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Der große Trip – Wild

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„Ich bin dann mal weg!“Das sagte sich nicht nur Hape Kerkeling, der im Jahr 2001 eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg antrat, um Abstand von seinem stressigen Berufsleben zu gewinnen und nach zwei gesundheitlichen Rückschlägen einen klaren Kopf zu erhalten. Viele Menschen brechen, oftmals ohne größere Vorankündigung, aus ihrem Lebensgefüge aus und unternehmen eine lange Wanderschaft, die neue Perspektiven eröffnen soll. Zu dieser Gattung von Wanderern zählt die damals 26-jährige Cheryl Strayed, die sich 1995 auf dem Pacific Crest Trail von Südkalifornien bis zur Grenze zwischen Oregon und Washington durchschlug. Anders als der Jakobsweg ist der Pacific Crest Trail keine Pilgerroute, sondern ein bundesbehördlich bestimmter Fernwanderweg, dessen Wegführung es ermöglichen soll, vielfältige Landschaften von hervorstechender Schönheit zu besichtigen. So profan die Hintergründe dieser Strecke auch sein mögen, auf Cheryl Strayed hatte diese Süd-Nord-Reise durch die USA erheblichen Einfluss. Die Wanderung brachte Schweiß, Blut und Tränen mit sich – und ließ sie durch all das Elend zu sich selbst zurückfinden und ein neues Leben beginnen.

Strayed wartete 17 Jahre, bis sie ihre Erfahrungen von diesem eminenten Trip in Form von Memoiren niederschrieb. Das Buch wurde 2012 innerhalb weniger Monate zu einem weltweiten Bestseller. Reese Witherspoon erwarb sogar noch vor dem regulären Verkaufsstart die Filmrechte an dem Werk, um als Produzentin und Hauptdarstellerin Strayeds innere wie äußere Reise auf die Leinwand zu bringen. Im Sommer 2013 wurde dann Schriftsteller Nick Hornby (High Fidelity) als Autor gewonnen, alsbald stieß Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club) als Regisseur zum Projekt hinzu.

Mit Witherspoon, Hornby und Vallée fand sich ein äußerst geeignetes Trio, um Der große Trip – Wild zu verwirklichen. Hornby gibt dem Drehbuch das für ihn so typische Flair mit, das Selbstvorwürfe, Bedauern und Wut in ruhigen, authentischen Handlungs- oder Gesprächssequenzen zum Vorschein kommen lässt. Hornbys gezügelter Sinn für Humor bereitet das Geschehen diesen schweren Emotionen zum Trotz leicht verdaulich auf und erlaubt zudem einen leichteren Zugang zur so komplizierten, unangepassten Hauptfigur. Ganz egal, wie verschlossen, dreist oder haltlos selbstzerstörerisch sich Cheryl verhält (etwa gegenüber ihrer reizenden Filmmutter Laura Dern): Dank der pointierten Darstellung ihrer anfänglichen Naivität in Wanderfragen und anderen knappen Anflügen von Leichtigkeit wird Cheryls harsche Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit sowie den Widrigkeiten der Natur zu einer Reise, der man sich als Zuschauer gerne anschließt.

Dies ist selbstredend auch Witherspoons Verdienst. Die Oscar-Preisträgerin agiert in Der große Trip – Wild so gut, wie seit Walk the Linenicht mehr und geht völlig frei von Affektiertheit an ihre Rolle heran. Durch ihre zierliche Erscheinung unterstreicht sie, welche Strapazen mit dieser überwältigenden Wanderung einhergehen, was Regisseur Jean-Marc Vallée und Kameramann Yves Bélanger auch wiederholt verstärken, indem sie Witherspoon in den großen Landschaftsbildern nahezu verschwinden lassen. Diese Fragilität nutzt Witherspoon aber nie, um Mitleid für Cheryl zu erheucheln, wenn in Rückblicken deutlich wird, wie sehr sie vor ihrem Trip mit Drogen- und Sex-Exzessen ihr Leben zugrunde richtete. Auch wenn diese stellenweise wie im Fieberwahn beleuchteten, zügig geschnittenen Sequenzen einfühlsam erzählt sind, lässt die Schauspielerin in ihnen auch besonders stark die destruktive, launenhafte Seite ihrer Figur durchblicken.

Jean-Marc Vallée setzt, passend zum tragenden Mienenspiel Witherspoons, primär auf bildsprachliche Aspekte, um Der große Trip – Wildzusammenzuhalten. Dialoge sind meist kurz gehalten, oft sind sie auf entscheidende Worte reduziert, während die Komposition der Szene, ihre Farbsättigung sowie die schauspielerische Darbietung den Rest erzählen. Somit ermöglicht Vallée zumindest einen kleinen Einblick darin, wie ein einsamer Trip durch die Wildnis der USA (und durch den Wust an Erinnerungen vergangener Fehler) auf den Reisenden wirkt. Das Zusammenspiel zwischen den Rückblicken, die wie aus einem anderen Leben gerissen scheinen, und den beinahe naturdokumentarisch gehaltenen Außenaufnahmen der Wanderroute, gerät im letzten Viertel jedoch etwas aus dem Takt. War der Betrachter zuvor immer nah dran, wie Cheryl während ihrer Wanderung emotionale Fortschritte macht, beschleunigt sich ihre Entwicklung kurz vor Schluss schlagartig, so dass einen das Finale leicht überrumpeln kann.


Fazit: Für einen zeitlosen Klassiker zum Thema Selbstfindung ist Der große Trip – Wild womöglich zu gefasst. Aber dank beeindruckenden Bildern, einer einsichtsvollen, niemals pathetischen Erzählweise und Witherspoons starkem Schauspiel kann sich Jean-Marc Vallées neuste Regiearbeit trotzdem mit dem gefeierten AIDS-Drama Dallas Buyers Club messen lassen.


Coopers Kaffee: House of Cards

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Die Tücken der Technik haben mich anfangs mundtot gemacht, aber nach einigen Minuten konnte ich dann doch mitmischen: Antje, Julian und Jan haben bei Coopers Kaffee über House of Cards diskutiert. Wieso die so oft gefeierte Polit-Dramaserie zurecht gefeiert wird, erfahrt ihr ... naja, praktisch überall. Aber auch in

Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

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Dies ist nicht gerade die Kritik, die Birdman verdient hat, aber die Kritik, die Birdman braucht. Oder so etwas in der Art.

Birdman ist einer dieser Filme, die mit der finalen Schwarzblende dafür sorgen, dass dem Betrachter Fragen auf der Zunge brennen. Wo endet die reine, eskapistische Narrative und wo beginnt die philosophische Analogie? Was ist verbitterte Abrechnung mit dem Showbusiness und was liebevoller Seitenhieb? Was ist real, was ist nur Einbildung der Figuren? Tja, eins kann ich festhalten, Leute: Birdmanist viel, viel realistischer, als es auf dem ersten Blick scheint …

Es ist Vormittag in der Bundesrepublik. Bereits Monate vor Kinostart läuft in einer deutschen Großstadt die rabenschwarze Showbusinesskomödie Birdman– exklusiv für die Presse. Nach einiger Zeit steht einer der anwesenden Kritiker auf und verschwindet kopfschüttelnd aus dem Saal. Nach etwas mehr als einer Viertelstunde betritt er erneut den Saal. In der Zwischenzeit gab es eine Szene zu sehen, die sich mir besonders einprägte: Die frühere Blockbuster-Ikone Riggan Thomson (Michael Keaton) begegnet einer einflussreichen Kritikerin (Lindsay Duncan), die ihn ohne jeden erkenntlichen Anlass anschnauzt. Sie habe genug von dieser Hollywood-Prominenz, die meint, nach Jahren im lächerlichen Superheldenkostüm plötzlich so tun zu müssen, als könne sie wirklich schauspielern. Diese Hampelmänner seien eh alle gleich. Daher müsse sie sich Riggans demnächst stattfindendes Stück gar nicht erst gucken, um zu wissen, dass es einen niederschmetternden Verriss verdient hat.

Ich dagegen muss wohl nicht anmerken, dass besagtem Kollegen Birdmannicht gefallen hat. Er sei wie erwartet nur der lahme Versuch, einen Superheldenfilm zu machen, der sich als Schauspielübung ausgibt. Aber ich komme nicht umher, mich immer, wenn ich an Birdmandenke, zu fragen, wie mies der nette Herr wohl Alejandro González Iñárritus Geniestreich erst finden würde, wenn er sich alles angeschaut hätte. Wahrscheinlich würde er Gift und Galle speiend klagen, dass Birdman ein unverschämtes, falsches Bild von Kritikern zeichne.

Diese Feststellung kratzt allerdings nur an der Oberfläche. Die Resonanz zwischen unserer Wirklichkeit und der Fiktion von Birdman umfasst weit mehr als die Macken mancher Kritiker. Als soghafter Ausflug in die Gedanken- und Arbeitswelt der Schauspielerzunft sagt Birdman selbstredend viel mehr über Mimen aus als über jene, die sich über sie die Mäuler zerreißen. Und zahllose eben dieser Kommentare erfolgen auf der Meta-Ebene.

Beispiel: Edward Norton, der eine beachtliche Fanbase hat und zudem für nahezu all seine Performances mit Kritikerlob überschüttet wird, glänzt als Kritikerliebling und Kassenmagnet Mike Shiner. Dieser gerät mit seinem Kollegen und Regisseur Riggan regelmäßig in verbale sowie schlagkräftige Auseinandersetzungen über das Skript seines Broadway-Stücks. Was freilich keinerlei Erinnerungen an die Filme The Score, Fridaund Der unglaubliche Hulk weckt, an deren Drehbuch der ursprünglich bloß als Akteur gecastete Norton mitwirkte. Oder an American History X, jenen in der Filmbranche legendär gewordenen Fall, in dem sich Regisseur Tony Kaye eine mediale Schlammschlacht mit dem Studio leistete, weil es Nortons eigenmächtig erstellte Schnittfassung des Dramas bevorzugte.

Und welche Worte könnte ich an dieser Stelle noch über Michael Keatons Leistung verlieren, die nicht bereits tausendfach gewählt wurden? Der Hauptdarsteller aus Tim Burtons Batman-Filmen ist es, der Birdman überhaupt erst Flügel verleiht. Sein Spiel ist nuanciert, ein Triumph des mimischen Naturalismus – und gerade dadurch schwingt sich Iñárritus Blick hinter die Kulissen des Schauspielfachs auf ein so hohes Niveau. Keatons Darbietung ist heldenhaft unmittelbar, selbst in durchgebrannten Momenten wirkt alles, was er den gefallenen Stern Riggan Thompson tun lässt, als sei es die ungeschönte Wahrheit.

]Allerdings möchte ich mich nicht völlig in diesen Aspekt des doppelbödigen, kunstvollen Filmspaßes verrennen. Denn es ist ja bei weitem nicht alles aus dem wahren Leben gegriffen, was Iñárritu mit seinem kleinen Heer von Ko-Autoren zusammengestellt hat. Die sich im Kritikerdasein verkriechende Giftnudel, mit der Riggan es zu tun bekommt, steht nicht stellvertretend für ihre Zunft. Ja, es lassen sich solche Exemplare finden, und alle, die Filme weiterhin verehren, verdammen jene raren Begegnungen mit diesem Kritikertypus. Und, ja: In einem großen Ensemble kann es vorkommen, dass sich so gänzlich unterschiedliche Typen von Schauspielern begegnen, wie in Riggans Theateradaption von What We Talk About When We Talk About Love. Menschen, die den Wert ihres Berufs völlig anders definieren als ihr Gegenüber – und somit auch ihre Aufgaben als Künstler. Äh, als Entertainer. Äh, als Geschichtenerzähler. Äh, als Vermittler der Wahrheit. Äh, als Selbstverwirklicher. Doch Birdman hat nicht nur originell dargebotene Anekdoten aus dem Showbusiness aufzuweisen. Dieser flotte Dreier aus amüsantem Arthaus-Experiment, nachdenklicher Comicfranchise-Dekonstruktion und satirischer Theaterfarce hat auch einen gewaltigen Vogel.

Richtig gelesen. Ich finde Birdman nicht nur wahnsinnig, Birdmanist Wahnsinn! Die Kamera verfolgt das Geschehen in und um das von Riggan gebuchte New Yorker Theater über weite, weite Strecken ohne erkennbaren Schnitt. Kamera-Maestro Emmanuel Lubezki und die Cutter Douglas Crise & Stephen Mirrione vollführen einen komplexen, visuellen Tanz, der dem Zuschauer das Zeitgefühl raubt, seine Orientierung einschränkt, ihn geradezu aufsaugt. Ihn als stilles, alles heimlich beobachtendes Mäuschen ins Geschehen versetzt. Wenn er nicht gerade einen von Riggans psychischen Höhen- oder Stürzflügen vor Augen geführt bekommt – dann ist der Betrachter auf einmal mitten im Oberstübchen eines einstigen Superhelden-Darstellers. Doch so oder so ist die visuelle Komponente von Birdman berauschend – und erschwert es gekonnt, die eh verschwimmenden Ebenen des Drehbuchs zu trennen. Ist Riggan wahnsinnig, sind manche (alle?!) seiner vermeintlichen Halluzinationen real? Oder visualisiert Iñárritu bloß die Gedankenwelt des unter immensem Druck stehenden, zwischen künstlerischem Begehren, Geltungsdrang und Verleugnung der eigenen Karriere hin und her gerissenen Mimen? Würde letzteres bedeuten, dass Riggan in „Wirklichkeit“ völlig normal ist (so weit man normal sein kann, wenn man schauspielert) und er einfach nur verworrene Gedankegänge hat? Ist Birdman sein gutes oder sein schlechtes Alter Ego?

Fragen überschlagen sich in meinem Kopf, vorangetrieben von den jazzigen, hämmernden, dynamischen, gelegentlich dissonanten Schlagzeug-Klängen des Musikers Antonio Sánchez. Gags rauschen an mir vorbei, sei es in Form feister Seitenhiebe auf die Geldmaschinerie Hollywoods und auf das hochnäsige Theatergehabe oder im Kleide kerniger Situationskomik. Die Figuren handeln von Minute zu Minute ikonischer, obschon ihre Darsteller nie die Bodenhaftung verlieren. Die Akteure sagen symbolbehaftete Monologe auf, gleichwohl bleiben die Beziehungen zwischen ihren Rollen glaubwürdig. Wie virtuos dieser Spagat doch ist, wie packend Emma Stones weitäugige, innerlich zerrissene, hingebungsvolle Leistung als Riggans manische, nein, erschütternd hellsichtige, nee, innerlich kaputte Tochter!

Stone verausgabt sich, die Kamera irrt im Theater umher, Riggan verliert sich immer tiefer im Kampf mit sich und seinem Stück und ich ringe mit mir. Bin ich weiterhin Filmkritiker, oder bloß noch staunender Betrachter?! Mein hyperkritischer, distanzierter „Kollege“ würde mir wohl etwas geigen, würde ich dies hier als Kritik bezeichnen. Jedoch: „A thing is a thing, not what is said of that thing!“. So steht es auf dem Spiegel in Riggans Garderobe gekritzelt. Und das hier ist eine Auseinandersetzung mit den Leistungen von Birdman. Eine Wiedergabe, wie in diesem cineastischen Glanzstück Wahrheit und Wahn zusammenspielen, Kunst und Kappes, Hommage und kritische Betrachtung. Und das habe ich nunmehr geleistet, oder?! Oder habe ich vielleicht mehr getan? In dem Fall habe ich es nicht mitbekommen.

Aber ist nicht gerade das die Macht der Ahnunglosigkeit?! Kra-Krah!


Inherent Vice – Natürliche Mängel

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Schall und grüner Rauch: Joaquin Phoenix ist auf Droge und ermittelt während der 70er als Privatdetektiv in einem undurchschaubaren (und streng genommen unbedeutenden) Kriminalfall.

Thomas Pynchon ist im deutschen Sprachraum nicht der geläufigste Name, doch in den USA gilt der Schriftsteller als bedeutender Vertreter der literarischen Postmoderne. Seine weitestgehend von Paranoia handelnden Romane legen mehr Wert auf einen komplexen sprachlichen Stil und eine dichte Erzählweise als auf einen klar ersichtlichen Inhalt. Und dies mit Intention: Die 2009 veröffentlichte Detektivgeschichte Natürliche Mängel versetzt den Leser mit ihren Aus- und Abschweifungen, subtilen Skurrilitäten sowie wirren Wendungen in den Bewusstseinszustand eines dauerbekifften Möchtegernermittlers. Als komplexe, äußerst gemächliche und verkopfte Erzählung ist dieses Buch quasi unverfilmbar – oder alternativ geradezu wie geschaffen für eine Filmadaption durch den Regievirtuosen Paul Thomas Anderson. Oder, um eine dritte Option zu nennen, eine knifflige Aufgabe für stringent handelnde Regisseure und zugleich regelrechtes Gift für das Schaffen des Kaliforniers. Denn durch solch eine Vorlage angetrieben droht der minutiös schildernde, intellektuelle Filmschaffende erstmals übers Ziel hinauszuschießen.

Los Angeles. Es ist das Jahr 1970: Der ständig bekiffte (Möchtegern-)Privatdetektiv Larry 'Doc' Sportello (Joaquin Phoenix) lebt unbekümmert in den Tag hinein, lediglich von den gelegentlichen Überraschungsbesuchen des manischen Cops Christian 'Bigfoot' Bjornson (Josh Brolin) in seiner Ruhe gestört. Dann aber platzt seine Ex-Freundin Shasta Fay (Katherine Waterston) in seine heruntergekommene Strandwohnung und überhäuft ihn mit verwirrenden sowie beunruhigenden Informationen. Demnach soll ihr neuer Lover, der Immobilienhai Mickey Wolfmann (Eric Roberts), entführt und in eine Irrenanstalt eingewiesen werden. Doc bekommt den Auftrag, dies zu verhindern, aber im Laufe seiner Ermittlungen manövriert er sich bloß von einer Sackgasse zur nächsten. Alsbald ist auch Shasta wie vom Erdboden verschluckt. Doc weiß nicht wie ihm geschieht, er weiß nicht, ob er in Bigfoot einen Vertrauten oder einen Widersacher hat und eigentlich weiß eh niemand, was genau sich abspielt …

Kurz hat sich Paul Thomas Anderson selten gefasst. Vier seiner sechs vor Inherent Vice – Natürliche Mängel veröffentlichten Regiearbeiten weisen eine Laufzeit von mindestens 144 Minuten auf, und auch sein Rücksturz ins (späte) Hippie-Zeitalter macht keinerlei Anstalten, zügig voranzuschreiten. Zumindest lässt sich der Arthaus-Favorit nicht vorwerfen, die Langsamkeit zum Selbstzweck ernannt zu haben. Sein Ensembledrama Magnolia hat mehr als genug Plot für drei Stunden Spielzeit zu bieten, Boogie Nightswidmet sich haarklein dem schillernden, geschäftigen und abgründigen Pornogeschäft und There Will Be Blood sowie The Master sind intensive, atmosphärische Porträts komplexer Persönlichkeiten. Kinogänger, die ausreichendes Interesse für Andersons Themen mitbringen, werden in diesen Werken daher mit einem außergewöhnlichen, geistreichen Seherlebnis belohnt.

Inherent Vice hat zwar mit den genannten cineastischen Errungenschaften gemeinsam, dass das gemäßigte narrative Tempo Methode hat, jedoch unterscheidet sich der Neo-noir-Kifferkrimi darin frappierend von Andersons vorherigen Filmen, welche Methode er genau verfolgt. Das Slacker-Tempo dient vornehmlich dazu, den Zuschauer in einen ähnlichen Geisteszustand zu versetzen wie die von Phoenix mit Behäbigkeit und kühlem Witz gespielte Hauptfigur. Um Doc herum geschehen wahnsinnig viele und teils auch im wortwörtlichen Sinne wahnsinnige Dinge, jedoch er reagiert darauf fast ausschließlich mit der Brisanz einer Schnecke, die sich durch Molasse kämpft. Einzelne Sequenzen spielen sich in aller Ausführlichkeit ab, zwischen ihnen kann der Plot aber zuweilen abrupte Richtungswechsel begehen, ohne dass es Doc (oder auch das Publikum) auf Anhieb registriert. Das ist zweifelsohne eine interessante Herangehensweise, zumal sie der Vorlage gerecht wird und im Setting verwurzelt ist. Dessen ungeachtet ist sie für eine noch enger gesteckte Zielgruppe geschaffen als Andersons übliches Œuvre.

Der Zugang zu Docs an abwechslungsreich abgehalfterten Schauplätzen stattfindende Odyssee wird wenigstens durch einen stimmigen Soundtrack erleichtert. Dieser setzt sich aus groovigen Songs und effektiven, aber nicht lang haften bleibenden Instrumentalstücken Johnny Greenwoods zusammen. Besondere Nennung haben sich jene berauschende Momente verdient, in denen minutenlang Lieder mit prägnanten Drums der von ihnen untermalten Szenen spürbar den Takt vorgeben. Auch Mark Bridges' ausdrucksstarkes, sich nie in den Vordergrund schiebendes Kostümdesign stärkt die Wirkung von Inherent Vice, während die diversen Gastauftritte großer Hollywood-Schauspieler oftmals die ihrige Verfehlen. Von den Randdarstellern hinterlässt allein ein (wie so oft) aufgedrehter Martin Short (Vater der Braut) einen nennenswerten Eindruck.

Generell ist Inherent Vicein seinen eigenwillig-humorigen oder staubtrocken-grotesken Phasen überzeugender, als in jenen, die sich hintersinnig mit dem Absterben der Hippie-Kultur und den zerstörerischen Zyklen der (US-)Gesellschaft befassen. Daher ist Josh Brolin der wertvollste Player dieser 20-Millionen-Dollar-Produktion, darf er doch am meisten chargieren und so nicht nur die vielfältigste Figur erschaffen, sondern auch als wandelnde Stütze der unberechenbaren Filmstimmung dienen.

Mit überhöhten Figuren und Dialogen, die mehr wie gedruckt, denn wie gesprochen sind, sowie einer ultrapessimistischen Weltsicht einerseits, Kifferlogik, einem Lahmarsch-Helden und exzentrischem Witz ist Inherent Vice letztlich eine ganz seltsame Mixtur: Ein Teil Ridley Scotts Hochglanz-Noir The Counselor, ein Teil Coen-Brüder-Kultkomödie The Big Lebowski, ein Teil Andersons sinnierendes Sektendrama The Master. Manchen wird beim Versprechen solch einer Hausmischung das Wasser im Munde zusammenlaufen. Andere dürften schon anhand dieser Beschreibung erahnen, dass sie lieber abstinent bleiben.

Fazit: Eine kryptische Story, die ins Nirvana verdampft, und eine unerklärliche Figurenbrigade treffen auf bewusstseinserweiternde (oder eher bewusstseinserweichende) Poesie sowie schrägen Humor. Einzigartig. Und wahrlich kein Filmstoff für jedermann!

Ted 2

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Der Unterschied zwischen "einen Film mögen" und "einen Film gut finden" ist schwer zu erläutern. Sofern er denn existiert, denn so einige Filmfreunde bezweifeln arg, dass solch eine Differenzierung möglich ist. Ich aber erhebe vehement Einspruch gegen diese These. Mir scheint es durchaus möglich, Film A mehr zu respektieren und Film B mehr Zuneigung zukommen zu lassen. Dass ausgerechnet die Rüpelkomödien rund um den kiffenden, schimpfenden, vulgären Stoffbären Ted mir eine Steilvorlage liefern, um diesen Unterschied zu skizzieren, kann ich selbst kaum fassen. Aber so sehr meine Perspektive auf Ted und Ted 2 auch von geringer Begeisterung geprägt ist: Das bisschen positive Attitüde, die ich für Seth MacFarlanes Komödienreihe aufbringen kann, variiert bei Teil eins und Teil zwei radikal!

Die Faszination hinter dem Original will sich mir nämlich so überhaupt nicht erschließen. Ich kann kaum über die Erlebnisse von John (Mark Wahlberg) und seinem besten Kumpel, Kuschelbär Ted, lachen. Der altbekannte Plot des nicht erwachsen werden wollenden Mannes, der sich für die Liebe seines Lebens (Mila Kunis) mit dem in ihm schlummernden Potential auseinandersetzen muss, entwickelt kaum neue, eigenständige Ideen und zieht eh regelmäßig den Kürzeren, um Teds Vulgärhumor Platz zu verschaffen. Der Reiz eines derben Teddybären geht mir aber rasch verloren. Dennoch ist mir das Einspielergebnis von annähernd 550 Millionen Dollar weltweit kein Dorn im Auge. Ich muss mir Ted so rasch wahrlich nicht noch einmal anschauen, und großen Spaß hatte ich bei meiner einzigen Sichtung auch nicht. Aber ich habe mich auch nicht gelangweilt (dafür ist Ted dann im Gegensatz zu A Million Ways to Die in the West zu flüssig erzählt) und ich kann respektieren, dass viele Kinogänger Freude am locker-flockigen Zusammenspiel des knuffigen Wahlbergs mit seinem CG-Kollegen haben. Die altbekannten Storypunkte trifft Ted wenigstens mit einer grundlegenden Ehrlichkeit und die Cameos sind gut eingesetzt. Kurzum: Ich mag all das nicht, habe aber ein ausreichendes Maß an Achtung vor Ted.

Drei Sommer nach dem überraschenden Siegeszug von Ted kommt der unerzogene Flauschkumpel zurück auf die Leinwand. Und muss eine kleine Schlappe hinnehmen. Anders als etwa Hangover 2, der an den Kassen den Erstling weit hinter sich ließ, schreibt Ted 2 deutlich kleinere Zahlen als sein Vorgänger. Die positiven Kritikerstimmen sind ebenfalls rarer gesät, und ich kann sehr gut erkennen, womit sich Ted 2 seine durchwachsenere Rezeption verdient hat.

Allein schon der Umstand, dass Mila Kunis' Figur nach allem (versucht) romantischen Hokuspokus aus Teil eins rausgeschrieben wurde, ist kein netter Zug den Fans gegenüber. Gewiss, dass Kunis zur Drehzeit schwanger war, drängte MacFarlane in eine Ecke, dennoch wird der Plot des Originals in Ted 2 durch ihre Abwesenheit und die begleitende Erklärung mit Füßen getreten. Und auch die zentrale Story von Ted 2 ist nicht die stringenteste. Wird das Original relativ zielstrebig erzählt, plagt Ted 2 das unkonzentrierte Chaos, das schon MacFarlanes Comedywestern qualitativ runter gezogen hat. Nach einem Prolog, der Ted und seine Freundin Tami-Lynn bei einer innigen Hochzeit zeigt, suhlt sich MacFarlane erst in zwei ellenlangen Szenen, die das Paar gegeneinander aufbringen. Es ist zu überzogen, um Sorge um die zerstörte Liebe zwischen ihnen zu erzeugen, aber zu angestrengt und eintönig-aggressiv, als dass es lustig wäre. Daraufhin kommt die Idee eines gemeinsamen Kindes auf, ab dann wird die Krise zwischen Ted und Tami-Lynn nie wieder angerissen. Und auch die Hoffnung, ein Kind zu bekommen, tritt in den Hintergrund, sobald Teds Status als Person angezweifelt wird. Der eigentliche Plot startet: Ted kämpft vor Gericht um seine Rechte - unterbrochen von sketchartigen Einlagen die mal treffen, mal völlig versacken. Und zudem unterbrochen von einem selten zündenden Subplot mit Giovanni Ribisi, der wieder den verpeilten Donny spielt, der Ted ganz für sich haben will. Dieses Mal mit Hilfe von Hasbro - was lästiges Product Placement provoziert, aber auch mutig vom Spielwarenkonzern ist, denn wann wollen große Firmen schon in einem Film als Schurken dargestellt werden?

Aus handwerklicher Sicht sehr ernüchternd ist zudem, dass viele Gags aus Ted 2 bereits in Family Guy zu sehen waren, teils sogar 1:1 in der nun im Kino gezeigten Form. Von einem Soul singenden Ted, einer Improcomedy-Sabotagenummer hin zu einer John-Hughes-Hommage: Resteverwertung ist MacFarlane hier wahrlich nicht fremd. Diese Faulheit äußert sich sogar im Sounddesign: Nach dem Prolog über Teds Hochzeitsfeier erfolgt eine Vorspannszene in bester Busby-Berkeley-Manier mit Showbühne, Glitzer, Zylindern, Fracks und Steppeinlagen. MacFarlane, der lautstarker Liebhaber des alten Hollywoods ist, verkneift sich hier jegliche ironische Überhöhung und vulgären Ausrutscher, was vielleicht am Zielpublikum vorbeigedacht ist, aber per se charmant. Doof nur, dass diese Szene auf akustischer Ebene nur aus einem Instrumentalstück besteht - und völlig ohne sonstige Klangeffekte. Ted wirbelt durch die Gegend, haut mit einem Stock über die spiegelglatte Fläche, jedoch ist nichts zu hören, wodurch die Tanzeinlage leer und nichtig wirkt. Der Moment geht zwar vorbei, steht aber stellvertretend für eine gewisse Nachlässigkeit in der Umsetzung dieses Films. Erschwerend kommt letztlich hinzu, dass Ted 2 zwar mehrere Minuten länger ist als der Erstling, aber spürbar kürzer als der Vorgänger hätte sein sollen, ist das Sequel klar schwächer gemacht. Gewissermaßen ein Film, der weniger Achtung verdient.


Dennoch: So sehr ich die handwerklichen und erzählerischen Schwächen von Ted 2 sehe, die ihn abschwächend vom grundsolide erstellten Ted abgrenzen, so habe ich das Sequel beim Anschauen mehr genossen. Ich würde es auch eher wieder anschauen als den Erstling. Zum einen, weil es zwar faul von MacFarlane ist, viele Gags aus Family Guy zu recyceln, ich die Tricksitcom aber schon seit langer Zeit nicht mehr schaue und über die "geklauten" Witze im Kontext dieses Films gut lachen konnte. Insbesondere die Impro-Comedy-Club-Einlage wird wunderbar trocken rüber gebracht. Darüber hinaus scheint sich Amanda Seyfried in ihrer Rolle deutlich mehr zu genießen als Mila Kunis in ihrem Ted-Part, was für mich eine ansteckende Wirkung hat. Die großäugige Blondine bringt eine Herzlichkeit mit in den Film und ein Engagement, das selbst einige ihrer lahmeren Sprüche wenigstens in Schmunzler verwandelt. Dass ich ihr zudem die Rolle der unerfahrenen, jedoch überzeugten Junganwältin abkaufe und sie darüber hinaus in den Gerichtsszenen mit Material hantiert, das für eine Justiz-Kiffer-Vulgärkomödie überraschend handfest-ehrlich geschrieben ist, macht aus Seyfrieds Präsenz endgültig einen saftigen Pluspunkt.

Auch Wahlberg gefällt mir in Ted 2 mehr als in Teil eins. Seine Figur ist nun zwar überzeichneter und verpeilter, allerdings mag ich Wahlberg als großen, kindischen Dummkopf. Seine Missgeschicke in der Samenspender-Klinik oder während des Trips quer durchs Land haben mir daher mehr Kurzweil beschert als die eher standardmäßigen, wenngleich charakterlich konsistenteren Eskapaden im Original. Überhaupt sind es zumeist die haarsträubenderen Momente von Ted 2, die mir zusagen. Wobei hier auch die Plage anzutreffen ist, die verhindert, dass ich diese Komödie auch nur im Ansatz zu meinen Lieblingsfilmen des Jahres zu zählen: Ja, ich kann über die Jurassic Park-Parodie, Seyfrieds Gesangseinlage (und die Reaktion der Fauna darauf), und diverse bescheuerte Running Gags lachen. Aber MacFarlane treibt all diese Späße nach dem Lacher weiter und weiter, so dass es in Ted 2 zu einigem Leerlauf kommt, den ein guter Cutter mit genügend Freiraum hätte tilgen können. Einzig ein gewisser Cameo eines Actionhelden läuft genau so lang, wie er sollte!

Deshalb bleibt Ted 2 ein mir sympathischer, makelbehafteter Film, den ich mir in einigen Monaten nochmal anschauen werde. Bei dem ich aber sehr gut verstehen kann, wieso er unter den finanziellen Erwartungen läuft, und bei dem ich kaum sagen kann "der arme Film, das hat er nicht verdient!"

Entengeschnatter: Einfach mal drauf losgequakt

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Das liebe Glück: Antje und Sidney podcasten endlich wieder mit Stephan, ZACK, Sidneys Laptop ist im Eimer. Mühevoll konnte die Aufnahme gerettet werden. Und daher wollen wir alles aus dieser Aufnahmesession schröpfen!

Bevor es also in der nächsten Ausgabe um ein kohärentes Thema geht, hören wir nun dem eingespielten Trio zu, wie es sich in Stimmung bringt. Antje spricht von seltsamen Kraken, Stephan fragt Sidney und Antje, wie sie Fifty Shades of Grey fanden und Sidney hat lustige (?) Ideen!

Problembewältigung à la Donald

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Kann uns ausgerechnet der Wutnickel unter den Disney-Helden beibringen, wie wir mit den Tücken des Schicksals umgehen sollten? Ich behaupte: Ja, verquackt noch eins!

All seine Verwandten machen sich dessen schuldig. Generationen von Gelegenheitslesern und -zuschauern. Und sogar seine Legionen von Fans müssen sich folgenden Schuh anziehen: Donald Duck wird gewaltig unterschätzt. Er wird als jähzorniger Faulenzer betrachtet, mit einem ungeheuerlich schwachen Charakter. Aber wenn wir uns Donald und seine unausgesprochene Lebensphilosophie mal genauer betrachten, müssen wir erkennen: Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Lebenskünstler. Zugegeben, weit hat er es in Entenhausen nicht gebracht. Donald ist kein Lebenskünstler, wie sie in Kitschfilmen und -romanen beschrieben werden, keine sich selbst erschaffende Ikone, die es langfristig vom Tellerwäscher zum Millionär bringt. Der Matrosenjäckchenträger ist kein leuchtendes Vorbild, wie wir unsere berufliche Karriere zu meistern haben. Was nicht einmal zwingend seine eigene Schuld ist, denn wer in einem von seinem eigenen, keine Konkurrenz duldenden, ganz und gar nicht gönnerhaften Onkel regierten Wirtschaftssystem lebt, kann sich nicht zu voller Karriereblüte entwickeln. Aber Donald ist ein Lebenskünstler in Belangen, die uns alle etwas angehen. Eine sich selbst nicht als solche erkennende Leitfigur, die vorführt, wie wir uns den unvorhersehbaren, unbezwingbaren, unerträglichen Wenden und Stolperfallen unserer Biografie zu stellen haben.

Pech, Pech, nichts als Pech. Wenn etwas schiefgehen kann, so ist bei Donald über kurz oder lang garantiert, dass das Unglück ihn ereilen wird. Jedoch ist es nicht bloß so, dass Donald bei Tombolas leer ausgeht, sich mit dem Hammer den Daumen zu Brei haut und seine geliebte Klapperkiste 313 genau dann den Geist aufgibt, wenn er dringend auf sie angewiesen ist. Dieser einzigartige Erpel befindet sich mit seiner gesamten Lebenssituation in einer (vertickten, vertrickten und ) vertrackten Grauzone. Er wohnt in einem respektablen (wenngleich von Schulden erdrückten) Haus, eine große Familie, die im ärgsten Notfall zusammen hält und er hat keine tödliche, unheilbare Krankheit. Er hat also zu viel, um als absolut hoffnungsloser Fall zu gelten. Doch er hat sein Herz an Daisy Duck verloren. An seine Dauerverlobte, die sich nicht vor den Altar zerren lässt und keine Gelegenheit versäumt, Donald durch Flirtereien mit dem adretten Schnösel Gustav Gangs eifersüchtig zu machen oder ihm direkt mit dem sofortigen Beziehungsaus zu drohen. Er hat einen Onkel, der ihn ausbeutet, dem er sich aber niemals widersetzen könnte, da er zu mächtig ist. Wodurch Donalds Arbeitssituation, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, kaum auszuhalten ist. Seine Schwester Della ist verschollen oder gar tot, weshalb ihre Drillinge bei ihm eingezogen sind - Dankbarkeit dafür, dass er Ersatzvater spielt, erhält er aber nahezu niemals. Und seine Freunde? Also, er und Micky Maus haben sich schon vor Jahrzehnten auseinandergelebt, seither eint sie praktisch bloß noch das Konkurrenzdenken. Goofy ist eher ein Freund besagten Freundes, Vetter Dussel stellt nur Chaos an, mit Erfinder Daniel Düsentrieb ist er noch immer beim "Sie" und wo sie José Carioca und Panchito Pistoles so herum treiben, davon bekommt Donald kaum noch etwas mit. Angespanntes Liebesleben, komplizierte Familienverhältnisse, erschöpfende Arbeitssituation. Zu viel Negatives, um Donald beneiden zu können. Und alles zu knifflig, um mit dem Zeigefinger in eine bestimmte Richtung zu zeigen und ihm zu sagen "Ändere einfach DAS!"

Ente in Blau: Donald, ganz niedergeschlagen. Ein seltener Anblick.

Und dennoch. Nach über 150 Cartoons und mehr Comics, als ein Mensch wohl jemals lesen könnte, begegnen wir diesem Erpel noch immer nur in den seltensten Fällen, wenn er völlig am Boden angelangt ist. Mit dem Kopf gen Süd gerichtet, mit verregnetem Lebensmut und deprimiertem Gedankengut. Gewiss, wenn sich all seine Dauerprobleme zur gleichen Zeit vorübergehend intensivieren, erlaubt sich auch Donald einen Tag in tiefschwarzer Stimmung (siehe etwa Don Rosas Kein Tag wie jeder andere). Dies aber stellen extreme, rare und vor allem extrem rare Ausnahmesituationen dar. Wie aber geht unser zorniger, wutgeladener und aufbrausender Liebling unter den Ducks mit all dem um, was ihn von Tag zu Tag plagt, mit den Dingen, die sein Leben prägen und schwer zu verlassene Bahnen lenken?

Ausgerechnet er, dieser in Augen seines Umfelds unbelastbare, rasch an die Decke gehende und nichtsnutzige Kerl, nimmt all sein Leid. Und lebt damit. Sein Lebensgrundgefühl ist nicht das große Wehklagen. Er schiebt die Schuld und die Verantwortung nicht unentwegt auf andere. Er lässt andere nicht im Stich, weil sie ihn zuletzt nicht genügend aufmunterten. Er keift nicht einmal rund um die Uhr, weil ihm nicht so geschieht, wie er es verdient hätte. Donald weiß, dass zum Erfolg Willen, Geschick, aber auch Glück gehören. Er versucht sein Bestes, und dass es dennoch nicht sein soll, bricht ihm nicht etwa metaphorisch das Genick. Nein. Er watschelt unbekümmert durch sein Leben. Donalds Grundstimmung ist, tatsächlich: Freudigkeit. Mit einem Lächeln auf dem Schnabel manövriert er sich durch seinen steinigen Lebensweg.

Die übermächtigen Konstellationen in seiner Biografie, die großen Ungerechtigkeiten stimmen ihn nicht missmutig. Er ist noch immer da, versucht weiter, sich seine wohlverdiente Lebensqualität zu sichern. Tag für Tag aufs Neue. Mit beschwingter, wonniger, Gemütseinstellung. Ungerechtigkeiten und Dinge, die nicht in meiner Macht stehen, ich verschwende keinen Gedanken an euch!

Ja, das hier ist Disneys wuterfüllteste, vom Pech am meisten verfolgte Figur. Dieser Erpel muss Nerven wie Drahtseile haben, dass er noch immer so fröhlich ist!

Aber wenn Donald all sein Leid, seinen Frust, die Dillemmata, die ihn zurückhalten, einfach so hinnimmt, müsste er dann nicht elendig krepieren? Welcher gestandene Enterich, geschweige denn Mensch, kann all sein Unglück einfach runterschlucken, ohne irgendwann einen emotionalen Tumor zu entwickeln, der eben diese Lebensfreude zerstört, die Donald aufweist? Die Antwort: Natürlich kann sich niemand zum Spielball zahlloser Gemeinheiten machen lassen, ohne je aufzumucken. Ewig alles in sich reinzufressen ist unfassbar schädlich. Sich gegen ein Axiom im eigenen Leben aufzulehnen aber vergebene Liebesmüh. Und somit auf Dauer noch frustrierender.

Genau hier kommt Donalds berühmt-berüchtigtes Temperament zum Zuge. Es hält Donald davon ab, apathisch zu werden. Und es bewahrt Donald davor, sich selbst so konsequent in eine Frustsituation zu manövrieren, bis es zu einer nachhaltig schadenden Kurzschlussentscheidung kommt. Wenn ihn kein chronisches Problem ereilt, sondern eine akute Nichtigkeit, dann lässt Donald endlich seinen angestauten Emotionen freien Lauf, tobt jene Bereiche seiner Synapsen frei, die er betäuben musste, um nicht an den Dornenspitzen seines Daseins zugrunde zu gehen. Unendliche Wut über Daisy, Dagobert oder den verkorksten Entenhausener Arbeitsmarkt? Nutzlos. Aber wenn sich Donald selber ausschließt oder ein kleines Vögelchen seinen frisch lackierten Wagen zusaut, dann quakt er sich all seinen Frust von der Seele. Mit unbändiger Energie und feuerrotem Kopf brüllt er dieses kleine Problem nieder. Manche würden sagen, er reagiert über. Doch man kann es auch so sehen: Er reagiert  angemessen kurz und knapp auf eine kleine, unbedeutende Sache. Ja, er reagiert laut und bestimmt. Aber oft genug löst er dabei das Problem. Und jedes Mal schafft er sich damit Energie, größere Dinge durchzustehen. Ein kleiner Tobsuchtsanfall, und dann kann er ohne Weltschmerz weiterleben!

Lieber unlösbare Probleme durchstehen und kleine Probleme niedertrampeln, als wegen unlösbarer Probleme an die Decke zu gehen und sich kleine Störfaktoren so lange so nahe gehen zu lassen, dass auch sie unmöglich zu erdulden sind. Oder? Also ich finde,wir sollten öfter auf die Suche nach unserem inneren Donald gehen. Vielleicht wird die Welt so ein kleines bisschen besser. Man muss den watschelnden Wutbolzen ja nicht 1:1 nachahmen. Aber ein Quentchen Donald, das sollte drin sein!

Waldbühne Berlin: Disney in Concert

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Es gibt kein Filmstudio, das so magische Produktionen erschafft wie Disney. Und es gibt kein Studio, dessen Werke der Welt so unvergessliche Melodien bescheren, wie die aus der in Burbank beheimateten Traumfabrik. Ergo: Es gibt keine magischeren Klänge als Disney-Musik. Insofern ist es verwunderlich, dass Disney jahrzehntelang zwar Eiskunstlaufshows um den Globus touren ließ, während sich der 1923 gegründete Traditionskonzern in Sachen Konzertveranstaltungen eher zurückhielt. Mittlerweile werden aber verstärkt Disney-Konzertreihen angeboten, wobei diese im deutschsprachigen Raum bislang primär dem Schema einer Event-Kinovorführung folgten: Ein Film aus dem Disney-Archiv wird in einer Philharmonie auf einer Riesenlandwand gezeigt, während ein Orchester live die Musikspur rekreiert. Mit der Fluch der Karibik-Reihe und Fantasia ging dies bereits auf Tournee, in München wurde zudem Tim Burtons Alice im Wunderland auf diese Weise zelebriert.

Diesen Sommer ging Disney in Concert endlich den nächsten Schritt: Erst in Leipzig, am 11. Juli dann auch vor der traumhaften Kulisse der Waldbühne Berlin, gab es ein waschechtes Disney-Konzert zu bestaunen. Ein bunter, vielseitiger Mix aus beliebten Disney-Instrumentalstücken und -Songs, live dargeboten von einem Symphonieorchester und talentierten Sangeskünstlern. Die obligatorische Bewegtbildbegleitung auf einer Leinwand blieb auch diesem Event erhalten, von zwei Fantasia-Ausschnitten abgesehen waren diese aber nicht sklavisch an die Livemusik gebunden, sondern sollten nur zur visuellen Bereicherung und zur Verstärkung der Atmosphäre gedacht.

Und was soll ich sagen ..? Disney in Concert auf der Waldbühne Berlin stellte nicht nur vom Grundkonzept her den nächsten Schritt in Disneys hiesiger Konzerthistorie dar: Es war auch qualitativ ein gewaltiger Sprung nach vorne. Dabei bin ich ja schon inniger Fan der bisherigen Disney-Konzerte. Aber so wundervoll wie dieses Konzert war bislang keine Disney-Veranstaltung, die ich auf deutschem Boden erleben durfte!

Dies ist unter anderem dem Moderator zu verdanken: Steven Gätjen, der 2014 schon The Sound of Hollywood moderierte, führte mit einer idealen Balance aus seriöser Eleganz und verspielter Albernheit durch das Programm. Er streute genügend Informationen ein, um die Zuschauer, die keinen Abschluss in Disneyologie haben, kurzweilig weiterzubilden, und verzichtete zugleich auf Banalitäten, die mich als Disney-Narren gelangweilt hätten. Und so lustig seine Anekdoten von Disney Filmparade-Drehs oder kuriosen Hintergrundfakten über diverse Disney-Filme waren, raubte der Schlag den Raab-Moderator der Veranstaltung nie ihre märchenhaft-umwerfende Ausstrahlung. Im Gegenteil: Mit einer ehrfürchtigen Verneigung vor Walt Disney und authentischen Schwärmereien für seine Lieblingsstücke des Abends gab Gätjen mit seinen Moderationen dem Abend den letzten Schliff.


Aber ein Konzert ist nur dann ein gelungenes Konzert, wenn die musikalischen Aspekte stimmen. Also die Auswahl der dargebotenen Stücke und deren Umsetzung. Und auch in dieser Hinsicht bin ich voll des Lobes! So gelang den Verantwortlichen mit der Setlist das diffizile Kunststück, einerseits dem nach Hits hungernden Publikum einige der wichtigsten, größten Disney-Nummern zu kredenzen. Und andererseits die nicht ihr ganzes Leben nach Disney ausrichtenden Besucher auch mit unbekannten Melodien zu überraschen und so Unerwartetes, Neues zu bieten. Für mich als Disney-Freak derweil war es eine tolle Mixtur aus den obligatorischen Klassikern und immer wieder gern gehörten Stücken aus weniger offensichtlichen Kompositionen, bei denen ich mich stets freue, wenn sie Aufmerksamkeit erlangen. So mischten sich in die instrumentale Ouvertüre, die einige der größten Mary Poppins-Hits und auch Melodien aus Peter Pan und Cinderella umfasste, hierzulande kaum bekannte Stücke wie Zip-A-Dee-Doo-Dah und der Mickey Mouse March. Während die Disney-Renaissance mit einem Arielle-Medley, Das Farbenspiel des Winds aus Pocahontas, einer Suite zu Die Schöne und das Biest sowie einem Gänsehaut erzeugenden Der König der Löwen-Querschnitt auf ihre Kosten kam, sowie mit einem Mini-Aladdin-Medley plus einem Auftritt der Hauptdarsteller des kommenden Aladdin-Musicals in Hamburg, wurden auch Erfolge der jüngeren Jahre geehrt, Es gab einen fetzigen Durchmarsch durch die wichtigsten Stücke des ersten Fluch der Karibik-Teils, aus Rapunzel gab es Endlich sehe ich das Licht zu hören und zum krönenden Abschluss fegte Lass jetzt los aus der Eiskönigin alle davon. Außerdem gab es aus Fantasia 2000 die Karneval der Tiere-Sequenz zu sehen und zu hören. Die Walt-Disney-Ära bediente man mit dem Zauberlehrling, I Wanna Be Like You aus Das Dschungelbuch, einem gesungenen Mary Poppins-Medley und mit dem ultraspaßigen Ohrwurm aus der Hölle Diese Welt ist klein, so klein.

Wer nun denkt "also doch nur große Hits" ist erstens disneyaffiner als mancher Konzertbesucher und muss zweitens bedenken, dass die Medleys eben nicht nur die auffälligeren Lieder der jeweiligen Filme absteckten. Sondern auch kleinere Instrumentalstücke oder originell arrangierte Abwandlungen von Songs. Überhaupt war das Arrangement top: Mal ganz nah am Film, mal lehnte man sich leicht aus dem Fenster, ohne solche Katastrophen wie auf dem Tribute-Album I Love Disney zu verursachen. I Wanna Be Like You (gesungen von einem toll aufgelegten Michael Patrick Kelly) oder eine deutschsprachige, orchestrale, hochromantische Spielvariante der Radiopop-Singleauskopplung von Die Schöne und das Biest bleiben da besonders wohlig in Erinnerung. Dass Popsänger Chima die neue Textversion von Unten im Meer gesungen hat, mag ich derweil nicht als seine Schuld sehen (da hat sicher irgendwer von Disney seine Finger im Spiel gehabt), aber Text hin oder her, seine Interpretation konnte sich leider nicht ganz zwischen Charts, Reggae und Filmtreue entscheiden. Noch immer gut, aber an einem Abend voller Brillanz leider die klare Schwachstelle.

Die wahren Stars des Konzerts waren aber eh nicht die größeren Namen. Ja, Annett Louisan säuselte eine süße Variante der Rapunzel-Ballade (und das sage ich als jemand, der mit ihren Chartnummern sehr selten was anfangen kann), jedoch haben sich die Veranstalter einen Orden für die vier "Hauptinterpreten" verdient! Musicalstar Lars Redlich, Lucy Scherer vom Berliner Stadttheater, die belgische Disney-Synchronstimme Deborah de Ridder und Theater-Multitalent Veit Schäfermeier sorgten zwar nicht mit ihren Namen für Begeisterungsstürme, aber dafür umso mehr mit ihren Auftritten. Fantastische, wandlungsfähige Stimmen und beschwingte, aber nie aufgesetzte Performances, deren Energie bis in die hinteren Ränge zu spüren war. Einfach großartig! Stellenweise fühlte ich mich wieder direkt in die begnadeten deutschen Synchronfassungen der Disney-Klassiker versetzt  - und wenn jemand wie Lucy Scherer (die Redselige des Quartetts) überzeugend sowohl Pocahontas als auch eine deutsche Celine Dion sowie Elsa zum Besten geben kann, dann muss ich mir einfach erst einmal einen Hut kaufen, damit ich ihn dann voller Staunen ziehen kann! Doch Scherers Kollegen zeigten ebenfalls eine formidable Bandbreite, verschmolzen einerseits mit der Vorlage, gaben ihr aber zugleich eine eigene, neue, persönliche Note mit.

Kurzum: Es gibt für mich nur einen ernstzunehmenden Kritikpunkt am Berliner Disney in Concert. Ausnahmsweise dachte Disney nicht geldgierig genug! Das muss man sich erst einmal vorstellen! Wieso kann man sich keine Live-CD von diesem Event kaufen, weshalb wurde es nicht im Disney Channel übertragen und wen muss ich erpressen, damit es eine mit Bonusmaterial vollgestopfte Konzert-Mitschnitt-Blu-ray zu kaufen gibt? Ich will mir diese Darbietungen immer und immer wieder anhören! Disney, du greifst doch immer nach meinem Geld, wieso nicht auch jetzt?!

Und auf die Gefahr hin, dass ich mich darüber im nächsten Jahr wieder ärgern werde, sollte es denn wieder eine solche Veranstaltung geben: Ich gehe nochmal hin. Denn abseits der Disney-Parks ist es unmöglich, so gebündelte Disney-Magie zu tanken. Und selbst auf Disneys Grund und Boden ist es nicht durchgehend so supercalifragilisticexpialigetisch!

Manolo und das Buch des Lebens

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Wohl kein Film der vergangenen zehn Jahre beäugte unterhaltsamer und vortrefflicher, was es bedeutet, einen künstlerischen Schaffensdrang in sich zu tragen, als Brad Birds farbenprächtiges, eloquentes Meisterwerk Ratatouille. Der feinsinnige Animationsfilm aus den Pixar-Studios beinhaltet darüber hinaus eine ungenügend beachtete Erkenntnis darüber, woher erstaunliche Leistungen rühren können. Der Restaurantkritiker Anton Ego fasst es vorbildhaft zusammen: „Nicht jeder ist zum großen Künstler geboren, aber große Künstler werden überall geboren.“ Ebenso gut ließe sich festhalten, dass vielleicht nicht überall rühmenswerte Kunst erschaffen wird, rühmenswerte Kunst sehr wohl aber überall erschaffen werden kann.

Selten zuvor ließ sich mit den geistreichen Worten eines Trickfilms die formidable Leistung eines anderen besser beschreiben, als im Fall von Manolo und das Buch des Lebens. Denn eine bescheidenere Herkunft ist schwer vorstellbar, als die eben dieses entzückenden Geniestreiches, der quer durch ein quirliges Mexiko und ein in dieser Form bislang ungesehenes Reich der Toten führt. Hauptverantwortlich sind nämlich die Reel FX Creative Studios, die sich bislang keineswegs mit Ruhm bekleckerten. So wirkten sie unter anderem an den mechanisch animierten Jagdfieber-Fortsetzungen, dem viel gescholtenen 3D-Kuriosum Cirque Du Soleil: Traumweltenund der unausgereiften TrickkomödieFree Birds – Esst uns an einem anderen Tag mit.

Doch nun ist es an der Zeit, die Entdeckung unverhoffter Welten zu vermelden – genauer gesagt die Entdeckung bezaubernder Welten, geschaffen von den zuvor enttäuschenden Reel FX Creative Studios. Es gilt lediglich, einen Prolog hinzunehmen: Unbändige Kinder erhalten eine private Museumsführung und werden in mexikanische Mythen eingeweiht. Diese Rahmenhandlung ist pointiert erzählt und stimmt das junge Publikum sachte auf die folgende, fantasievolle Geschichte ein – ist aber aufgrund der undetaillierten Figuren und klinischen Lichtgebung visuell unbeeindruckend. Aber dies macht die Kernhandlung mühelos wett:

Tourguide Mary Beth erzählt den lärmenden Teenies die Geschichte dreier junger Freunde – Manolo, María und Joaquín, die im mexikanischen Dorf San Angel leben und den ständig streitenden Göttern La Muerte und Xibalba ins Auge stechen. Xibalba, davon gelangweilt über das Reich der Vergessenen zu herrschen, geht mit La Muerte eine Wette über das zukünftige Liebesleben des Trios ein. Sollte La Muerte diese verlieren, muss sie ihren Thron im glückseligen Reich der weiterhin erinnerten Toten für ihren garstigen Wettpartner räumen. Und so erhält das Leben von Manolo, María und Joaquín eine neue, unfassbare Bedeutung. Dabei sind ihre Lebenswege auch so schon aufreibend genug …

Dargestellt wird das bunte Treiben Manolos, Marías und Joaquíns, das sich nicht lang auf das Reich der Lebenden beschränkt, in einer hinreißenden Optik, die sich an mexikanischer Handwerkskunst orientiert. Die Lebenden sind gestaltet und animiert, als seien sie liebevoll bearbeitete Marionetten, die liebreizende La Muerte dagegen scheint eine zerbrechliche Zuckerpuppe zu sein. Die Hintergründe derweil wirken, als seien sie mit Hingabe aus Holzschnitzereien, kraftvoll gefärbten Stoffen und sonstigen Fundstücken folkloristischem Handwerk erbaut. Regisseur Jorge Gutierrez und seine Crew haben – bildlich gesprochen – einen provinziell-traditionellen Kunstmarkt geplündert und ihre Beute mit kindlicher Freude neu zusammengesteckt: Dies führt zu einer andersartigen, impulsiven und überbordenden Ästhetik. Es wäre nur zu leicht, Manolo und das Buch des Lebens für seine stürmische Kreativität zu kritisieren, sie als cineastischen Tumult abzutun.

In Wahrheit jedoch ist der Look dieser Guillermo-del-Toro-Produktion etwas Neues, etwas Mutiges, etwas, das tief in einem Begeisterung weckt, wenn man dieser einzigartigen Kreation nur die Chance dazu gibt. Das Neue braucht Freunde! Und gerade hier hat es sich auch redlich Freunde verdient; Manolo und das Buch des Lebensist mehr als bloß style over substance. Stilistik und Substanz bilden eine prächtige Einheit, schließlich versteht sich dieses rund 95-minütige Trickspektakel als reines Fest. Als Feier der mexikanischen Mythologie, als Lobeshymne auf individuelle Träume und unerschütterlichen Optimismus. Der energetische Soundtrack unterstreicht dies kongenial, indem er die weltenverbindende Handlung mit neuen Liedern und für den Film wieder ganz neu erfundenen Pop- und Rockklassikern bespickt. Zeitweise verschwimmen die Grenzen zwischen Liedern aus 'unserer' Welt und den Originalsongs sogar vollends, so findig sind die Neuarrangements der vermeintlich altbekannten Musikbeiträge!

Zweifelsfrei: Nicht jede Einzelheit ist rundum gelungen. Obwohl es sich bei Manolo und das Buch des Lebens um ein warmherziges Gagfeuerwerk handelt und die Figuren durch die Bank weg liebenswürdig sind, verpuffen manche Pointen auf Anhieb ins Nichts. Und bei allem bildlichen sowie klanglichen Innovationsdrang führt der Handlungslauf gelegentlich durch ausgetretenes Territorium. Nur wieso sollte dies den Gesamteindruck schmälern, wenn die Grundstimmung dieses feurigen Fantasy-Trips ebenso mitreißend wie außergewöhnlich ist? Die Reel FX Creative Studios haben durch dieses Abenteuer den Weg aus dem Reich der Vergessenswerten gefunden – und jeder Trickfilmliebhaber sollte ihnen daher Aufmerksamkeit schenken. Aber Vorsicht: Nach Manolo und das Buch des Lebens ist man womöglich mit einer zerreißenden Vorfreude erfüllt. Mit Freude auf Mehr!


Fazit: Ein Fest von einem Film! Der Trickspaß Manolo und das Buch des Lebens sorgt mit einzigartiger Optik, feuriger Musik und sympathischen Figuren für mehr Farbe im Kinoalltag.

Setzen, Sex: Fifty Shades of Grey

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Blau ist eine warme Farbe, erkannte 2013 eine französische Comicadaption, die sich einfühlsam der komplizierten Beziehung zwischen einer erfahrenen Lesbe und einer sich gerade selber entdeckenden Bisexuellen annimmt. Die freizügigen Sexszenen sind dramaturgisch sinnvoll eingesetzt und die Figurenzeichnung ist plausibel sowie einnehmend. Kurzum: Es ist ein Film, der eine Daseinsberechtigung hat. Der Hand und Fuß hat. Der eine klare Linie fährt. Grau wiederum ist eine langweilige, langweilige Farbe. Insofern ist es nur zu passend, dass Sam Taylor-Johnson mit Fifty Shades of Grey den langweiligsten Mainstreamfilm des bisherigen Jahrhunderts ablieferte.

Dies bedeutet jedoch auch, dass die einzige Daseinsberechtigung dieses 125-minütigen Schnarchfestes der ebenso unerklärliche wie immense Erfolg der Buchvorlage ist, den Universal Pictures im Kino wiederholen möchte. Eine klare Linie fehlt der Romanverfilmung dagegen. Die einzelnen, wahllos auf die Leinwand gepfefferten Ansätze verknoten sich stattdessen zu einem grau-grauen Wust, der den Sexappeal einer ausgeblichenen Baumarkt-Quittung hat. Dieses Machwerk hat weder Hand noch Fuß, auch nicht Herz und Verstand, es hat nicht einmal eine funktionierende Libido: Prickelnd ist Fifty Shades of Grey nur für Sekundenbruchteile. All zu schnell stellt sich dank der konturlos dargebotenen Sexspielchen Ernüchterung ein, so dass das Stöhnen, Atmen, Reiben, Fesseln, Schlagen nur noch auf einen einprasselt. Und die Charaktere der unter einem verdammt miesen Stern stehenden Liebenden sind so irrsinnig, dass es regelrechten Zorn über das fehlgeleitete Drehbuch entfachen könnte. Wäre da nicht das unsäglich fade Schauspiel, das sämtliche Funken im Keim erstickt, die auf der Leinwand oder im Geist des Publikums zu entstehen drohen.

Seinen Anfang nimmt das Debakel, als die 21-jährige Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson) für ihre Mitbewohnerin (die unfähigste Journalistin der jüngeren Kinovergangenheit: Eloise Mumford) einspringen muss und ohne jegliche Vorbereitung den millionenschweren Unternehmer Christian Grey (Jamie Dornan) interviewen soll. Ana stolpert ihm zur Begrüßung wortwörtlich vor die Füße, doch keine Sorge: Obwohl sie von der Situation völlig überfordert ist, verlieben sie sich auf Anhieb ineinander. Sie mag mit jeder Faser ihres Daseins ausstrahlen, das grauste Mäuschen der Evolutionsgeschichte zu sein, und er kündigt zwar bereits nach wenigen Sekundenbruchteilen mit der Subtilität eines Schlaghammers an, sich nach gänzlich anderen animalischen Formen zu sehnen, aber wen kümmert das? Wenn zwischen den Schauspieler eine knisternde Anziehungskraft besteht, kann man das noch immer abkaufen!

Doch Fehlanzeige: Zwischen Johnson und Dornan besteht nicht einmal eine sanft raschelnde Anziehungsenergie. Wenn sich die unentwegt auf ihre Unterlippe beißende Johnson und der mit Teddybärblick einen elektrisierenden SM-Oberbonzen zu spielen versuchende Dornan das Bild teilen, tut sich ein Vakuum auf. So bleibt als einziger Antrieb für die sich tumultartig anbahnende Filmromanze das gesprochene Wort beider Akteure übrig.


Anas Worte markieren sie allerdings als sexuell unerfahrenes Mauerblümchen, das sich nach einem verständnisvollen Mann sehnt, der mit ihr das Beziehungspendant zu Vanilleeis führt. Essen gehen, Kinobesuche, über die eigene Biografie reden. Der Standardkram halt. Manche widert es an, andere können nicht ohne. Christians Worte stellen ihn unmissverständlich als Person dar, die dem ersten Schlag angehört. Mehr noch: Er verfolgt seine Mitmenschen, kontrolliert sie unentwegt, befehligt sie, lässt es niemals ungestraft, wenn sich ein noch so kleines Detail seinem Sagen entzieht. Er hat so präsente soziopathische Untertöne, hätte Komponist Danny Elfman nicht einen undefinierten, lustlosen Score hingeschludert, sondern eben diese Untertöne klanglich realisiert, es würde selbst die beste Kino-Soundanlage zerreißen.

Gegensätze mögen sich anziehen, nur sind Ana und Christian keine oppositionellen Persönlichkeiten, sondern irgendwo in zwei weit voneinander entfernten charakterlichen Spektren angesiedelt, zwischen denen sich keinerlei Verbindung aufbauen lässt. Aber, hey! Sie ist wie geschaffen dafür, völlig erniedrigt zu werden, und er zehrt all seine Energie daraus, jemanden seinem Willen zu unterwerfen. Und dies ist eine SM-Kitschromanze, das geht doch auf ..! Abgesehen davon, dass dem eben nicht so ist. Nicht umsonst liefen diverse BDSM-Vereinigungen Sturm gegen das Geschreibsel der Buchautorin E. L. James, deren Recherche zu dieser Thematik noch oberflächlicher gewesen sein muss, als Anas im Laufe des Films angerissene Informationssuche.

Wenigstens lässt sich dem von einem auf künstlerischer Sparflamme handelnden Seamus McGarvey (Kamera: Anna Karenina und Marvel's The Avengers) in lasche Farben gekleideten Streifen eins nicht vorwerfen: Regisseurin Sam Taylor-Johnson, Drehbuchautorin Kelly Marcel und Ghostwriter Patrick Marber haben mindestens die hirnrissigsten Einfälle E. L. James' aus dem Handlungsverlauf getilgt. Kein verkitscht dargestellter Menstruationssex, keine durch Anas Romantisierung ihres ersten Lovers entschuldigte Vergewaltigung. Wer einen Schritt zurückgeht und die Filmversion von Fifty Shades of Grey kritisch beäugt (und dank des vielen Leerlaufs fällt es wahrlich nicht schwer, diesen Schritt zu tätigen), sieht keinen Frauenschänder, der sein Handeln damit entschuldigt, dass er ja BDSM praktiziere und sein Handeln ein Teil dessen sei. Zwar pfeift Christian genau wie im Buch auf die genaue Einhaltung des Grundsatzes „Safe, Sane, Consensual“, durch das etwas gezügeltere Filmskript ist Christian aber „nur“ manisch, herrisch und kurz davor, sich berechtigten juristischen Ärger mit Ana einzuhandeln. Charming!

Dass der Film Christians ununterbrochenes Gängeln Anas, sie solle sich schneller und offener „seiner“ Welt hingeben, trotzdem derart besingt, als hätte das noch junge Paar bloß eines der üblichen Romantic-Comedy-Missverständnisse, ist Schuld der Buchautorin und des Filmverleihs. Als Universal die Adaptionsrechte erwarb, räumte das Studio der durch den schwindelerregenden Erfolg ihrer Bücher einen Höhenflug erleidenden Autorin ein Mitspracherecht ein, dessen Umfang in Hollywood sonst unerhört ist. So kam es zu zahllosen, hitzigen Debatten zwischen Taylor-Johnson und James, die laut diversen Berichten nahezu durchweg damit endeten, dass James ihren Willen durchprügelte. Deswegen bleibt die im Buch innewohnende Diskrepanz zwischen intendierter Wirkung und tatsächlicher Figurenzeichnung auch auf der Leinwand erhalten: Purer Romantikkitsch inklusive als pikant verkauftem Einsteiger-BDSM kollidiert hier mit einer Figurenkonstellation, die sich eher für eine komplexe Charakterstudie anbietet.


Christian wäre eine hoch faszinierende Figur, hätte Fifty Shades of Grey nur ansatzweise solch einen Selbstanspruch wie Pedro Almodóvars Fessle mich!. In der dargebotenen Form bricht die hauchdünne Illusion des Films dagegen beim leisesten Aufmucken des Publikums in sich zusammen. Dieses fragile Konstrukt könnte ja noch halbwegs bestehen, würde es denn seiner Thematik alle Ehre machen und einen fesseln. Aber die Softcore-Sexszenen sind kühl, mit fast schon beleidigend unerotischer Musik unterlegt und zudem unrhythmisch geschnitten. Die Gespräche zwischen den Hauptfiguren sind dermaßen häufig mit Wiederholungen ihrer Namen gespickt, dass selbst die allerletzten Versuche scheitern, Sinnlichkeit aufzubauen. Und die vom Film gewollten Pointen werden so überdeutlich telegrafiert, dass sich zwischen dem Schmunzeln beim Erahnen des Witzes und dem eigentlichen Gag im Kino locker ein Quickie schieben lassen könnte. Wäre aufgrund tödlicher Langeweile untenrum nicht schon alles abgestorben.

Nur gelegentlich schlägt Fifty Shades of Grey nicht ins Leere. Dann und wann gleitet Taylor-Johnsons Inszenierung nämlich ins Selbstparodistische ab. So tut sich unter anderem nach dem ach-so-heißen Kennenlernen der Hauptfiguren ein orgasmischer Regenschauer auf. Leider sind diese vitalisierenden Oasen des unfreiwilligen Humors, die auch teils wegen all zu monotoner Dialogpassagen oder auffällig-keuchen Schnittfolgen entstehen, äußerst rar gesät. Und so empfiehlt sich Fifty Shades of Grey nicht einmal als Trashperle der Marke Showgirls. Selbst wenn das an Arbeitsverweigerung und künstlerischer Verzweiflung grenzende Ende durchaus Etwas ist, das man am eigenen Leibe erlebt haben muss.


Fazit: So prickelnd und authentisch wie der Geschmack eines aromatisierten Billigkondoms: Fifty Shades of Grey ist weder romantisch, noch provokant, noch sinnlich oder lustig. Dieser Film ist einfach nur „50 Facetten von abgefucked“. Und leider selbst das nicht im fesselnden Sinne.

Into the Woods

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Klassische Märchen, neu erfunden – was wie ein aktueller Hollywood-Trend erscheint, hat lange Tradition. Noch bevor es solche Filme wie Snow White and the Huntsman oder Serien wie Once Upon a Timezu sehen gab, eroberte das Bühnenstück Into the Woodsden Broadway. 1987 uraufgeführt, erarbeitete sich das mit drei Tony Awards und fünf Drama Desk Awards ausgezeichnete Musical einen festen Platz in der US-Theaterkultur. Es lässt sich daher behaupten, dass Komponist Stephen Sondheim und Autor James Lapine das (post-)moderne Konzept, altbekannte Märchen aus einem reifen Blickwinkel zu betrachten, erst gesellschaftsfähig gemacht haben. Doch obwohl dieser Ansatz seither unzählige Male kopiert wurde, genauso wie die Idee, mehrere Märchen auf originelle Weise zu verbinden, ist Sondheims und Lapines Klassiker ungebrochen ein echtes Unikat. Exakt dieses lässt sich über 25 Jahre nach der Theaterpremiere endlich auch als Kinofilm erleben.

Die Leinwandadaption verändert zwar manche Details, im Großen und Ganzen bleibt der Disney-Film seiner Vorlage aber inhaltlich treu: Es war einmal in einem weit entfernten Königreich, da versuchte ein gutherziges Bäckerpaar (James Corden und Emily Blunt) vergeblich, eine Familie zu gründen. Wie die sich liebenden Eheleute erfahren, kann die Bäckerin deshalb kein Kind zur Welt bringen, weil auf ihrem Haus ein Fluch liegt. Die dafür verantwortliche Hexe (Meryl Streep) bietet an, diesen rückgängig zu machen, wenn das Paar ihr im Gegenzug innerhalb von drei Tagen vier besondere Dinge beschafft: Eine Kuh so weiß wie Milch, Haare so gelb wie Mais, einen Umhang so rot wie Blut und einen Schuh aus reinem Gold. Selbstredend zeigt sich die Hexe nicht aus purem Mitgefühl so kooperativ: Mittels dieser Gegenstände könnte die Hexe in der Nacht des blauen Mondes einen Zauber umkehren, der auf ihr selber lastet.

Die Suche nach den begehrten Objekten stellt sich jedoch als äußerst knifflig heraus – und dies, obwohl sie alle zum Greifen nah sind! Die Gegenstände befinden sich nämlich im Besitz von Rotkäppchen (Lilla Crawford), der in einem Turm gefangenen, holden Rapunzel (MacKenzie Mauzy), dem stürmischen Buben Hans (Daniel Huttlestone) sowie der lieblichen Cinderella (Anna Kendrick). Zeit, sich um die Sorgen der Bäckersleute zu kümmern, hat jedoch keiner von ihnen. So wird Rotkäppchen von einem lüsternen Wolf (Johnny Depp) verfolgt, während sich Cinderella kein klares Bild von ihrem angebeteten Prinzen (Chris Pine) machen kann und Rapunzel in einem Herzensdilemma steckt. Und dann wären da noch Hans' Eskapaden, die ihn sogar bis in die Welt der Riesen führen …


Die Walt Disney Studios sind ebenso sehr die ideale Produktionsstätte für eine Into the Woods-Verfilmung, wie sie die wohl ungewöhnlichste Heimat für dieses Projekt darstellen. Einerseits weißt der Disney-Konzern mehr als jeder andere Unterhaltungsgigant eine lange, stolze Riege an Märchen-Adaptionen auf: Viele Jahrzehnte, bevor Lapine und Sondheim die Geschichten nach ihrem Willen ummünzten, wurde ihr Bild nachhaltig durch Zeichentrickfilme aus dem Hause Disney modelliert. Andererseits verschreiben sich Disney-Märchenklassiker üblicherweise einer klaren Trennung zwischen Gut und Böse – was in der Vision der intellektuellen Musicalmacher Sondheim & Lapine nur in äußerst beschränktem Maße der Fall ist. Insofern überrascht es kaum, dass die Initialzündung zu dieser Leinwandproduktion nicht aus den Disney-Studios stammt, sondern das Projekt erst an sie herangetragen werden musste.

Die Filmversion von Into the Woods ist ein Passionsprojekt des Regisseurs Rob Marshall, der sich nach dem Publikums- und Kritikererfolg von Chicagomit Sondheim zusammensetzte und ihm gegenüber beteuerte, förmlich danach zu brennen, eines seiner Stücke ins Kino zu bringen. Sondheim selbst äußerte den Wunsch, dass sich Marshall an einer Adaption seines Märchenmusicals versucht – eine Bitte, die der Die Geisha-Regisseur nicht ausschlagen konnte. Dennoch zogen mehrere Jahre ins Land, bis Marshall einen Ansatz fand, wie er die Vorlage neu aufziehen und für ein neues Publikum sowie ein anderes Medium filtern könnte. Erst 2011 gab ihm eine Ansprache Obamas den entscheidenden Denkanstoß – in seiner Rede zum 10. Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center verwendete der US-Präsident eine Formulierung, die auch zu den Schlüsselsätzen des Sondheim-Bühnenstücks zählt. Daraufhin entschloss sich Marshall, mit seiner Film-Neuinterpretation von Into the Woodsein Märchen für die Generation nach 9/11 zu erschaffen. Wohlgemerkt nicht in dem Sinne, dass es als dumpfe Metapher auf den US-Krieg gegen den Terror dienen sollte, sondern als emotionale Reaktion.

Diesem außergewöhnlichen Ziel wird der unterschätzte Regisseur und Choreograph vollends gerecht: Durch Marshalls Inszenierung sowie die von Lapine und Sondheim betreute inhaltliche Feinjustierung der Original-Librettos positioniert sich die 50 Millionen Dollar schwere Produktion als vortreffliche Disney-Märchenerzählung für unsere Gegenwart. Die heile, gutgläubige Märchenwelt verliert hier ihre Unschuld und in den etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit wird Naivität stets bestraft. Gleichwohl ist Into the Woodskeine jener modernen Märchen-Umdeutungen, die ihr Herz und ihren Menschenglauben verloren haben – trotz harscher Zwischentöne vermittelt dieses komplexe Kinoerlebnis eine aufmunternde Botschaft: Selbst in Stunden großer Not ist niemand völlig allein, und wenn die Gesellschaft etwas zusammenrücken würde, könnten wir auch alle besser aufeinander acht geben … Der zeitlose Disney-Touch ist also auch in diesem unkonventionellen Film aufzufinden, wenngleich etwas zurückhaltender, mit mehr Gegenargumenten geschmückt als sonst.


Dies dürfte wohl auch an Rob Marshalls Gespür für Storytelling liegen, schließlich inszenierte er mit Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeitenbereits ein aufwändiges Abenteuer, das zwar längst nicht allen Disney-Traditionen treu untergeben ist, aber auch nicht gänzlich gegen sie Sturm läuft. Wie in Jack Sparrows viertem Beutezug vermengt der Emmy-Preisträger in Into the Woodsmunter diverse Tonfälle. Statt eines märchenhaft angehauchten Fantasy-Action-Abenteuers mit selbstironischen Zügen präsentiert Marshall nunmehr einen soghaften Streifzug durch realistische, comichafte und dramatisch-raue Neudeutungen berühmter Märchenpassagen, begleitet von süffisantem, selbstironischem sowie zynischem Witz. Seine Vision, Into the Woods als Post-9/11-Märchen umzudeuten konsequent verfolgend, drosselt Marshall die Schlagzahl an Gags der Musicalvorlage, opfert vor allem groteske oder verquere Lacher. Im Zuge dessen lässt er zudem einige der gehässigen, nebensächlichen Schicksalsschläge des Originals aus, was zwar disneyhafter ist, jedoch auch durch das Fehlen einer knallig-schrägen Pointe die zweite Filmhälfte noch melancholischer gestaltet. So wird Marshalls und Disneys Into the Woods insgesamt zu einer nachdenklich-bittersüßen Angelegenheit, die in einem reizvollen Gegensatz zur himmelhochjauchzenden, zu Tode betrübten Vorlage steht.


Sobald der von Kameramann Dion Beebe (Chicago, Die Geisha) in malerisch-schattigen Bildern eingefangene Film dennoch seine humorvolle, exzentrische Seite zeigt, dann geschieht dies umso radikaler: Wenn Chris Pine als selbstgefälliger Prinz in schimmerndem Abendlicht mit großen Boyband-Gesten davon singt, welche Qualen er aufgrund seines Liebeslebens durchleidet, bleibt kein Auge trocken – es sei denn, man wird durch die sich über Metaebene vermittelte, passionierte Attacke auf Märchenprinzen aus dem Sog der Story gerissen. Selbiges gilt für Johnny Depps Gastspiel als pädophiler Wolf, der in einem Aufzug durch die Wälder schleicht, durch den Erinnerungen an Tex-Avery-Cartoons und 70er-Jahre-Klischee-Zuhälter wach werden. Wer sich von dem kreativen, hintersinnigen Wahnsinn dieses Films mitreißen lässt, wird es schwer haben, aufgrund solcher Einfälle sein breites, glückseliges Grinsen in Zaum zu halten. Dies bedeutet aber zudem, dass Into the Woods wahrlich kein Kinostoff für jedermann ist – Toleranz für kalkulierte, verschlagene Dissonanzen auf atmosphärischer und ästhetischer Ebene ist hier Voraussetzung.

Besagter Grundsatz gilt, bei Sondheim eigentlich selbstredend, auch für die Musik. Der Sweeney Todd-Komponist steht für vielschichtige Kompositionen, treibende Akzentverschiebungen, abgehackte Melodien und sich allmählich entfaltende Motive – also für einen Klang fernab des Musical-Mainstreams. Für Sondheim-Jungfrauen könnte Into the Woods deshalb anfangs einem Kulturschock gleichen – wer aber offen für diese Erfahrung ist oder eh schon Sondheim-Erfahrung hat, wird mit einem hypnotischen, den Verstand herausfordernden, tiefe Gefühle weckenden Erlebnis belohnt.

Erfreulicherweise stellt sich Marshall in den Dienst der gewaltigen, komplexen Lieder: Setzte er sein vorhergegangenes Filmmusical Nine wie ein fiebriges, rasantes Arthaus-Musikvideo um, drosseln er und Cutter Wyatt Smith das Tempo ihrer nun Bildsprache ungemein. Zwar legen sie im ausführlichen Prolog mittels einer fesselnden Parallelmontage eine zügige Geschwindigkeit zu Tage, danach ist Into the Woods aber längst nicht so kinetisch wie von Marshall gewohnt. Die Kameraarbeit unterstützt dies; aufwändige Schwenks erfolgen nur in raren Momenten, in denen sie einen hohen Mehrwert haben und nicht von den schauspielerischen Leistungen ablenkt.


Die darstellerische Glanzleistung in Into the Woodsstammt von der zurecht für ihre berauschende Darbietung für den Academy Award vorgeschlagene Meryl Streep – mit manischer Passion und Intensität wirbelt sie durch die blendenden Kulissen, während sie scheinbar mühelos für Abscheu, Mitleid, Witz und Tragik sorgt. Aber auch das restliche Ensemble vermag es, sich nicht von den extravaganten Kostümen verschlucken zu lassen: Emily Blunt und James Corden bestechen mit trockenem Witz und glaubwürdiger Zuneigung, Anna Kendrick indes legt als gewitzte sowie wankelmütige Cinderella die Messlatte für ihre disneyinternen Konkurrenz Lily James hoch an. Theaterpuristen derweil werden womöglich klagen, dass Rotkäppchen und Hans nicht jugendlich, sondern wie in den Märchenvorlagen im Kindesalter sind. Jedoch ist Daniel Huttlestone dermaßen voller Energie und Lilla Crawford auf höchst amüsante Weise kess, dass man sich nur schwer andere Leinwandbesetzungen in diesen Rollen vorstellen kann.

Die vielleicht gravierendste Änderung gegenüber der Bühnenversion ist eh, dass der Erzähler nicht weiter eine eigenständige, über den Dingen schwebende Figur ist. Aber auch diese Differenz zwischen Bühne und Film hat ihren Sinn und Zweck – zumal sie unterstreicht, dass Märchen seit jeher weitererzählt und umgedichtet wurden. Es ist eine Gepflogenheit, die noch vor Sondheim, vor Walt Disney und selbst vor den Gebrüdern Grimm ihren Anfang nahm – und die allein schon wegen solcher Bravourleistungen wie Into the Woods niemals aussterben sollte.


Fazit: Ein Disney- und Märchenfilm wie kein anderer! Gewiss nicht jeder wird Zugang zu diesem kuriosen Kunststück finden. Doch anspruchsvolle Musik, ein umwerfender Look und eine clevere Story mit immenser Sogkraft machen Into the Woods zu einem klaren Muss für Musicalfans!

Magic Mike

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Wir befinden uns in den letzten Zügen von Steven Soderberghs Laufbahn als Kino-Regisseur. Während sich der geschäftige Filmemacher (Sex, Lügen und VideoOcean's Eleven, Der Informant!) mit immer größer werdender Regelmäßigkeit kritisch über die Branche äußert, entwickelt sich der frühere Stripper Channing Tatum langsamen Schrittes zu einem Star mit Wiedererkennungswert. Zu jener Zeit entwickelt Tatum gemeinsam seinem Produktionspartner Reid Carolin ein potentielles Filmprojekt, in dem Tatum die Hauptrolle und einen Produktionsposten übernehmen will: Magic Mike, eine fiktionale Geschichte, die sich jedoch aus den Erfahrungen nährt, die Tatum als Erotiktänzer gemacht hat. Reid verfasste ein Skript, das laut Tatum das Feeling jener Jahre einfängt, und das an Regisseur Nicolas Winding Refn herangetragen wird. Dieser lehnt ab, um Only God Forgives drehen zu können. Als Plan B zieht der athletische Mime Steven Soderbergh heran, für den er vor Haywire vor der Kamera stand. Soderbergh war von der Idee begeistert, schob seine Überlegungen, in Frührente zu gehen, noch einmal bei Seite und schwang sich nach einer Revision des Drehbuchs auf den Regiestuhl. Was entstand, war 2012 ein Überraschungserfolg an den Kinokassen (Budget: 7 Mio. Dollar, weltweite Einnahmen: 167,2 Mio. Dollar) und zudem ein von vielen Kritikern geachtetes Werk.

Aber nicht jeder ist dem in Babyöl getränktem Strippercharme erlegen. Meine Kollegin Antje Wessels verfasste anlässlich des Kinostarts einen brutalen Verriss, und verübeln kann ich es ihr wahrlich nicht. Denn für mich zählt Magic Mike nicht nur chronologisch zu den Schlusslichtern in Soderberghs Kinoschaffen, sondern auch qualitativ. Was zu einem nicht unerheblichen Teil am Zusammenspiel der Hauptdarsteller Tatum und Alex Pettyfer (versagte zuvor schon in Ich bin Nummer Vier) liegt. Denn die giftige Chemie, die sich zwischen den Mimen vor der von Soderbergh geführten Linse entfaltet, steht lange Zeit im absoluten Gegensatz zur Handlung. Auf dem Papier handelt Magic Mike von dem 19-jährigen College-Abbrecher Adam (Pettyfer), der bei der Suche nach einem Handwerkerjob auf Mike (Tatum) trifft. Dieser ist seit sechs Jahren Stripper im von Dallas (Matthew McConaughey) geleiteten Club Xquisite und verschafft Adam eine Stelle in der Tänzertruppe des Ladens. Während sich zwischen Adam und Mike eine freundschaftliche Mentor-Beziehung entwickelt, wirft der erfahrene Erotiktänzer ein Auge auf Adams Schwester Brooke (Cody Horn).

So weit, so katastrophal gescheitert, denn Ex-Model Pettyfer blickt, ganz gleich was geschieht, ausdruckslos in die Ferne. Oder schaut perplex-entnervt gen Tatum, während die Dialogzeilen dem Duo hoch emotionale Freundschaftsbekundungen abverlangen, die Soderbergh auch entsprechend wohlmeinend in Szene setzt. Nicht, dass Tatum (zu Magic Mike-Zeiten noch deutlich näher an G.I. Joe als an 22 Jump Street) wesentlich besser agieren würde. Anders als der durch die Szenerie schlafwandelnde Pettyfer, der seine unbedarfte Rolle ins sträflich naive abdriften lässt, hat der Frontmann und Produzent durchaus Ausstrahlung. Und gerade in den Tanzsequenzen zeigt der Step Up-Veteran, wo der Hammer hängt. Agil, muskulös und mit ehrlicher Freude an seinem Tun ist Tatum eine gewinnende Präsenz - wenn er sich nicht durch die vorhersehbar geskripteten "Mit Erotik Geld verdienen verdirbt den Charakter!"-Dramapassagen des Films manövrieren muss. Dann gerät Tatum ins Stocken, spielt hölzern, wirkt teils geradezu verloren und orientierungslos. Womit er die halbseidenen ernsten Momente von Magic Mike noch eine Spur schwächer werden lässt.

Denn der Zerfall von Adams und Mikes Freundschaft ist derart unmotiviert und die Intrigen im Xquisite-Club sind dermaßen vorhersehbar, dass die Schicksale der Figuren kaum zu berühren wissen. Da sind die vereinzelten Versuche, Humor aus der Thematik zu kitzeln, schon effektiver. Zwar versanden einige Pointen, aber wenn McConaughey den selbstverliebten Moderator der Stripnächte gibt oder die Xquisite-Crew mit einem Augenzwinkern schlüpfrige Gags raushaut, dann sind durchaus einige Schmunzler drin. Selbst wenn die Tonartwechsel zwischen Komödie und Drama arg forciert rüberkommen. Aber das ist immerhin konsequent, ist doch auch die Optik ziemlich anstrengend. Außenszenen erstickt Soderbergh in einem aggressiven Pissgelb-Farbfilter, während die oftmals humorvoll gemeinten Stripclubszenen in einem ungalanten Blau-grau erscheinen und "Außeneinsätze" der Stripper in grün-braunem Matsch versinken. Wenigstens die Musikeinsätze sind prägnant und beweisen, dass Soderbergh Magic Mike nicht völlig lustlos hinter sich gebracht hat.

Dennoch ist das viel zu wenig, um dieser Tragikomödie ihre klaffenden Mängel zu verzeihen. Da war schon so mancher Striptease in einer Hafenspelunke solider. Und selbst wenn ein Strip genauso mies ist wie Magic Mike, so ist er im Normalfall deutlich rascher vorbei!

Fazit: Tatum-Fans und Soderbergh-Komplettisten dürfen reinschauen. Alle anderen sollten überlegen, ob sie dem Hype von 2012 wirklich Glauben schenken wollen. Die Höhepunkte (einige Tanzroutinen, manche Gags) sind zwar feucht-fröhlich, aber auch ernüchternd schnell vorbei. Ehe man es sich versieht, liegt man unter einem schnarchenden, schwitzigen Film, der bei längerer Betrachtung bei weitem nicht mehr so attraktiv ist wie auf dem ersten Blick.

Magic Mike XXL

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Wo ein Erfolg ist, da ist ein Sequel eine Möglichkeit. Erst recht in der heutigen Kinolandschaft. Aber eine Fortsetzung zur Tragikomödie Magic Mike, Steven Soderberghs vorletzter Leinwand-Regiearbeit? Angesichts des Genres und der finalen Minuten des Originals sowie des Abtauchens Soderberghs ins TV-Geschäft eine sonderbare bis desaströse Vorstellung. Dennoch: Via Twitter gab Hauptdarsteller und Produzent Channing Tatum im Jahr 2012 bekannt, einen zweiten Teil drehen zu wollen. Schön für ihn, die Frage sei trotzdem gestattet: Wovon soll der Film denn bitte handeln, nachdem die Titelfigur sich zum Schluss des Erstlings erfolgreich aus dem Teufelskreis des Erotikmilieus befreit und ein neues Leben an der Seite einer gefestigten Frau angefangen hat? Und aus Sicht eines harschen Kritikers von Magic Mike sei zudem folgender Punkt angerissen: Muss sowas denn sein? Kann Tatum keine andere Rollen übernehmen, um sich auszutoben? Denn wenn schon ein fähiger Regisseur wie Steven Soderbergh aus dem Material keinen durch und durch sehenswerten Stoff formen kann, dann dürfte doch eh jegliche Hoffnung vergebens sein ...




Gleich zu Beginn der Werbekampagne zu Magic Mike XXL sendete Warner Bros. ein überdeutliches Signal: Magic Mike ist zurück, und er hat eine Latte voll Spaß im Gepäck. Und es wird viel getanzt. Gern geschehen. Wer sich vom Teaser nicht abgeholt fühlte, bekam unter anderem einen Trailer hinterher geworfen, der dieselbe Botschaft vermittelte.Das Kinopublikum darf sich im Saal auf einen Sack voller Freude gefasst machen. Filmfreunde, die aufgrund dieser Trailer ihre Zweifel nicht ablegen wollen, müssen ihr Haupt aber nicht in Schande senken. Denn ganz gleich, wie die persönliche Meinung bezüglich Magic Mike ausfiel; Misstrauen war noch immer gestattet. Bei Teil eins wurde der spaßige Faktor schließlich ebenfalls im Voraus überbetont. Und auch der Trailer bleibt dem Betrachtenden noch immer eine Erklärung schuldig: Wie wird die Rückkehr Mikes ins Strippergeschäft gerechtfertigt?

Aber so viele Fälle es auch geben mag, in denen Teaser und Trailer falsche Versprechungen gemacht haben, manchmal ist die Marketingmaschinerie plötzlich sehr wohl von Grund auf ehrlich. Und Magic Mike XXL ist da ein absolutes Paradebeispiel. Denn die Regiearbeit des langjährigen Soderbergh-Produzenten und -Regieassistenten Gregory Jacobs ist größer, besser, lustiger, befriedigender. Und letzteres ist nicht im Sinne des Schulnotensystems gemeint. Kurzum: Magic Mike XXL ist endlich der Film, der Magic Mike sein wollte! Oder wenigstens der Film, der Magic Mike hätte sein sollen!

Die Geschichte nimmt drei Jahre nach den Ereignissen aus Magic Mike ihren Anfang: Mike Lane arbeitet hart daran, seine eigene Schreinerei am Laufen zu halten, als er einen Anruf von 'Tarzan' (Kevin Nash) erhält und ihn auf dem neusten Stand der 'Kings of Tampa' hält: Ihr Boss Dallas ist von ihnen gegangen. Mike eilt, um seinen früheren Arbeitskollegen und Freunden zur Seite zu stehen und erfährt, dass jeder einzelne in der kleiner gewordenen Runde das Strippen aufgeben möchte. Allerdings wollen Mikes langjährigen Weggefährten nicht klammheimlich aus ihrem Beruf ausscheiden. Oh nein! Sie wollen mit einem gewaltigen Knall die Bühne verlassen und fahren daher zur großen Stripper-Convention in Myrtle Beach, wo ihre gemeinsame Karriere einst erst so richtig Fahrt aufgenommen hat. Mike, der zwar zu seinem neuen Leben steht, jedoch auch einige Rückschläge hinnehmen musste, kann sich nicht helfen und schließt sich der Truppe an. Nachdem er überstürzt und von Gram erfüllt seinen geliebten Beruf einst aufgegeben hat, will er nun einen runden Abschluss finden. Ein letztes Mal mit den Jungs durchs Land kurven. Sich noch einmal richtig austoben und ein wahres Feuerwerk abfackeln. Also schwingen sich Mike, Tarzan, Tito (Adam Rodríguez), Richie (Joe Manganiello) und Ken (Matt Bomer) in den von ihrem geliebten Pummelchen Tobias (Gabriel Iglesias) gefahrenen Frozen-Yoghurt-Van und machen sich auf eine Reise, die viele spannende Begegnungen mit alten und neuen Bekanntschaften für sie bereithält!

Oberflächlich betrachtet hat Magic Mike XXL mit seinem Road-Trip bloß eine hauchdünne Story zu bieten. Und ist man bloß gewillt, bei einem Film über Stripper an der Oberfläche zu kratzen, so ist ein Road-Movie die perfekte Formel: Während Magic Mike mit einer schlecht strukturierten, holpernd zwischen Hochgefühl und Drogendrama stotternden Geschichte keinen rechten "Flow" entwickeln wollte und obendrein den eskapistischen Sehgenuss störte, ist die XXL-Variante auf flotten Sehgenuss hingebürstet. Ein Road-Movie ist stets schon allein aufgrund der unumstößlichen Genregesetze einerseits episodenhaft erzählt (Reisen wickeln sich nun einmal in Stationen ab) und zugleich sehr zielgerichtet (schließlich haben die Reisenden eine klar definierte Destination). Wo der Erstling teils ziellos mäandert und ausgedehnte Passagen von Mikes Charakterentwicklung ablenken (oder umgekehrt), ist im Sequel die narrative Struktur weniger ambitioniert, dafür aber umso makelloser ausgeführt. Jede Station ist einfach nur ein Schritt, der auf der Reise zur Convention bewältigt werden muss - und den Strippern irgendwelche Ausflüchte gibt, zu tanzen, sich auszuziehen oder beides gleichzeitig zu erledigen. Wer fürs leicht verdauliche, fleischliche Vergnügen ein Ticket löst, wird also viel kompromissloser bedient als noch in Magic Mike.


Jedoch wäre Magic Mike XXL nicht solch ein (Wasch-)Brett(-bauch) von einem Film, würde sich Drehbuchautor Reid Carolin damit begnügen, auf seine tonal unausgegore Tragikomödie einen leicht bekleideten Tanzfilm on Tour folgen zu lassen. Carolin packt all den haltlos forcierten, unpointierten sowie unausgeglichen eingesetzten Selbstanspruch des Originals, überdenkt ihn komplett neu und nutzt ihn dieses Mal, um das sündige Leinwandvergnügen konstant zu unterfüttern. Magic Mike ist letztlich auch daher so eine kopfschmerzverursachende Angelegenheit, weil er einerseits eine "Wer seinen Körper verkauft, wird emotional und charakterlich versumpfen!"-Botschaft vermittelt und andererseits mit einigen der Kings of Tampa und deren Tanzeinlagen Spaß haben will. Dass sich das beißt, ist nicht zu vermeiden und geriert angesichts der Dialogzeilen, der Performances und auch der Inszenierung von Magic Mike zu einer arg problematischen Diskrepanz.

Der XXL-Strippertrip hingegen exerziert während seiner konstant spaßigen Szenen eine sehr gut durchdachte These durch. Diese zieht zwar kritisch mit dem Status Quo sexuell aufgeladener Berufe und mit Geschlechterrollen ins Gericht, gleichwohl ist sie, passend zum generellen Tonfall des Films, von Optimismus geprägt. Sagt Magic Mike noch "Alles scheiße, aber, hey, wir haben da gute Choreos in unserem Streifen, oder?!", schlägt Magic Mike XXL vor, wie man die Wirklichkeit verbessern könnte!

Auf ihrer Reise gen Myrtle Beach begegnen Mike und seine Kumpels (Alex Pettyfer respektive seine Rolle ist glücklicherweise nicht mehr an Bord!) diversen Frauen, die von Männern herbe enttäuscht wurden. Die bisexuelle Fotografin Zoe (Metacasting: Amber Heard) schwört dem Geschlecht mit dem Gemächt ab, weil sie ausgenutzt wurde. Die frisch geschiedene Südstaatenschönheit Nancy (augenscheinlich seit Sex, Lügen und Video höchstens fünf Jahre gealtert: Andie MacDowell) ist stolz auf alles was sie erreicht hat, liebt ihre Töchter und ist überhaupt eine echt starke, faszinierende Dame ... Doch sie bereut es, nach veralteten Vorstellungen gelebt und sich in ihrer Jugend für ihre nun gescheiterte Ehe aufgehoben zu haben. Und Mikes frühere Flamme Rome (Jada Pinkett Smith) verwandelte einen klassischen Nachtclub, in dem vom Leben enttäuschte Kundinnen wenigstens für ein paar Stunden alle Wünsche von den Augen abgelesen bekommen. Nicht auf die oberflächliche "Hier, schau dir meinen geilen Körper an!"-Weise, sondern mit Passion, Hingabe und Feingespür! Und durch eben diese Begegnungen lernen die Kings of Tampa, dass sie nicht einfach nur strippen sollten, um ihre Zuschauerinnen aufzugeilen. Sie lernen, dass sie sich in die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen einfühlen sollten.

Zugleich entwickeln die Erotiktänzer durch die Anregungen des nun auch eine Sichtweise von außen einbringenden Mike, dass es nicht reicht, sich als hohle Dienstleister zu fühlen und altbekannte Tänzerroutinen zu verwursten. Wer sein Publikum glücklich machen will, ohne daran kaputt zu gehen, muss mit voller Hingabe dabei sein. Und wie gelingt es einem Künstler (und sei seine Kunst auch "nur" sich auszuziehen!), mit Leib und Seele seinem Tagwerk nachzugehen? Indem durch sein Schaffen sein Innerstes ausdrückt. Daher werfen die Kings of Tampa zu Beginn des Films ihre klischeehafte Ausrüstung weg und denken sich im Laufe der Handlung neue, individuellere Routinen aus. Dies ermöglicht nur nur ein unverschämt originelles Finale, sondern gibt Magic Mike XXL auch ein komplexeres Bild von der Erotikbranche: Wer sich für dieses Fach berufen fühlt, sich in sein Gegenüber einfühlt und dennoch sich nicht selber verliert, kann darin Freude finden und seinem Publikum tatsächlich etwas mitgeben, das nachhallt. Gegenüber einer Branche, in der Jahr für Jahr viele Menschen aufgrund schlechter Bedingungen zerbrechen und die zugleich auch Menschen hervorbringt, die ihr Tun lieben, ist dies eine viel gerechtere und konstruktivere Aussage als die von Magic Mike.


Vor allem jedoch ist es diese Philosophie, die Magic Mike XXL so eine extrem unterhaltsame Wucht mitgibt! Ganz gleich, wie sehr man bei dieser 14,8-Millionen-Dollar-Produktion nun sein Hirn eingeschaltet lässt: Dank der positiveren, nicht aber dümmeren Attitüde ist das Sequel ein filmischer Ritt, der die Laune hebt ohne mit genügend Abstand einen "Oh weh, ich hab zu viel Fast Food intus!"-Kater zu provozieren. Wobei die Darsteller ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten, um das Sequel meilenweit an der Vorlage vorbeiziehen zu lassen!

Gewiss: Nash und Rodríguez sind weiterhin vor allem aufgrund ihres Körpers Teil des Ensembles, genauso wie Bomer wegen seiner Kombi aus Körper und Stimme vor die Kamera treten darf und sich Iglesias allein durch seine humorvolle Ausstrahlung einen Platz im Cast erarbeitet. Aber das Zusammenspiel ist viel besser. All die Antipathie zwischen Tatum und Pettyfer, die Magic Mike vergiftet, wird hier durch kumpelhafte Sympathie zwischen den Kings of Tampa ersetzt - die auch allesamt einen ausgewogeneren Anteil der Filmlaufzeit erhalten. Davon profitieren die Charaktere, die zwar wirklich nicht die allerausgefeiltesten sind, aber genügend Eigenheiten zeigen, dass man nur zu gern an ihrer Reise teilnimmt. True Blood-Mime Joe Manganiello profitiert davon am meisten und mausert sich zum zweitwichtigsten Mann in dieser Runde: Er legt eine gereifte Ausstrahlung in die Waagschale, gepaart mit spitzbübischem Humor und einer versteckt aufglühenden dominanten Seite. Das erlaubt ihm abwechslungsreiche und daher überraschend-witzige Interaktionen mit seinen männlichen und weiblichen Leinwandkollegen - und beschert ihm auch zwei der absolute Highlightszenen in Form begnadeter Einzelchoreographien, die ebenso feuchtfröhlich-ironiedurchtränkt sind wie athletisch und körperbetont. Man lacht hier nicht über Managniello, sondern mit ihm. Dieses Lachen jedoch übertönt nie den Respekt vor der körperlichen Leistung - weshalb seine Szenen auch dann begeistern dürfen, wenn man kein Auge für artistische Halbnackttänze mitbringt.

Mehr noch als Manganiello erhellt aber Tatum dieses Road-Movie. Durch seine 21 Jump Street- und 22 Jump Street-Erfahrungen in seinem komödiantischen Timing über sich hinausgewachsen, brilliert Tatum in beiläufigerer Situationskomik wie auch in Comedypassagen mit gewaltigem Augenzwinkern. Sein tänzerisches Können kommt ebenfalls noch besser zur Geltung als im Original. Sei es durch mühelos eingearbeitete humorvolle Elemente (Stichwort: Garage) oder dadurch, dass ihm räudigere, selbstbewusst-frivolere Choreographien noch mehr Konzentration abverlangen als die klassischeren Nummern aus Teil eins.Schließlich wollen diese Tänze aggressiv-sexy, und trotzdem sympathisch dargeboten werden - und Tatum meistert diese Balance. Die ruhigeren Momente bringt Tatum nunmehr ebenfalls überzeugend hinter sich. Seien es seine stillschweigenden Reaktionen während der Gespräche mit diversen Frauen oder seine teils Resignation, teils Zukunftsmut signalisierende Körpersprache und Stimmlage, wenn er über seine Ehepläne und deren Ausgang spricht. Der dramatische Feinschliff in Magic Mike XXL bleibt wohlgemerkt genau dies - eine Veredelung des launig-energiereichen Gesamtwerks. Doch es reicht, um Mike als Figur besser zu begreifen als im ersten Part, und ihm seine Motivation in diesem Sequel abzukaufen.

Aber auch die Gaststars stehen dem launische Seitenhiebe gen Fifty Shades of Grey und Twilight austeilenden Stripperspaß gut zu Gesicht. Amber Heard ist so natürlich wie nie zuvor, nutzt endlich einmal ihre Gesichtsmuskeln dazu, authentische Emotionen zu vermitteln - und ist daher nicht wieder zu erkennen. MacDowell ist würde- und humorvoll und erfüllt mit gewohnter Präsenz die Leinwand, Danny Glover zeigt sich überzeugend als galant-romantischer Verführer und Elizabeth Banks wiederholt (leider nur sehr kurz und knapp) ihren besten Pitch Perfect-Modus. Wenn dann noch Jada Pinkett Smith während ihrer Anmoderationen als Stripclubchefin voller Überzeugung und mit beeindruckender innerer Kraft die Frauenpower-Trommel rührt, ohne dabei zum Abziehbildchen zu verkommen, bleibt einem die Spucke weg!


All dies wäre möglicherweise null und nichtig, würde sich Magic Mike XXL in der handwerklichen Umsetzung nicht ebenso vom Vorgänger abheben wie tonal. Jacobs' Regieführung ist losgelöster, lockerer als die seines erfahreneren Kollegen Soderbergh in Magic Mike, ohne je undurchdacht zu sein. Die Tanzsequenzen sind auf den Punkt geschnitten, zeigen ehrfürchtig die Agilität der Performer, punktuelle Gegenschüsse fangen aber obendrein die Umgebung ein und unterstreichen so das Thema, dass die Gefühle, die eine gute Darbietung auslösen, aus etwas Gutem erst etwas Herausragendes formen. Farbästhetisch wird außerhalb von Romes tiefrotem, sinnlichen Nachtclub auf einen realeren Look gesetzt, mit weniger offensichtlichen Farbfiltereinsätzen, wodurch sich das "Mittendrin, statt nur dabei"-Feeling intensiviert. Gerade dies explodiert im furiosen Finale auf der Stripperconvention: Man fühlt sich wie in einer Konzerthalle voller ekstatischer Ladys, denen preisverdächtige Routinen vorgesetzt werden. Das Tempo ist enorm, aber nicht eilig, die Musikauswahl genial und so bleibt einem nach der letzten Aufführung der Kings of Tampa nur der Wunsch: Mehr! Zugabe! Haut noch ein paar Nummern raus!

Der atemberaubende Schlussakt macht auch beinahe die Startschwierigkeiten von Magic Mike XXL vergessen. Denn nach einem sich in seiner Komik und seinem ansteckenden Feeling ansehnlichen Auftakt sorgt eine im Halbdunkeln gefilmte Strandsequenz für ein kurzes Holpern im sonst so dynamisch erzählten Film. Die Dialoge sind geschliffen, haben Flair und auch leisen Witz. Da die Szene jedoch auch viel von non-verbaler Kommunikation lebt und diese im minimalen Licht schwer zu erkennen ist, hätte es eine halb so lange Version dieses sandigen Abstechers auch getan. Sobald sich Mike und Konsorten wieder vom Strand lösen, steigert sich Magic Mike XXL allerdings unaufhaltsam, bis die finalen, feierlichen Sekunden die Frage aufwerfen: Wieso kann nicht das Soderberghs letzte Kino-Regiearbeit sein? Einen würdigeren Karriereabschluss hätte sich der Regisseur nicht wünschen können!

Da Soderbergh sich immerhin als Kameramann, Cutter und Produzent an Magic Mike XXL beteiligt hat, ist dieser kleine Geniestreich dessen ungeachtet auch ohne die entsprechende "Directed by"-Tafel ein Fest für Fans des 52-Jährigen. Erst recht aufgrund der metafiktionalen Parallelen zwischen der Titelfigur und dem Filmemacher: Eigentlich hatten sie beide die Schnauze voll. Aber mit den richtigen Partnern an ihrer Seite lassen sie sich nochmal zu einigen Schandtaten hinreißen, wobei sie sich nicht mehr in den Vordergrund drängeln. Und wenn Soderbergh nun wirklich aufhört, fürs Kino zu drehen, so kann sich Magic Mike XXL als abschließende Botschaft sehen lassen. "So, jetzt geh ich aber. Hat Spaß gemacht, Bitches!"

Fazit: Größer, geistreicher, geiler! Magic Mike XXL ist feinste Unterhaltung mit spritzigen Dialogen, fesselnden Tanzsequenzen und einem toll aufgelegten Ensemble sowie einem Showdown, den so leicht nichts übertrifft. Eingangs holpert der Erzählfluss ein wenig, aber das ist diesem unterschwellig-cleveren Stripperspektakel rasch vergeben: Dieser Film ist ein Muss! Und zwar völlig unabhängig der sexuellen Vorlieben - gute Performances wissen so oder so zu beglücken!

Whiplash

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Was ist Jazz? Ist das nicht diese relaxte, erdige Musik mit langsam gleitenden Melodien, die bei Starbucks und Co. im Hintergrund läuft? Verflucht noch eins, das ist doch kein Jazz, ihr koffeinsüchtigen Schmalspurhipster! Ist es diese freiliebende, lässig-intellektuelle Musik, die entsteht, wenn gut aufgelegte Künstler in einer bläulich beleuchteten Untergrund-Bar spontan vor sich hinimprovisieren? Nein, zur Hölle, was für Wischiwaschi-Weicheiträumereien wurden euch denn in die löchrigen Hirnzellen gepflanzt?! Jazz, das ist Perfektion! Minutiös abgestimmte, höchste Konzentration fordernde Musik, bei der die kleinsten Fehler zerstörerische Auswirkungen haben! Wer hier aus dem Takt kommt, zu hoch oder zu tief spielt, begeht ein Sakrileg an makellosen, anspruchsvollen Kompositionen und gehört daher gesteinigt!

Von dieser Einstellung ist zumindest Bandleader Terence Fletcher (J. K. Simmons) überzeugt, der an der prestigeträchtigen Musikhochschule Shaffer Conservatory of Music eine erlesene Jazzband betreut. Obwohl er aufgrund seiner gestrengen Haltung und seinem unnachgiebigen Perfektionsstreben ebenso berühmt wie berüchtigt ist, sehnt sich der 19-jährige Schlagzeuger Andrew (Miles Teller) sehnlichst danach, in dessen Auswahl aufgenommen zu werden. Denn Andrew hat es sich zum erklärten Lebensziel gemacht, einer der ganz Großen zu werden, jemand, der sich mit dem stilbildenden Jo Jones oder dem technisch versierten Buddy Rich messen lassen kann. Und nur der erfahrene, gebieterische Fletcher, so glaubt Andrew, kann alles aus seinem Talent rausholen. Jedoch lässt sich Fletcher nicht von Ambition und Durchhaltevermögen allein beeindrucken – Andrew muss weit über seine Grenzen hinausgehen, um das zu leisten, was Fletcher hören will …

Regisseur und Autor Damien Chazelle (Verfasser des musikalischen Kammerspielthrillers Grand Piano – Symphonie der Angst) beginnt Whiplash als etwas schroffere Variation einer Geschichte über einen unkonventionellen, inspirierenden Lehrer. Chazelle, der selbst versuchte Jazz-Schlagzeuger zu werden und in den frühen Parts dieses Psychodramas aus eigenen Erfahrungen zehrt, zeigt Fletcher anfangs als berechtigte Autoritätsfigur. Er ist eine Koryphäre seines Fachs und beäugt Schüler zwar übermäßig streng, kitzelt somit jedoch neue Bestleistungen aus den vielversprechendsten Talenten seiner Musikuniversität heraus. So auch aus Andrew, einem abseits seines Drumsets schüchternen jungen Erwachsenen, der vor allem für seinen Traum vom musikalischen Durchbruch lebt.

Für immer Single?-Nebendarsteller Miles Teller spielt Andrew in den alltäglichen Szenen mit sympathischer Zurückhaltung. Er vermag es gleichwohl, dank wandlungsfähigem Gestus subtil zu skizzieren, wie Andrew durch seine Fortschritte als Schlagzeuger ein neues Selbstbewusstsein entwickelt – etwa, indem er gegenüber der Kinoangestellten Nicole (erfrischend: Melissa Benoist) auftaut. Lange hält sich dieses nach einem herausfordernden, packenden Stück von Hank Levy benannte Drummer-Drama allerdings nicht in Gefilden auf, die an andere Schüler-Mentor-Dynamiken erinnern. Wenn Andrew den launischen Fletcher erst richtig kennenlernt, verwandelt sich Whiplash in einen treibenden, hitzigen Militärstreifen im Musikfilmgewand.

J. K. Simmons, der sich in Sam Raimis Spider-Man-Filmen bereits als Zeitungsboss J. Jonah Jameson einen Platz im Pantheon unvergesslicher, cineastischer Choleriker erbrüllte, verschwindet völlig in seiner Rolle. Als aggressiver, nahezu unmöglich zufriedenzustellender Dirigent gibt er über weite Strecken des Films seine Menschlichkeit komplett auf und wird zu einem Raubtier, das auf den nächsten Angriff lauert. Und sobald Fletcher etwas findet, das ihm missfällt, packt er zu. Mit psychischen Tricks, impulsiver Körperlichkeit, geballter Lautstärke und einem Vokabular, das dem grantigsten Drill Seargent die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, zerfleischt er seine Schüler als seien sie kleine Appettithappen für zwischendurch.

Aber Simmons lässt es nicht allein auf der sadistischen Ader Fletchers beruhen – mit überzeugendster Zuckrigkeit verleiht er ihm in seltenen Augenblicken den Eindruck eines idealistischen Künstlers, dem es nur darum geht, denkwürdige Musikerlebnisse zu erschaffen. Schon vom Kinosessel aus fällt es daher schwer, bei aller begründeten Abscheu vor Fletchers Methoden nicht dennoch (zumindest phasenweise) seinem Bann zu verfallen – und Andrews Aufopferungsbereitschaft ist bei aller Tragik leider nur zu plausibel.

Dies liegt auch im schneidenden Drehbuch begründet, dessen Dialoge durchweg sitzen und bei jedem, der sich jemals schöpferisch betätigte, einen Nerv treffen dürften – so etwa dann, wenn sich Andrew gegenüber seiner Familie über die Geringschätzung seines Tuns beklagt. Ein echter Terence Fletcher könnte sich bei Whiplash trotzdem nicht völlig mit Schimpftiraden zurückhalten, denn wie bei manchen Sinfonien, die wohl lieber Rhapsodien wären, kommt es hierim vorletzten Satz (respektive Akt) zu minimalen Problemen mit der Geschwindigkeit. Wer nicht über solch ein unangebracht tonangebendes Naturell wie Fletcher verfügt, wird dies angesichts der in der Inszenierung spürbaren Hingabe aber leicht vergeben. Erst recht, da diese ebenso eindrucksvolle wie zweischneidige Ode an all jene, die noch einer wahren Leidenschaft nachgehen, gerade dann brilliert, wenn sie sich ihren prekärsten Momenten nähert.

Und so treibt Whiplashmit nur wenigen Atempausen voran: Fesselnd-qualvolle Unterrichtsstunden, ein immer manischer werdender Andrew, großartiger Big-Band-Jazz, der die Sinne benebelt und die Beine zum mitwippen animiert – und urplötzlich befindet sich dieser Thriller von einem Musikfilm mitten in einem beinahe unverschämt stürmischen Finale. So, als wäre es eine furiose Abschlussdarbietung einer Musiklegende, übertrumpft dieses mit eiserner Verbissenheit alles zuvor dargebotene: Der rhtymische Schnitt und die höchst effizient nur das Nötigste in den Fokus nehmende Kamera lassen den Puls in die Höhe schnellen, während sich Teller und Simmons ein mimisches Duell liefern, das lange nachhallt. Zum Schluss bleibt dem Publikum ein gestaffelter Schlussakkord, der ihn lange verfolgen wird: Ein jazziger Ohrwurm. Ein handwerklich perfekt orchestriertes Ende. Und die brennende, inhaltliche Frage – wie viel Leid darf mir meine Passion wert sein?


Fazit: Wenn Musik zum Krieg wird: Whiplash ist ein Donnerschlag von einem Jazzfilm, mit wuchtigen Darbietungen und nachhallender Story.

Still Alice – Mein Leben ohne Gestern

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Die Produktionsgeschichte des Oscar-gekrönten Dramas Still Alice – Mein Leben ohne Gestern hat selber das Zeug zu einem Film, der ganz nach einem Academy-Award-Anwärter klingt: Im Dezember 2011 wurde dem Regie-Duo Wash Westmoreland & Richard Glatzer angeboten, den Roman Still Alice zu adaptieren. Das Thema traf bei den Lebensgefährten einen Nerv – einen all zu schmerzlichen, genauer gesagt. Die Geschichte einer geachteten, eloquenten Linguistikprofessorin, die in der Blüte ihres Lebens mit der Diagnose einer besonderen Form von Alzheimer konfrontiert wird, erinnerte sie arg an ihre eigenen Erfahrungen. Nur wenige Monate zuvor war Richard Glatzer aufgrund plötzlich aufkommender Artikulationsschwierigkeiten bei einem Neurologen, wo er erfuhr, dass er an der Nervenkrankheit ALS leidet.

Die Art und Weise, wie der Roman Alices Ohnmächtigkeit dem Schicksal gegenüber behandelt und wie er das Gefühl einfängt, mitten im Leben durch eine rasch voranschreitende Erkrankung aus der Bahhn geworfen zu werden, begeisterte die Regisseure. Aber sie fürchteten, eine Verfilmung des Buchs könnte zu viel für sie sein. Von der Persönlichkeit der Titelfigur inspiriert, sagten sie zu, dem raschen Voranschreiten von Glatzers Krankheitsbild zum Trotz. Kurz vor Beginn der Produktionsvorbereitungen musste er schlicht das Autofahren aufgeben, am Set schließlich konnte er kaum noch Arme und Hände bewegen und sich nur noch mittels eine Sprachanwendung verständigen – wobei er nur in bestimmten Sitzpositionen fähig war, mit einem einzelnen Finger sein Tablet zu bedienen.

Obwohl in Still Alicedie von Julianne Moore brillant dargebotene Protagonistin nicht etwa die Kontrolle über ihren Körper verliert, sondern nach und nach Opfer eines abstumpfenden Geistes wird, haben beide Schicksale durchaus Parallelen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Glatzer und Westmoreland ein einfühlsames, authentisch wirkendes Werk erschufen. Schließlich erfuhr einer von ihnen den Identitätsverlust und die nachlassende Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren, am eigenen Leib, während die andere Hälfte dieses Duos nur zu gut weiß, wie sich jemand fühlt, der das Erblassen eines geliebten Menschen mit ansehen muss.

Vielleicht vermögen es Westmoreland & Glatzer es auch gerade daher, die Geschichte so umzusetzen, dass sie gleichermaßen sensibel erzählt wird, wie sie schonungslos ehrlich daherkommt. Weder suhlt sich Still Alice – Mein Leben ohne Gestern in erschreckend-desolaten Momenten, die Unbequemlichkeit mit effektivem Filmemachen verwechseln, noch beschönigt diese Romanadaption die Krankheit derart wie Til Schweiger in seiner seichten Tragikomödie Honig im Kopf. Ebenso wenig verlassen sich die Regisseure auf eine große, grelle audiovisuelle Trickkiste, um das Leiden der eingangs so beneidenswerten, begabten Dr. Alice Howland nachfühlbar zu machen. Allein rare, hektische Handkamerafahrten in Mitten dieser sonst eher statisch gefilmten Produktion und wiederholte, längere Auf- und Abblenden, durch die ein Großteil des Bilds verschwommene Formen annimmt, dienen gelegentlich als ästhetischer Kniff.

Diese versetzen das Publikum tatsächlich ohne weitere Umstände in den desorientierten Geisteszustand der Protagonistin, allerdings ist es unbestritten Julianne Moores Performance, der sämtliche Aufmerksamkeit gilt. Zu keinem Zeitpunkt erlaubt es sich Still Alice, durch inszenatorische Mittel von dieser brillanten Darbietung abzulenken, die gänzlich auf Theatralik verzichtet. Dennoch hat diese behutsame, mehrschichtige Skizzierung eines erodierenden Verstands eine ungeheure Gewalt und hallt unfassbar lange nach. Dies liegt auch in der immensen Bandbreite begründet, die Moore scheinbar mühelos bedient. Als starke, moderne Frau, die so lange wie ihr möglich an allem festklammert, was ihr Autonomie erlaubt, geht sie unter die Haut; wenn sie trotz großer Willenskraft die ersten Rückschläge in diesem nicht zu gewinnenden Kampf hinnehmen muss, ist sie kaum wiederzuerkennen. Und wann immer in späteren Filmpassagen ihr altes Ich aufblitzt, hebt Moore mittels unaufdringlich-effizienter Mimik für wenige Augenblicke dankbarerweise den Tonfall dieser Gänsehaut erzeugenden Story.

Ja, es ist schmerzvoll, zunächst mit anzusehen, wie Alice ihre Verzweiflung zu verbergen versucht, weil sie erkennt, was mit ihr geschieht, und dann nach und nach zu bemerken, dass sie diese Fähigkeit zur Selbstreflexion verloren hat. Dennoch ist Still Alice keine deprimierende Tragödie – sie beinhaltet auch behutsame Hoffnungsschimmer, die aber anders als in Honig im Kopf keine Ammenmärchen darstellen. Gehen bei Schweiger wegen einer Vielzahl von erfreulichen Krankheitsaspekten die Schattenseiten gen Schluss fast unter, brechen hier vereinzelte Lichtblicke das grau-graue Bild auf, ohne irgendwas zu verharmlosen. So zeigt Still Alice, das nach Schicksalsschlägen Rückhalt zuweilen von unerwarteter Seite kommt: Kristen Stewart ist zu Beginn Alices „missratenes“ Kind – eine Einzelgängerin, die ganz anders tickt als ihre restliche Familie. Ihre Figur taut aber kontinuierlich auf, was die Twilight-Mimin in ihrer darstellerisch bislang womöglich anspruchsvollsten Leinwanddarbietung schrittweise, empfindsam und mit leisen Zwischenklängen skizziert.

Dieser Film der Gegenwart, in dem die modernen Kommunikationstechniken für Alice hauptsächlich Hilfsmittel sind, aber vereinzelt auch eine Gefahrenquelle darstellen, hat jedoch auch manch kleinere Schwächen. So haben die Ensemblemitglieder neben Moore und Stewart zu wenig zu tun und eines der Mutter-Tochter-Gespräche fasst das Geschehen auffällig konkret zusammen – die sonst so reale Sprache des Films wird da kurzzeitig zu gewollter Kino-Sprache. Bei all den Stärken von Still Alice – Mein Leben ohne Gestern sind diese Negativpunkte aber leicht zu vernachlässigen. So gefühlvoll, so echt, so beeindruckend wurde Alzheimer im fiktionalen Kino bislang nicht geschildert!


Fazit: Gefühlvoll, schmerzlich, brillant: Julianne Moore begeistert in Still Alice – Mein Leben ohne Gestern als Frau, die in der Blüte ihres Lebens an Alzheimer erkrankt.


Project: Almanac

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Die cineastische Schublade des Found-Footage-Films wird vornehmlich von Horrorfilmen dominiert. Vom Kannibalenthriller Nackt und zerfleischtüber den subtilen Schrecken Blair Witch Project bis hin zum Geisterbeobachtungsschocker Paranormal Activityund all seinen Trittbrettfahrern haben zahlreiche Horror-Untergattungen bereits eigene Found-Footage-Vertreter erhalten. Gelegentlich nutzen Filmemacher die Spielerei, fiktive Storys in ein dokumentarische Formalien zu kleiden, jedoch für Projekte außerhalb der Horror-Ecke – und einige dieser Ausnahmen von der Regel zählen auch prompt zu den findigeren Found-Footage-Werken. So erntete im Herbst 2012 das spannende Polizei-Drama End of Watch mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle großes Kritikerlob, ebenso wie der wenige Monate zuvor gestartete Chronicle – Wozu bist du fähig?.

Die geistreiche Verquickung aus Außenseiter-Drama und pessimistischer Superheldenstory machte Regisseur Josh Trank kurzfristig zu einer immens gefragten Person in Hollywood – seither wurden ihm das Fantastic Four-Reboot sowie ein Star Wars-Ablegerprojekt zugetragen. Letzteres hat sich mittlerweile zwar erledigt, trotzdem fällt es schwer, nicht zu mutmaßen, dass es die überaus positive Resonanz auf Tranks Debüt war, die den Weg für Project Almanac ebnete. Denn auch in der Ende 2012 in Auftrag gegebenen Produktion hält eine Gruppe pubertierender Schüler auf Video fest, wie sie eine futuristisch anmutende Entdeckung macht, dadurch enger zusammenwächst und schlussendlich in Trubel gerät. Denn selbstredend treibt irgendwann einer von ihnen mit seinen neuen Fähigkeiten Schindluder.

Im unter anderem von Michel Bay produzierten Project Almanac geht es aber nicht erneut um solche Superkräfte wie Telekinese oder die Fähigkeit, zu fliegen. Das 17-jährige Physikass David (Jonny Weston), sucht zu Beginn des Films verzweifelt nach einem Experiment, das ihm ein Stipendium beim MIT verschaffen könnte. Da David aber mit seinem Latein am Ende ist, durchstöbert er den Kram seines vor Jahren verstorbenen Vaters, der als Erfinder tätig war. Als ihm und seiner Schwester Christina (Virginia Gardner) eine alte Videokamera in die Hände fällt, traut er seinen Augen nicht: Auf einer Aufnahme seiner siebten Geburtstagsfeier ist im Hintergrund sein heutiges Ich zu sehen. David versichert sich bei seinen Freunden Adam Le (Allen Evangelista) und Quinn Goldberg (Sam Lerner), ob sie dasselbe sehen wie er. Und tatsächlich: Auch sie meinen, den 17-jährigen David im Video auszumachen – was die Theorie aufkommen lässt, dass sich unter den Hinterlassenschaften seines Vaters eine Zeitmaschine befindet. David und Co. stellen das Haus auf den Kopf, woraufhin sie ein unfertiges, hochkompliziertes Projekt vorfinden. Sie glauben, dass es sich dabei um die unvollendete Zeitmaschine handelt. Mit der mehr oder minder unwillentlichen Hilfe ihrer populären Mitschülerin Jessie Pierce (Sofia Black D'Elia) machen sie sich drauf und dran, das Gerät zum Laufen zu bringen …

Eine ungeschriebene Faustregel des Found-Footage-Films besagt: „Wenn der Zuschauer sich Gedanken über Sinn und Unsinn des Bildmaterials macht, ist gehörig etwas schief gelaufen!“ Es sagt daher viel über Project Almanacaus, wenn sich immer wieder solche Fragen aufdrängen wie: „Wieso filmt jemand freiwillig, dass er eine Straftat begeht?“ oder „Wieso filmen die Jungs, dass gerade überhaupt nichts passiert?“ Dass sich das Publikum solche Fragen in aller Seelenruhe stellen kann, liegt vor allem in der Struktur dieses Sci-Fi-Streifens begründet.

Einen großen Teil der Laufzeit widmen die Autoren Jason Harry Pagan und Andrew Deutschman dem Alltag von David und seinen Freunden vor Entdeckung der Zeitmaschine sowie den Fehlversuchen, das Gerät zu perfektionieren. Weil die Figuren jedoch allesamt keinerlei Dimension aufweisen, sondern nur flache Stereotypen sind (wenngleich halbwegs sympathisch dargestellte Stereotypen), ist dieser lange Einstieg nur bedingt unterhaltsam. So mancher verbaler Schlagabtausch zwischen den Figuren sorgt für ein leichtes Schmunzeln, dies genügt aber nicht, um diesen ersten Akt aufrecht zu erhalten. Erst sobald die Zeitmaschine funktioniert, wird Project Almanac richtig lebendig. Dass sich die Freunde erstmal nur in allerlei Albereien versuchen, ist sogar noch genrekonform – im Mittelteil ist Dean Israelites Regiearbeit im Grunde genommen eine Teenie-Sci-Fi-Komödie im Found-Footage-Look. Und was Found-Footage-Jugendeskapaden angeht, sind die Eskapaden in Project Almanac um ein Vielfaches erträglicher als die im unsäglichen Project X.

Da sich der Einfallsreichtum von David und Konsorten (respektive der Filmemacher) aber in Grenzen hält, werden auch die zu erwarten stehenden Zeitreise-Späße irgendwann alt. Die Chemie zwischen den Darstellern ist ansehnlich genug, um Project Almanac davor zu bewahren, ein lästiges Seherlebnis zu werden, trotzdem mangelt es lange an einem treibenden Konflikt. Wenn dieser dann endlich eintritt, weil einer der Freunde die Zeitmaschine aus eigenen Motiven benutzt, ist es allerdings zu spät: Was im Sinne eines mitreißenden Spannungsbogens spätestens nach dem ersten Drittel hätte geschehen sollen, wird stattdessen eiligst herunter gerattert. Fesseln kann das Finale durch die hastigen Entwicklungen ganz und gar nicht, so dass schlussendlich dem geneigten Genrefreund bestenfalls die teils pfiffigen, teils aufdringlichen Referenzen auf andere Zeitreise-Filme besonders in Erinnerung bleiben. Und die atmosphärischen Partyszenen werden sicher auch ihre Freunde finden. Als Gesamtwerk ist Project Almanac jedoch zu unentschlossen, nicht zielstrebig genug und zu arm an Alleinstellungsmerkmalen, als dass er sich auch nur ansatzweise mit besseren Found-Footage-Produktionen messen lassen könnte.


Fazit:Überproduzent Michael Bay bringt mit Project Almanac einen Found-Footage-Zeitreisefilm in die Kinos, der zu wenig gute Elemente aufweist, um seine unausgegorenen Passagen vergessen zu machen.

Freitag der Karibik #12

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Obligatorische Spoilerwarnung für  Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt!

Wenn man einen Film mehr als zehn Mal im Kino schaut und ihn obendrein unzählige Male im Rahmen von Filmabenden mit Freunden und Bekannten guckt, so ist es gut möglich, dass sich gewisse Reaktionen häufen. Und es gibt einen Moment in Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt, der nahezu jedes Mal halbleise und kritisch von Mitguckerinnen angesprochen wird.



Sobald die Szene nach dem Abspann läuft, die zeigt, wie es Elizabeth Swann zehn Jahre nach den turbulenten Ereignissen des Hauptfilms ergangen ist, spöttelt praktisch immer eine im Saal / Zimmer befindliche Zuschauerin: "Wie unrealistisch, die sieht ja nicht einen Tag älter aus!" Und jedes verdammte Mal denke ich: "Boah, Ruhe, du bist doch bloß neidisch!"

Es gibt nämlich mehrere Gründe, weshalb Elizabeths Aussehen zum Abschluss von Am Ende der Welt in meinen Augen vollkommen genehm ist. Erstens sah man sie zuletzt in desolatem Zustand: Ungepflegt, zerzaust, die Monate auf See gerbten ihre vom Sonnenbrand geplagte Haut und ihre Haare könnten auch mal wieder eine Kur gebrauchen. Kurzum: Elizabeth lief vor dem Abspann von Am Ende der Welt wie eine erfahrene Piratin herum. Die Post-Abspannsequenz suggeriert, dass sie wieder ein etwas geordneteres Leben führt - und daher sieht sie gepflegter aus. Da fallen die zehn zusätzlichen Jahre auf ihrem Buckel kaum auf.


Darüber hinaus ist es nur realistisch, dass Gore Verbinski und sein Team Elizabeth Swann nicht extrem altern ließen. Schließlich wird sie von Keira Knightley verkörpert, und wie uns die vergangenen Jahre bewiesen haben, muss sich in ihrer DNA das Geheimnis des Jungbrunnens befinden. Hätte man Knightley also in Am Ende der Welt aufgrund schlapper zehn Jahre, die handlungsimmanent vergangen sind, mit Altersschminke zugekleistert, würde der Film viel schlechter altern, da sich künftig die Frage stellt "Wieso sieht Knightley so unnatürlich alt aus?"

Gwyn - Prinzessin der Diebe, 2001

King Arthur, 2004

The Imitation Game, 2014

Entscheidend ist allein, dass Elizabeth in der Am Ende der Welt-Schlusssequenz reifer aussieht als noch in Fluch der Karibik. Ob sie nun über zehn Jahre älter aussieht und erste Fältchen zeigt und so dem Publikum das Gefühl gibt "Hach, wenn sie so stark altert, darf ich das auch" oder ob sie einfach nur ein bisschen mehr Reife zeigt und unseren Neid wachkitzelt, ist aus "realistischer" Sicht unbedeutend. Nur verrät der tatsächlich eingeschlagene Weg offensichtlich mehr über das Filmpublikum. Flüche, Ungeheuer und Göttinnen, alles in Ordnung. Aber wehe, eine Frau altert unverschämt gut, dann müssen wir mal über Glaubwürdigkeit reden!


Iron Man 2

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2008 stürmten die Marvel Studios mit Iron Man das Spielfeld, das wir Hollywood nennen: Jon Favreaus Comicumsetzung nahm weltweit über 585 Millionen Dollar ein. Mehr noch: Mit ihrem hohen Tempo, einem kongenial besetzten Robert Downey junior und einem leicht ironischen Unterton überzeugte Marvels erste Eigenproduktion sogar einen Großteil der Kritiker. Zwei Jahre später sollte das Sequel nicht nur diesen Erfolg ausbauen, sondern obendrein mit Nachdruck vermitteln, dass das von Kevin Feige geführte Studio noch großes vorhat.

Im Filmuniversum selbst ist seit Tony Starks Wandlung vom Waffenlieferanten zum Superhelden im eisernen Anzug erst ein halbes Jahr vergangen, wenngleich ein äußerst turbulentes. Nachdem Stark während einer Pressekonferenz seine geheime Identität senthüllte, arbeitete er erfolgreich am Weltfrieden. Der Playboy und technisch überaus bewanderte Firmenchef stieg zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten der Weltgeschichte auf und eröffnete in New York zudem die Stark Expo: Eine Weltausstellung mit Fokus auf technische Entwicklungen, die uns eine frohe, segensreiche Zukunft bescheren sollen. Außerdem bietet sie dem Milliardär mehr als genug Gelegenheiten um sein gigantisches Ego zu befriedigen. Währenddessen entwickelt sich ein Rechtsstreit zwischen Tony Stark und dem US-Militär, das ihn auf rechtlichem Weg dazu zwingen möchte, seine Iron-Man-Ausrüstung der Armee auszuhändigen. Doch nicht nur dem Militär ist Stark bzw. Iron Man ein Dorn im Auge: Auch sein Mitbewerber Justin Hammer (Sam Rockwell) möchte ihn fallen sehen. Genau daran arbeitet Ivan Vanko (Mickey Rourke), der Sohn eines Arbeitskollegen von Tonys Vater Howard Stark, der mit Hilfe älterer Blaupausen seinen eigenen Superanzug bastelt und es auf Rache für seine Familienehre abgesehen hat.

Angefangen bei Das Imperium schlägt zurück, hin zu Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes und The Dark Knight: Viele Fortsetzungen bemühen sich, düsterer und komplexer als ihr Vorläufer zu sein, und zumindest bei den genannten Beispielen ging die Rechnung auf. Allerdings bietet sich dieser Stimmungswechsel nicht immer an, und all zu häufig verliert die Fortsetzung durch die "größer, schneller, finsterer"-Mentalität viele der Vorzüge des Originals. Wenn man bei Iron Man 2 eins richtig gemacht hat, dann diesbezüglich, dass Tony Starks zweiter Leinwandeinsatz tonal versucht, in Spuckweite des Erstlings zu bleiben. Obwohl Autor Justin Theroux (Tropic Thunder)
auch die Schattenseiten von Tony Starks narzisstischen Charakter aufzeigt, toppt Iron Man 2 zumindest den Anteil an augenzwinkernd-spaßig gemeinten Passagen des ersten Teils. Der dramatische Subplot darüber, dass Stark seinen schleichenden Tod aufgrund einer Vergiftung durch die in seinen Brustkorb implantierte Technologie kaltschnäuzig herunterschluckt, zieht die Stimmung nicht hinunter - und wirkt trotzdem nicht runtergerattert.

Gleichwohl ist sie Teil des zentralen Problems, das den dritten Eintrag ins 'Marvel Cinematic Universe' plagt: Iron Man 2 hat viele, viele Ansätze, und verfolgt letztlich keinen in zufriedenstellender Ausgiebigkeit. Stark stößt sein Umfeld (vor allem Pepper, erneut toll gespielt von Gwyneth Paltrow) vor den Kopf. Die US-Regierung ist scharf auf seine Ausrüstung. Sein ewiger Konkurrent Hammer will ihn übertölpeln. In Form von Ivan Vanko alias Whiplash taucht ein neuer Gegner auf. S.H.I.E.L.D. ist sich unsicher, ob sie Iron Man als Teil der Avengers-Initative sehen wollen. Und dann muss noch ein neues Element entdeckt werden ... Für eine Geschichte, die sich allein um eine Figur dreht, nämlich den Titelhelden, ist diese ein viel zu fragmentierte, uneinige Erzählung, weshalb nie eine mitreißende, flüssige Storydynamik aufkommen will.

Daher fällt hier die (in späteren Marvel-Filmen deutlich besser bewältigte) Ausarbeitung des Marvel-Kosmos so negativ auf. Die mal mehr, mal weniger versteckte Verwendung von Ausrüstungsgegenständen anderer Superhelden ist noch amüsant. Aber selbst Samuel L. Jackson als Nick Fury kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Marvel Studios Iron Man 2 streckenweise als überlangen Trailer für den Avengers-Film nutzen. Insbesondere die von Scarlett Johansson verkörperte Natalie Rushman respektive Black Widow kommt zu lang vor, um als bloßer Appetitanreger zu funktionieren, wird gleichwohl zu wenig genutzt, um ihre hier noch schammige Skizzierung zu verzeihen. Einen Vorteil hat ihr Auftauchen dennoch: Ihre toll choreographierte, rasche Actionsequenz ist ein dringend benötigtes Gegengewicht zur zähen, visuell so belanglosen Schlusssequenz, in der Iron Man und War Machine gegen Whiplash in einer riesigen Iron-Man-Raubkopie sowie dessen Armee an mittelgroßen Iron-Man-Raubkopien antreten.

Generell zeigt Favreau in Iron Man 2 ein deutlich geringeres Händchen dafür, wie unterschiedlich und fesselnd die fliegende Rüstung Starks in Aktion gezeigt werden kann. Der Action-Höhepunkt erfolgt noch im ersten Drittel, wenn Iron Man während des Historischen Großen Preises von Monaco von Whiplash angegriffen wird. Rourke beweist hier wieder einmal einnehmende Leinwandpräsenz und die elektrisierten Peitschen seiner Rolle werden ideenreich verwendet, um das Duell packend zu gestalten. Wann immer Iron Man nach dieser Szene höchstpersönlich aufkreuzt, enttäuscht die Action. Eine Prügelei in Starks Villa ist eingangs aufgrund des Kontexts und der Musikauswahl amüsant, schlussendlich überreizt Favreau diese Szene allerdings so sehr, dass sie lästig wird. Und das Finale ist wie schon angerissen gar für die Tonne.

Vanko hat nach der Monaco-Szene, abgesehen von zwei, drei gelungenen Sprüchen, ebenfalls völlig ausgedient, weshalb Sam Rockwell die Kohlen aus dem Feuer holen muss: Als großspuriger Möchtegern-Stark gelingt es ihm, dadurch so extrem witzig zu sein, weil seine Figur gerne witzig wäre, es aber nicht ist. Somit ist er ein überzeugender Gegenpol zum Titelhelden, den Robert Downey junior erneut mit sichtlich großer Spielfreude zum Leben erweckt. Seine Darbietung des größenwahnsinnigen und selbstverliebten Milliardärs mit der Ausstrahlung eines Rockstars und einem tief unter seinem Lebemann-Mantel versteckten guten Herzen macht schlichtweg Spaß. Obendrein enthält sie bei aller ironischen Überzeichnung noch genügend Glaubwürdigkeit, um diesen faserig erzählten und in den Actionmomenten enttäuschenden Film nicht völlig in ich zerfallen zu lassen  Trotzdem: Die Pluspunkte von Iron Man 2 zünden zu wenig, um dieser an den Kinokassen stark aufgenommenen Produktion Pepp zu verleihen. Die meisten der Szenen beginnen oder enden spröde bis öde, und bei diesem unkonzentrierten Superheldenactioner reicht es nicht, wenn die meisten Sequenzen nur einen peppigen Kern aufweisen, der sich eh wieder verliert. Iron Man 2 ist das Billig-Atemfrischbonbon unter den Marvel-Eigenproduktionen: Ganz kurz erfrischend, und zack, ausgelutscht.

Cruise the Musical

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Irgendwie ist es ja schon besorgniserregend: Wir sind mittlerweile so sehr an unsere filmische Franchisekultur gewöhnt, dass aus dem Hause Disney interessante Neuigkeiten über ein Filmmusical kommen können, welches keine Adaption und kein Sequel ist, und diese Nachricht kaum Wellen schlägt! Denn so schwach der Titel Bob the Musical auch sein mag, die Namen, die der Disney-Konzern mit diesem Realfilm paart, sind bemerkenswert!

Die Idee zu Bob the Musical ist bereits mehrere Jahre alt und erinnert in groben Zügen an die Musical-Episoden aus Scrubs - Die Anfänger oder Pepper Ann: Ein Normalsterblicher aus unserer normalen, auf spontane Gesangs- und Tanzeinlagen verzichtenden Welt, bekommt einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Seither nimmt er sein Umfeld als Musical wahr, inklusive schwelgerischer Lieder, die das Innerste seiner Mitmenschen vor ihm ausbreiten. Bob macht sich verständlicherweise Sorgen ...

Die Filmidee nahm bei Disney lange nicht Fahrt auf. Nun aber kommt es Schlag auf Schlag. So ist laut The Hollywood Reporter niemand Geringeres als Tom Cruise im Gespräch, die Hauptrolle zu übernehmen. Und dass Cruise ein fähiger Tänzer ist, stellt der 53-Jährige ja bei jeder Gelegenheit unter Beweis, während sich seine gute Singstimme in der Filmwelt leider nur im grottigen Rock of Ages so richtig Gehör verschaffen durfte. Cruise eine zweite Musicalchance zu geben, könnte sich meiner Ansicht nach bezahlt machen, zumal die Schreiberlinge hinter Bob the Musical sehr vielversprechend sind.

Für die Lieder wurde nämlich Bret McKenzie angeheuert, das humorvolle Genie hinter den meisten Songs aus Die Muppets und sämtlichen Originalnummern aus Muppets Most Wanted. Das Drehbuch wiederum soll von Pulitzer-Preisträger Michael Chabon überarbeitet werden, der Sam Raimis Spider-Man 2 verfasst hat. Für den Regieposten ist unterdessen Michel Hazanavicius im Gespräch, der schon in The Artist ein tolles Gespür für Schwung, Witz und leise Zwischentöne bewies. Sowie für das fähige in Szene setzen eines Hauptdarstellers mit strahlendem, breitem Grinsen.

Also, ich weiß nicht, wieso nicht mehr Disney- und Filmfreunde auf das Projekt hinfiebern. Ich zumindest finde diese Kombi klasse.

Thor

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Das Comicuniversum Marvels war über Jahrzehnte hinweg am besten für seine diversen mutierten Superhelden bekannt. Seien es die freundliche Spinne von nebenan, die Mutantenschüler von Professor X oder, wenn man auch ihn als Mutanten auffassen will, der grüne Wutriese Hulk. Während der Comicgigant ab 2008 bei der eigenständigen Produktion von Kinofilmen zwar auf letzteren zurückgreifen durfte, lagen durch zuvor geschlossene Lizenzvereinbarungen zahlreiche weitere populäre Figuren außer Reichweite. So beschloss das Team rund um Kevin Feige, sich innerhalb des riesigen Marvel-Archivs gezielt auf die noch vorhandene B-Riege zu stürzen. Wichtige Figuren, die ein unerlässlicher Bestandteil des Avengers-Teams sind, aber zuvor nicht solch eine breite Berühmtheit erlangt haben wie Spider-Man oder die X-Men. Schon Iron Man war vor seinem eigenen Realfilm zwar dank seiner eigenen Trickserie auch manchen Nicht-Comiclesern ein Begriff, jedoch längst nicht die Ikone, zu der er daraufhin aufstieg. Mit Thor gingen die Marvel Studios noch einen Schritt weiter und ließen einen Superhelden auf die Leinwand, dem "nur" ein 13-teiliges Segment innerhalb der spärlich budgetierten Trickserie The Marvel Super Heroes und diverse Gastauftritte in anderen Serien aufzuweisen hatte.

Mit seiner mythologischen Unterfütterung stellte Thor aber eine gute Wahl für den vierten Eintrag ins 'Marvel Cinematic Universe' dar, immerhin ließen sich so auch Kinomärkte ansprechen, die in Sachen Superhelden weniger experimentierfreudig sind als im Bereich der Fantasy. Denn nach einem kurzen, irdisch verorteten Prolog mit guter Humordosis eröffnet Thor erst einmal so wie ein schwelgerischer Fantasy-Film (bevor wir uns einer "Fish out of the water"-Storyline nähern, die viel Spaß auf unserem blauen Planeten mit sich bringt): Göttervater Odin (Anthony Hopkins) hat seine kriegerischen Tage hinter sich gelassen. Einst führte er einen erbitterten Kampf gegen die seinem Königreich Asgard feindlich gesinnten Eisriesen, nunmehr zeigt er sich als besonnener Herrscher, dem heißblütige Rachemanöver zuwider sind. Odins Erstgeborener Thor (Chris Hemsworth) hingegen ist ein Krieger, wie er im Buche steht. Als eine Gruppe Eisriesen in die Waffenkammer eindringt, beschließt er, Rache zu nehmen. Gegen Vaters Rat zieht er mit seinen Freunden in das feindliche Reich, um den Eisriesen seine Macht zu demonstrieren. Dies erzürnt Odin derart, dass er dem blonden Recken seine Kräfte raubt und ihn auf die Erde verbannt – sehr zur Freude von Thors eifersüchtigen Bruder Loki (Tom Hiddleston), der somit in der Thronfolge nach vorne rückt.

Auf der Erde rennt Thor geradewegs in den Wagen der Forscherin Jane Foster (Natalie Portman), die mit ihrem Team unerklärliche Wetterphänomene untersucht. Die unsanfte Begegnung endet zwar glimpflich genug, aber Thor verwirrtes Gerede beschert ihm trotz körperlicher Unversehrtheit einen Krankenhausaufenthalt. Während Janes Kollegen die ganze Geschichte damit als beendet betrachten wollen, glaubt sie, durch ihre Zufallsbekanntschaft Antworten auf brennende Forschungsfragen zu erhalten ...

Obschon die Szenen in der weit entfernten Welt Asgards Thor fast sowas wie ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb des Superheldengenres verleihen, so sind sie gleichzeitig das schwache Glied im Kettenhemd dieses Marvel-Abenteuers. Shakespeare-Experte Kenneth Branagh bemüht sich redlich, dem Göttertreiben gediegene Theatralik zu verleihen, indem er die Gespräche zwischen den Asen bevorzugt in weite Räume verlegt, die er wiederum in weiten Winkeln einfangen lässt. Hinzu kommen eine vom britischen Barden inspirierte Sprache sowie Akzente setzende, mittellange Pausen in den Dialogen - allerdings verfehlen diese Elemente teils ihre Wirkung. Denn das Komplott von Thors intrigantem Bruder hat rein konzeptuell vielleicht das Zeug, aus dem Shakespeare-Dramen sind, in der Umsetzung ist Lokis leicht weinerliches, opportunistisches Vorgehen zu seicht, um dieser 'Verpackung' gerecht zu werden. Das Design Asgards ist zwar prächtig und treffend überbordend, allerdings leuchtet Kameramann Haris Zambarloukos die realen Sets zu häufig in einem so grellen Licht aus, dass sie künstlich wirken. Im Zusammenspiel mit den sterilen CG-Ergänzungen wecken Kamerafahrten durch Asgard daher öfters Erinnerungen an MMORPG-Trailer als an waschechte Kinoware.

Wie aus einem Fantasy-Rollenspiel von der Stange mutet auch die erste Actionsequenz von Thor an: Der Feldzug des Donnergotts und seiner Anvertrauten gegen die Eisriesen ist unrhythmisch geschnitten, ohne dramaturgischen Unterbau und leidet zudem an durchwachsenen Digitaltricks, deren visuelle Gestaltung zusammen mit den (ebenfalls weitestgehend digitalen) Hintergründen der Eiswelt einen grau-grau-eisblauen Matsch ergibt. Nicht zuletzt wegen dieser unkoordinierten Schlacht gerät der anfängliche Asgard-Part zäh und trocken, so dass nur die humorvollen Aspekte rund um Thors Hammer-Kampfstil für einen Hauch Esprit sorgen. Sobald der rebellische Thronanwärter aber auf die Erde verbannt wird, nimmt Branaghs Superhelden-Actionkomödie ordentlich an Fahrt auf.

Denn das Drehbuchteam Ashley Edward Miller, Zack Stentz und Don Payne hat es tatsächlich vollbracht, die selten ansprechende Grundidee, eine Figur mit fantastischem Hintergrund in unsere urbane Realität zu versetzen (siehe etwa Beastmaster II – Der Zeitspringer und Masters of the Universe) stimmig umzusetzen. Anders als viele verwandte Filme blickt Thor in seinem Culture-Clash-Aspekt weder auf unseren Alltag herab, noch auf den verständlicherweise verwirrten, mit unseren Gepflogenheiten aneckenden Thor. Beiden Parteien wird Sympathie abgerungen, der Witz generiert sich nicht aus Abfälligkeiten, sondern aus gewitzt eingefangenen Diskrepanzen zwischen dem, wie Thor sich zu verhalten hat und wie er sich verhalten möchte. Dass dieser Balanceakt funktioniert und das Gag nicht nach wenigen Minuten ausgelutscht ist, ist dabei zu großen Teilen der Performance von Chris Hemsworth zu verdanken. Durchtrainiert und mit dem spitzbübischen Lächeln eines rebellischen Sohnes, der es eigentlich nur gut meint, hat er die Sympathien schnell auf seiner Seite. Der Australier verschwindet entsprechend schnell in seiner Rolle des gleichermaßen charismatischen wie ungestümen Donnergottes. Zwar ist es möglich, Haare zu spalten und einige Ungereimtheiten in der Charakterzeichnung finden (Thors saubeutelnde Wikinger-Mentalität mutiert innerhalb eines Wimpernschlags zu durchgehend ritterlicher Höflichkeit). Allerdings ist Hemsworths Leinwandpräsenz derart übermächtig und sein komödiantisches Timing so punktgenau, dass diese schwankende Persönlichkeit nur auffällt, wenn man mit Adleraugen nach Makeln im Film sucht.

Unterstützt wird der Witz, der Hemsworths trotz aller Spaßigkeit nie lächerlich wirkenden Rolle innewohnt, dadurch, dass auch sein unmittelbares irdisches Umfeld deutlich lockerer auftritt als die Bewohner Asgards. Durch die flockige, sich selten um einen leichtgängigen Spruch drückende Art von Natalie Portman, Kat Dennings sowie Stellan Skarsgård erhöht sich auch die Glaubwürdigkeit des Plots: Figuren, die eh nicht alles bierernst nehmen, kauft man einfach viel problemloser ab, wenn sie das strenge, logische Denken, Aliens könne es nicht geben, hinterfragen und dann auch mal nach kurzen Zweifeln direkt glauben, eben diese Aliens könnten die Vorlage für altnordische Religionen sein. Dahingehend erweist sich auch das Casting Portmans als Glücksgriff: Während das Skript ihrer Rolle der Jane Foster nur die allernötigsten Konturen verleiht, hebt die Mimin die Figur mit einer grundsympathischen Heiterkeit und zurückhaltend-romantischer Ader auf ein überzeugenderes Niveau. Dennings derweil bekommt die besten Einzeiler und Skarsgård tänzelt zwischen stiller Erhabenheit und trockener Kauzigkeit. Tom Hiddleston indes bemüht sich redlich, Loki Tiefe zu verleihen, und wann immer er sich auf der Gewinnerseite wähnt, blitzt das auf, was seine Rolle später in Avengers und dem Thor-Sequel zum Publikumsliebling machen wird. Aber die Versuche, Loki hier eine innere Zerrissenheit zu verleihen, scheitern schlicht am Skript.

Ein Aspekt, in dem Thor dafür meilenweit an Iron Man 2 vorbeidüst, ist die Verwebung dieses Soloabenteuers in das riesige Marvel-Filmuniversum. Kam der zweite Einsatz des Mannes in der fliegenden Eisenrüstung zwischendurch wie eine penetrante Avengers-Promo rüber, arbeitet Thor seine Referenzen viel flüssiger ein. Neben einigen in Pointen verorteten Anspielungen auf andere Comichelden kommt auch hier die obligatorisch gewordene Organisation S.H.I.E.L.D. vor, deren Auftauchen allerdings eher als Bonus für Marvel-Kenner angelegt ist. Die Geschichte würde ähnlich verlaufen, hätte man irgendeinen anderen Geheimdienst abkommandiert, Thors Hammer zu untersuchen, bloß wäre das für Insider dann nicht ganz so unterhaltsam. Vor allem, weil man dann auf den köstlichen Clark Gregg in seiner Rolle als S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson verzichten müsste.

Worauf Branagh, vor dem unter anderem Sam Raimi (Spider-Man) und Matthew Vaughn (Kick-Ass) als Regisseur im Gespräch waren, derweil sehr wohl verzichtet: Es mangelt Thor an einem wikingerstarken Soundtrack. Patrick Doyles Kompositionen sind zwar gefällig, jedoch wecken sie nicht gerade Assoziationen mit nordischen Göttern und passionierten Kriegern. Mit ihrer passablen Qualität befindet sich die Originalmusik von Thor also ungefähr auf einem Niveau mit der 3D-Konvertierung dieses Superheldenfilms: Der Effekt wird nur selten ausgereizt, jedoch ist die Tiefenwirkung, wenn sie zur Geltung kommt, grundsolide und das Bild ist zudem nahezu frei von Irrbildern.

Unterm Strich ist Thor viel unterhaltsamer, als man nach so vielen negativen Aspekten annehmen müsste. Die unaufregenden Actionsequenzen sind ähnlich schnell verziehen, wie die Unfähigkeit des Drehbuchs, Lokis Komplott fesselnd vor einem auszubreiten. Denn die Sequenzen im staubigen US-Provinzkaff sind zu kurzweilig geschrieben und die Darsteller zu charmant, als dass Thor hinter dem Comicfilm-Durchschnitt zurückfällt. Längen gibt es durchaus, der spaßige Kern dieses Films wird dafür mit jedem Ansehen charmanter. Kein Hammer von einem Film, doch grundsolide!
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