchise in dieser Szene endgültig über sich hinaus – womit das Warten auf den Abschluss im November 2015 sehr, sehr schwer fällt.


Fazit: Weniger Action, mehr Anspruch: Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil Iführt die filmische Gattung der Jugendbuchverfilmungen in ungewohnte, politisch motivierte Sphären. Bravo!


Podcast: Eurovision 2015

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We could be the Podcast of our Time! Woooo-ooooh-ooaaaah!

Aus Zeitgründen kam ich dieses Jahr leider nicht dazu, meine traditionelle ESC-Vorberichterstattung abzuhalten. Doch so ganz ohne Eurovision geht es ja nicht! Daher gibt es nun die kunterbunte Musikshow in der Nachbesprechung. Ich mache endlich wieder bei Coopers Kaffee mit und quatsche mit Antje, Basti und Manuel Nunez über die Höhepunkte und Tiefpunkte des großen Events aus Wien.

Viel Spaß beim Anhören!

Exodus: Götter und Könige

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Dass Exodus: Götter und Könige am 25. Dezember, also am 1. Weihnachtstag, in den deutschen Kinos startete, war keine willkürliche Entscheidung. Schließlich handelt es sich bei der 140-Millionen-Dollar-Produktion um eine Bibelverfilmung, die in ihrem Prunk an solche Werke erinnert, wie sie einst in gewisser Regelmäßigkeit die große Leinwand erfüllten. Entgegneten Kinogänger in den 50ern Filmen wie Die zehn Gebote aber noch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, wurde Ridley Scotts Neuerzählung der Moses-Geschichte von vielen Seiten aus bereits rein prinzipiell als antiquiert bezeichnet. So urteilte mehrere Kritiker, dass es reaktionär oder gar albern sei, heutzutage noch einen Film zu drehen, der sich der Bibel annimmt.

Es sollte angebracht sein, sich zu fragen, ob eben jene Kritiker in wenigen Monaten auch Star Wars – Das Erwachen der Macht allein schon aufgrund ihrer Prinzipien niederschreiben werden. Und ob sie die Der Herr der Ringe-Trilogie verabscheuen (die ja bevrzugt zur Adventszeit auf Zuschauerjagd ging). Auch in diesen Filmen agieren Wesen, die mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen weit über anderen Figuren stehen. Das gesamte Fantasygenre platzt vor Prophezeiungen und vor Auserwählten. Und immer wieder werden in diesen Geschichten komplexe Mythen ausgebreitet, die von den sie betreffenden Figuren oftmals als heilig aufgefasst werden. Doch bei solchen Werken halten sich die Klagen, Geschichten über Ehrfurcht gebietende Überwesen seien rückwärtsgewandt, in Grenzen. Sie werden zumeist als Eskapismus gesehen, als visuell prächtige Fantastereien. Exodus: Götter und Könige versteht sich ebenfalls als solch ein Geschichtentypus. Scott transportiert sein Publikum in eine andere Zeit und an einen anderen Ort. Und er geht davon aus, dass der Zuschauer für die Dauer des Films bereit ist, zu glauben, dass sich innerhalb dieser Geschichte übernatürliche Ereignisse abspielen können.

Einen missionarischen Gedanken hat Exodus: Götter und Könige indes genauso wenig wie die Mittelerde-Saga oder vergleichbare Werke. Es gibt nicht einen Filmmoment, der überdeutlich darauf abzielt, das Publikum zum Christentum zu konvertieren – oder es in seinem christlichen Glauben zu bestärken. Die emotionalen Intentionen dieser Mammutproduktion beschränken sich stattdessen auf jene Mechanismen, wie sie im Epochalkino alltäglich sind: Es geht darum, Rückschläge zu verkraften, Hindernisse zu überwinden und ein gemeinschaftliches Wohl anzustreben. Zahllose Blockbuster lassen grüßen. Nur, dass sich Scott halt nicht aus einem Fantasy-Bestseller der vergangenen Jahrzehnte bedient, sondern eine Bibel-Erzählung als Inspiration nimmt.

Und nichts daran sollte verwerflich sein. Denn vollkommen unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, ob man die Institution Kirche befürwortet oder nicht: In der Bibel stehen einige interessante Geschichten, die sich großartig für pompöse Adaptionen eignen. Geschichten über Verrat, Angst, Selbsterkenntnis und Zusammenhalt. Ob man nun davon ausgeht, dass diese Geschichten auch Geschichte sind, darf auch mal für die Dauer eines Films zweitrangig sein. Religiöse Debatten lassen sich viel eher über Filme wie das seichte Drama Den Himmel gibt’s echt führen, da diese eine klar ausformulierte, klerikale Perspektive haben. Über deren Sinn und Verstand können entsprechend geneigte Zeitgenossen gerne zanken. Exodus: Götter und Könige dagegen ist einfach nur ein Bombastwerk, das unterhalten will.

Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist die danach, ob Exodus: Götter und Königeunterhält. Dass sich diese Frage trotz der beeindruckenden Schauwerte nicht mit einem kräftigen „Ja!“ beantworten lässt, liegt vornehmlich daran, dass dieses 150-minütige Abenteuer ein wenig zwischen die Stühle fällt. Was wiederum passiert, weil das von einem vierköpfigen Autorenteam geschriebene Skript keinen klaren Ansatz findet, wie es mit dem Material umgehen soll.

Die Geschichte bietet das Potential, mit einem emotionalen und dramatischen Kern sein Publikum zu bannen: 1.300 Jahre vor unserer Zeitrechnung wachsen Ramses (Joel Edgerton), Sohn des Pharao Seti (John Turturro), und Findelkind Moses (Christian Bale) wie Brüder auf. Sie stehen füreinander ein, beschützen sich gegenseitig und scherzen auch miteinander. Bloß in einem Punkt finden sie keine Übereinkunft: Während Ramses vor Prophezeiungen Respekt hat, hält Moses sie für Humbug. Ebenso wenig Glauben schenkt er der Erzählung des Sklavenältesten Nun (Ben Kingsley). Während Moses ihn verhört, um zu erfahren weshalb die Sklaven neuerdings vermehrt Aufstände anzetteln, erzählt Nun, von Moses wahrer Herkunft zu wissen. Er sei Israelit und dazu geboren, sein Volk aus der Sklaverei zu befreien. Zunächst ignoriert Moses diese Behauptungen, als er aber Opfer einer Intrige wird und das Reich des Pharao verlassen muss, ändert sich alles …

Die Dynamik zwischen Ramses und Moses wird von den Autoren Adam Cooper, Bill Collage, Jeffrey Caine und Steven Zaillian zwar in den ersten Filmminuten ausreichend etabliert, ist aber nicht so zentral, dass sie als Herz des Films taugt. Bale und Edgerton haben in ihrer ersten Handvoll an gemeinsamen Szenen eine freundschaftliche Rivalität miteinander, sobald sich aber erste ernstzunehmende Spannungen zwischen ihren Figuren abzeichnen, wirkt es so, als seien sich Ramses und Moses völlig fremd. Zu keinem Zeitpunkt thematisiert Exodus: Götter und Königeauf textueller Ebene ausreichend, dass sich die zusammen groß gewordenen Männer voneinander verletzt fühlen. Und auch die Darsteller lassen kaum Wehmut in ihren Rollen aufglühen. Dies ist dem DreamWorks-Zeichentrickfilm Der Prinz von Ägyptendeutlich besser gelungen – was nicht weiter von Belang wäre, hätte Scotts Langerzählung einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt, der das Geschehen antreibt.

Doch die anderen thematischen Elemente, aus denen sich die biblische Vorlage zusammensetzt, werden in dieser Adaption ebenfalls bloß bruchstückhaft aneinandergereiht. Sei es Moses Auseinandersetzung mit seiner leiblichen Herkunft, seine Entwicklung zum Anführer eines ganzen Menschenstammes oder der nicht unbedeutende Aspekt, dass ein gesamtes Volk generationenlang versklavt wurde und dann endlich Freiheit erlangt. All diese Facetten der biblischen Geschichte dienen in Exodus: Götter und Könige primär dazu, von einer Monumentalsequenz zur nächsten überzuleiten. Solch ein erzählerisches Vorgehen ist keineswegs zu verachten – es gibt zahlreiche gute Leinwandspektakel, bei denen die Handlung nur ein Alibi ist, um möglichst imposante Bilder zu zeigen. Für solch ein nährstoffarmes Prunkabenteuer weist Exodus: Götter und Königeobschon ein ernüchternd gemächliches Erzähltempo auf, weshalb der Oscar-nominierte Filmemacher Scott zwar mit all seinem Pomp zu überwältigen weiß, aber nur szenenweise auch wirklich mitzureißen vermag.

Als mit einiger Verzögerung auf die Leinwände dieser Welt gelangtes Prachtwerk in der Tradition von William Wylers Ben Hur, Stanley Kubricks Spartacus oder Mervyn LeRoys Quo vadis? ist Exodus: Götter und Königeauf handwerklicher Ebene trotzdem eine Wucht. Filmliebhaber, die seit längerem den Wunsch hegen, neu produzierte Sensationsunterhaltung in diesem Stil zu sehen, werden aufgrund der riesigen Prachtbauten, blendenden Kostüme und schwelgerischen Setdekorationen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Gerade, weil Scott Erinnerungen an frühere cineastische Zeiten wecken will, empfiehlt es sich auch, Exodus: Götter und Könige nicht in 3D, sondern in 2D zu sehen, um ein möglichst „authentisches“ Retro-Filmerlebnis zu haben.

Die wertvollsten Beiträge zu Exodus: Götter und Könige steuern konsequenterweise nicht etwa Christian Bale (spürbar begeistert, holt trotzdem nur Solides aus dem Material heraus), Joel Edgerton (durchwachsen) oder die zahlreichen Nebendarsteller (durchweg nur schmückendes Beiwerk) bei. Es sind Kameramann Dariusz Wolski (Fluch der Karibik und seine Sequels), Produktionsdesigner Arhtur Max (Königreich der Himmel) sowie Kostümdesignerin Janty Yates (Gladiator), die das Wohl des Projekts auf ihren Schultern tragen. Die verschwenderische Ausstattung Max' und Yates' wird vom polnischen Kameramann hervorragend in Szene gesetzt und verleiht Exodus: Götter und Könige die Qualität eines sich bewegenden Schlachtengemäldes.

Apropos Schlachten: Scott, Wolski und Cutter Billy Rich verstehen es, durch lange Total- und prägnant eingesetzte Nahaufnahmen, sowohl die visuelle Gewalt der großteils praktisch umgesetzten Kämpfe zu unterstreichen, als auch an die faszinierenden Details heranzufahren. Die visuell eindringlichsten Momente von Exodus: Götter und Könige hätten es dann fast schon verdient, als Standbild eingerahmt und ausgestellt zu werden. Wer also eine klassische Materialschlacht im Kino erleben möchte, bekommt mit Scotts Version der zehn Plagen (von denen neun erstaunlich sind und eine grobschlächtig animierte Krokodile heraufbeschwört) und der Flucht durchs Rote Meer genau dies geliefert. Drumherum mangelt es Ridley Scotts Bombastfilm aber so sehr an Fokus, dass er sich als Gesamtwerk nicht gerade für respektable Platzierungen in Genrebestenlisten empfiehlt. Dank der Hingabe zum Dreh mit praktischen Bauten und Heerscharen an Statisten sowie einem Mangel an übereifrig-inkohärenter Exzentrik im Stile von Darren Aronofskys Noah ist Exodus: Götter und Könige jedoch auch weit davon entfernt, ein künstlerischer Totalausfall zu sein.


Fazit: Nach dem künstlerisch gescheiterten Experiment Noah folgt nun ein gewollt altmodischer Bibelfilm. Ridley Scott geht mit Exodus: Götter und Könige keinerlei Risiken ein, setzt dafür umso mehr auf ausschweifende Handwerkskunst. In Zeiten der digitalen Effektgewitter eine willkommene Abwechslung. Das unkonzentrierte Drehbuch und das angesichts der flachen Charakterzeichnung unnötig gelassene Erzähltempo hindern den Bombastfilm aber daran, sich als rundherum imponierender Genrevertreter zu empfehlen.


Auf den Erpel, der besser schnattert, als alle anderen

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Die meisten Menschen feiern ihren Geburtstag jedes Jahr, und nicht nur, wenn ein Meilenstein ansteht. Manche Feiern fallen zwar größer aus als andere, doch der Umstand, dass sie stattfinden, gilt gemeinhin als normal. Unseren fiktionalen Helden ist eine alljährliche Feier hingegen nicht garantiert. Vergangenes Jahr überschlugen sich die Medien mit Glückwünschen für den besten aller Pechvögel, Donald Duck. Dachte aber alle Welt an den watschelnden Disney-Star, als er 80 Jahre alt wurde, so bleiben dieses Jahr vielerorts die Gratulationen aus. Ich finde, dass dies bekämpft werden muss! Und da ein simples Alles Gute, Donald! nicht ausreicht, nutze ich Donalds Wiegenfest, um mich mal in seinem Namen ungeheuerlich über eine ärgerliche Sache ... äh ... zu ärgern!

Es geht um die allseits beliebte Zeichentrickserie DuckTales. Versteht mich nicht falsch, auch ich liebe diesen Klassiker unter Disneys animierten Abenteuerserien, da das Storytelling zumeist mit einer zügigen, aber wirksamen Dramaturgie vonstatten geht, weil Dagobert hier ausnahmsweise mal recht konstant (und sympathisch) charakterisiert wird und oftmals auch das Design und die Musik zu gefallen wissen. Aber es gibt nunmal einige Episoden, die mich ungeheuerlich nerven. Und dies sind nicht unbedingt die direkten Carl-Barks-Adaptionen. Denn anders als einige Comic-Jünger, die DuckTales nicht mögen, weil die verfilmten Geschichten des zurecht gefeierten Enten-Künstlers inhaltlich von den Vorlagen abweichen, komme ich damit klar. Fernsehen ist ein anderes Medium als Comichefte, daher sind Abweichungen unvermeidlich.

Womit ich aber nicht d'accord gehe, ist die Darstellung Donalds in der Serie. Dass der Erpel Nummero uno kaum eine Rolle spielt, kann ich verstehen. Damals war er in den USA noch ungleich populärer als heutzutage, und angeblich hatten die Storykünstler Angst, er würde die Abenteuer in der Serie überschatten. Daher zogen sie es vor, mit eher sekundären sowie neuen Figuren zu arbeiten, weil so das Augenmerk der Zuschauer auf die Geschichten fiele. Für jene Zeit eine nachvollziehbare Entscheidung. Dass man die gelegentlichen Folgen, in denen Donald auftaucht, aber nahezu durchgehend mit einem einzelnen Running Gag bestreitet, bringt mich auf die Palme: Ohhhh, Donald brabbelt Schwachsinn und ist obendrein schwer zu verstehen!

Ja, Donalds heisere Stimme war schon zu Walts Zeiten Thema, man denke etwa an den Cartoon Donald's Dream Voice. Allerdings sind Geschichten, laut denen Donald für sein Umfeld als nahezu unverständlich dargestellt wird, eine Seltenheit. Zumeist wird er von anderen Figuren sehr wohl verstanden, und je nach Autor wird er auch als recht schlagfertig gezeichnet - und das nicht nur im nonverbalen Sinne. Wenn Donald in DuckTales also als dumm und sprachbehindert durch seine Episoden gereicht wird, grenzt das an Majestätsbeleidigung. Dass er in der Folge Sphinx for the Memories respektive Mein Gott, Donald eine der peppigsten Zeilen der ganzen Serie quaken darf, ehe er für den Rest der Episode den Deppen gibt, ist da ein ungewöhnlicher, aber nicht ausreichender Trost. In der englischen Originalfassung sagt Matrose Donald, ehe er Landgang hat: "The night is young, and I'm old enough!" Du toller Hecht, du ...

Für das angekündigte DuckTales-Revival wünsche ich mir, und natürlich auch dem heutigen Geburtstagskind, dass er wieder ins Hauptensemble aufgenommen wird. Mittlerweile hat es Donald in den USA ja leider durchaus nötig. Und wenn Donald schon regelmäßig aufkreuzt, so soll er bitte nicht weiter auf seine Aussprache reduziert werden - aber sein Genuschel dafür verwenden dürfen, öfter frechere Kommentare zu bringen. Halt so, wie zu seinen besten animierten Zeiten.

Herz aus Stahl

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Für das am Genre desinteressierte Publikum mag es zunächst schwer begreiflich sein. Doch die unaufhörlich wachsende Gattung des US-amerikanischen Kriegsfilms lässt sich mühelos weiter aufteilen – und erlaubt sogar Rückschlüsse darauf, wie diverse Kriege in den Vereinigten Staaten aufgefasst werden. Die in ihrer cineastischen Verarbeitung wohl am weitesten voneinander entfernt stehenden Feldzüge sind dabei der Zweite Weltkrieg und der Vietnamkrieg. Mit bezeichnenden Titeln wie Apocalypse Now oder Die durch die Hölle gehen wird selbst bei oberflächlicher Betrachtung klar, dass der Vietnamkonflikt nahezu ausnahmslos als falsch und ungerecht, gar als diabolisch gezeichnet wird. Anders der Zweite Weltkrieg: Die Schlagzahl an patriotischen Eskapaden mag variieren, ebenso wie der Gewaltgrad. Die Fronten sind indes klar: Die Alliierten sind Helden. Zweifel an den verwendeten Mitteln, geschweige denn der Ehrbarkeit der gegen die deutschen Heere kämpfenden Soldaten, sind in Filmen über den Zweiten Weltkrieg rar gesät.

Der Drehbuchautor und Regisseur David Ayer ist allerdings wenig an klaren Rollenverteilungen interessiert, wie er bereits mit dem Skript zu Training Day oder mit dem von ihm geschriebenen sowie inszenierten Found-Footage-Actiondrama End of Watch vorführte. Eben jener Linie bleibt Ayer auch in Herz aus Stahl treu. Es lässt sich sogar das Argument machen, dass er sich nach dem gemeinhin verrissenen Sabotage selber übertrifft: Trotz Superstar Brad Pitt in der Hauptrolle und endlos scheinenden Passagen reiner Zerstörungswut ist diese Weltkriegs-Geschichte desolater, intensiver und ambivalenter als Ayers bisheriges Schaffen.

Der eindrucksvollste Abschnitt dieser desperaten Erzählung ist die Zäsur zwischen den einleitenden und abschließenden Panzer-Actionpassagen. Der erzählerische Wende- und Mittelpunkt von Herz aus Stahl führt die zwei zentralen Figuren, den erfahrenen Panzerführer Don 'Wardaddy' Collier (Brad Pitt), und seinen erst kürzlich rekrutierten Schützling Norman Ellison (Logan Lerman), in die Wohnung zweier deutscher Zivilistinnen. Es sind die letzten Tage des Krieges, und genauso, wie Wardaddy bereits der Schmerz und die emotionale Abstumpfung der vergangenen Monate ins Gesicht geschrieben stehen, sind die jungen Frauen (Anamaria Marinca und Alicia von Rittberg) sichtlich von Angst erfüllt. Angst vorm Regime, das kurz zuvor Kriegsverweigerer in ihrem Heimatdorf exekutierte. Angst davor, als Kollateralschaden zu enden. Und Angst vor der bislang unbekannten Variabel, die die Alliierten darstellen. Was folgt, ist eine nach all dem Kampfgetümmel und visuellen, garstigen Schrecken bewusst entschleunigte Gesprächssequenz, die nach außen hin einen fragilen Frieden ausspielt. Unter der Oberfläche brodelt es allerdings. Die zwei Soldaten misstrauen den Deutschen, diese wiederum sind vom Geschehen überfordert, beäugen jede Geste der zwei so verschieden in den Raum tretenden Amerikaner.

Sobald Ayer, vermeintlich, der Anspannung eine Möglichkeit gibt, sich zu entladen, konterkarieren die trostlose Ausstattung, das Fehlen entsprechend positiver Filmmusik und die distanziert-kühle Kameraarbeit Roman Vasyanovs diesen Handlungsschritt. Norman und die jüngere der beiden Frauen bandeln miteinander an. Aber die übliche Bild- und Klangästhetik, die im US-Historienkino markiert, dass so eben ein Moment des Trosts in tristen Zeiten eingefangen wird, bleibt aus. Ebenso das andere Extrem. Keine sinistren Orchesterklänge. Keine grimmen Schatten, die verbildlichen, wie sehr ein unschuldiger Bube zum Schurken verkommt, der seine Machtposition gegenüber verängstigten Frauen ausnutzt. Ayer lässt das Geschehen stehen. Romantik fehlt, es wird jedoch auch keine explizite Anklage erhoben. Nur zwischen den Zeilen wird das diskutiert, was parallel dazu in den Köpfen wohl vieler Zuschauer vorgeht. Ist es eine Vergewaltigung? Die etwas ältere Cousine blickt gestreng in Richtung Schlafzimmer, Wardaddy entlockt seiner steinernen Miene ein entschuldigendes Lächeln: „Sie sind jung“, so als sei es zweifelsfrei auf Beidseitigkeit beruhender Leichtsinn.

Herz aus Stahl reißt somit auf exzellente Weise ein Thema an, das im Kino bislang monoton behandelt wurde. Es gibt bereits eine kleine Tradition an Tragikomödien, die romantisiert auf Beziehungen deutscher Frauen mit alliierten Soldaten zurückblicken. Frau Ella gehört beispielsweise dazu – und völlig daneben liegen diese Filme nicht, sind langjährige Liebesaffären und auch Ehen dieser Art sehr wohl verbucht. Filme über andere Kriege kennen derweil allein das Bild animalischer Soldaten, die sich nehmen, was sie wollen – ein ebenso reales wie abscheuliches Bild. Dass für spätere Generationen viel Unklarheit herrscht, welche realen Vorfälle in welche Schublade gehören, wurde dagegen bislang kaum adressiert. Ayer verherrlicht die Tat keineswegs, da er sie allerdings in einem sehr dunklen Grau zeichnet, fängt er besagte Debatte lang nachhallend ein. Und stärkt so seinen Film. Er lässt in Mitten seines Films das Übel in der Vorstellung des Betrachters entstehen, nachdem er zuvor mit schonungslosen Bildern gearbeitet hat. Somit entsteht eine explosive, nachhallende Mischung.

Im Anschluss an diesen Vorfall dreht Ayer die Schraube der Anspannung sogar noch fester zu. Während eines improvisierten, kärglichen Mahls ruft er in Erinnerung, dass Wardaddys Truppe noch aus weiteren Männern besteht. Wurden diese zuvor nur flüchtig eingeführt, zeigen sie nun nicht etwa im Kampf, sondern ausgerechnet in einem Moment der Stille ihre wahren Gesichter. Jon Bernthal, Michael Peña und vor allem Shia LaBeouf dürfen nun weitere Facetten ihrer Rollen zeigen, verstören, Mitleid erregen, verwirren. Und dann endet dieser Film im Film, der mit seinen starken Dialogen in ähnlicher Form problemlos auch ein Inglourious Basterds-Kapitel hätte darstellen können, mit einem Paukenschlag. Betrachter wie auch die handelnden Figuren befinden sich erneut im schwarz-matschbraunen, ohrenbetäubenden Kriegsalltag, der knapp zwei Drittel von Herz aus Stahl ausfüllt.


Die Schlachten reichen zwar nicht an die Komplexität, emotionale Zerrissenheit und resolute Regieführung des Mittelteils heran. Trotzdem sind sie überaus intensiv und machen durch gekonnt in Szene gesetztes Chaos und verstörende Momentaufnahmen spürbar, wieso innerhalb weniger Tage aus dem naiven, unverbrauchten Norman ein völlig ausgebrannter Recke werden kann. Ayers Gewaltspitzen und Ekeleskapaden verkommen dadurch nie zum Selbstzweck, sondern dienen stets der Erzählung und brennen sich somit langfristig in Erinnerung. Die Panzerkämpfe zeigen zudem die Wucht, mit der diese Gerätschaften durchs Land bretterten, ohne den Film zäh zu gestalten. Die ersten Feldzüge sind daher sogar mitreißender und visuell ungewöhnlicher als das sich auf einen Ort beschränkende Finale. Dies liegt auch an einem weiteren Aspekt: Obwohl hier der aufkeimende Heroismus der Figuren als selbsteingeredet unterstrichen wird, überreizt die letzte Schlacht ihren Spannungsbogen minimal. Umso stärker präsentiert sich dafür der Gänsehaut-Score aus der Feder des Gravity-Komponisten Steven Price, durch den die aussichtslose Stimmung des Films auch in den unsicherer gespielten Augenblicken aufrecht gehalten wird.

The Gambler

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Das Glücksspiel ist eine besonders filmtaugliche Beschäftigung. Paradebeispiel dafür, wie kurzweilig und fesselnd Zockerei auf der Kinoleinwand sein kann, sind Filme wie Rounders, Casino Royale, Der Croupier oder Der Clou. Rupert Wyatts Drama The Gambler beinhaltet einige der Elemente, die auch besagte Filme auszeichnen: Die Präsenz kaltblütiger Gestalten, fast schon halsbrecherische Risiken sowie stilvolle oder alternativ stylisch-verkommene Spielstätten. Woran es der Neuverfilmung des britischen Zockerstreifens Spieler ohne Skrupel indes mangelt, sind Flair, Spannung und nachvollziehbare Charaktermotivation.

Bereits die erste Sequenz erweist diesem Trauerspiel über Obsession einen gewaltigen Bärendienst. Literaturprofessor Jim Bennett (Mark Wahlberg) begibt sich in ein Untergrund-Spielcasino und setzt mit stoischer Miene Unsummen von Geld, die er auch dringend benötigt, um seine monströsen Schulden abzubezahlen. Und selbst absolute Laien würden besser zocken als er. Er hat keine Taktik und setzt kopflos seinen gesamten Gewinn immer wieder aufs Spiel. Autor William Monahan und Regisseur Rupert Wyatt verdeutlichen also früh, dass The Gambler keine Erzählung über ein gewitztes Glücksspiel-Ass ist. Jedoch ist es ebenso wenig ein Drama, das die Mechanik hinter Wettsucht und deren Gefahren skizziert. In Jims Augen blitzt nie auch nur ein winziger Funken der Manie auf, er zeigt keine Freude am Risiko, nicht einmal ist ein Hauch der Verzweiflung oder alternativ der Sehnsucht nach Selbstzerstörung zu spüren.

Wahlberg legt Jim als eiskalten, aalglatten Typen an, der nicht nur sein Gegenüber im Unklaren lässt, was ihn bewegt, sondern auch die Betrachter des Films. Sobald sich Jim vollkommen absehbar noch tiefer ins Verderben manövriert hat, erhält er ein klares Ultimatum: In sieben Tagen hat er seine Schulden abzubezahlen – oder es ist endgültig Schluss mit lustig. Da kann ihm selbst seine Lieblingsstudentin Amy (Brie Larson in einer undankbaren Rolle) nicht helfen, die ihm kürzlich beim illegalen Glücksspiel über den Weg lief …

The Gambler versteht sich nicht als Kriminalfilm, in dem ein gewiefter Protagonist seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen hat. Der Großteil der Laufzeit konzentriert sich auf Jims Alltag, zeigt ihn dabei, wie er Vorlesungen hält, wie er seine Mutter (Jessica Lange, ebenfalls in einer dürftigen Rolle) anmotzt oder wie er mit einem bekannten Kredithai rumlungert. Letzterer wird von John Goodman gespielt, dessen Part zwar fast schon strafbar klischeehaft geschrieben ist, aber immerhin den einzigen denkwürdigen, pointierten Monolog des Films hält. Wenn sich also der gesamte Film um Jim dreht, genauer gesagt darum, wie er mit seinem Umfeld interagiert, so müsste The Gambler eigentlich ein Charakterdrama sein, oder? Doch auch mit dieser Überlegung verzockt sich der geneigte Filmfreund, denn ein charakterzentrisches Drama benötigt vor allem eins: Charakter.

Der vermeintliche „Held“ dieser Handlung ist aber nichts weiteres als ein unnahbarer Granitblock – der halt zufälligerweise laufen, reden und mehr schlecht als recht zocken kann (bevorzugt Black Jack). Im Gegensatz zu gelungenen cineastischen Unsympathen wie etwa Travis Bickle aus Taxi Driver, Alex in Uhrwerk Orange, Daniel Plainview in There Will Be Blood oder Jordan Belfort in The Wolf of Wall Street fehlt Jim Bennett aber jegliche Anziehungskraft. Er ist kein Widerling, der jemanden für sich einnehmenden kann, geschweige denn, dass er etwas Andersartiges, Faszinierendes an sich hat. Ihm fehlt die Grandeur, die Zielstrebigkeit, um den Blick auf sich zu lenken. Er ist stattdessen einfach nur der unauffällige, schroffe Kerl, der sich mit niemandem abgeben will. Und somit ist er ein denkbar uninteressanter Mittelpunkt für einen fast zweistündigen Film. Dass die gezeigten Literaturvorlesungen obendrein die vielleicht unglaubwürdigsten, unfreiwillig komischsten der US-Filmgeschichte sind, tut diesem Werk erst recht keinen Gefallen.

Zumal Wyatt die Glücksspiel-Sequenzen größtenteils dröge abspult – weder ziehen sie mit Glamour-Faktor in ihren Bann, noch nutzt der Regisseur die durchaus interessant gestalteten, abgefrackten Schauplätze, um einen Sinn für Gefahr zu erzeugen. Stilistisch auffällig ist allein der Einsatz von Musik. Zunächst, da der Soundtrack einige trocken-spröde Nummer bietet, die ansatzweise so etwas wie eine überhöht-verlorene Stimmung erzeugen. Und darüber hinaus, weil Wyatt immer wieder mit der Trennung zwischen diegetischem und non-diegetischem Ton spielt – also mit der Grenze zwischen dem, was nur der Zuschauer hört und was sich in der Welt der Filmfiguren abspielt. Da Wyatt seinen Trick 17 aber erschütternd oft wiederholt, ohne ihm je Neues abzugewinnen, verliert auch diese Idee alsbald ihren Reiz.

Fazit: Ein einseitiger, unausstehlicher Protagonist schleppt sich durch ein träg erzähltes, uninspiriert inszeniertes Glücksspieldrama: Wer auf The Gambler setzt, setzt auf die falsche Karte.

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