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Von Flop bis Top: Mein Ranking aller Michael-Bay-Filme

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Michael Bay. Herr der Explosionen. Lautstarker Gegner der Kritikerzunft. Weltweit spielten seine Regiearbeiten (ohne Berücksichtigung der Inflation) bislang über 5,85 Milliarden Dollar ein. Und ob man es gut findet oder nicht: Dieser Mann hat eine klar erkennbare, inszenatorische Handschrift. Manche nennen ihn daher einen "Auteur", andere rümpfen bei dem Gedanken, Bay zu adeln die Nase, und betiteln ihn als "Vulgar Auteur". So oder so: Bay schuf seinen eigenen Stil und prägte das Hollywoodkino durchaus mit. Da sein bis dato am wenigsten Geld in die Kassen treibender Film 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi demnächst auf DVD und Blu-ray startet, möchte ich auf Bays Schaffen als Kinoregisseur zurückblicken.

Nennt es meinetwegen "Brüste, Wummen, Explosionen" oder "Dummer Kommerzmist" oder "Musikvideo-Style trifft Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom". Oder einfach "Popcorn, Nachos und 'ne Buddel Bier, beim Film gönn' ich's mir". Ich nenne es "Von Flop bis Top". Dies sind sie. Michael Bays Regiearbeiten, sortiert danach, wie hoch sie in meiner Gunst stehen.

Platz 12: TransformersDie Rache (2009)

Der Höhepunkt (respektive Tiefpunkt) in Michael Bays Laufbahn als Filmregisseur, der die Bremse voll durchdrückt, seinen Film zum Stillstand bringt, und ich erst einmal Zeit nimmt, eine Darstellerin so intensiv zu fetischisieren, dass es irgendwas zwischen traurig und lustig wird (siehe Abbildung). Und das gehört noch zu den vergnüglicheren Momenten dieses spürbar während des Autorenstreiks geschriebenen Films, denn selbst für Bay ist der zweite Transformers unfassbar dumm und unsinnig. Eine dünne, unnötig verschwurbelte, viel zu sehr in die Länge gezogene Story mit ätzenden Figuren, demotiviert wirkenden Darstellern und ermüdenden Actionsequenzen, die eher so geschnitten und gefilmt sind, als wäre hier ein Bay-Imitator am Werk. Chaos pur, und das der anstrengenden Art. Linkin Park rockt aber.

Platz 11:Transformers (2007)

Lahm. Ich finde diesen Film einfach lahm. Shia LaBeouf bemüht sich, Megan Fox darf nur eine Witzfigur spielen (und das nicht besonders gut), Bay hält in den Actionszenen viel zu nah an den überdimensionalen CG-Roboteralienwesen drauf, so dass ich kaum etwas ausmachen kann. Linkin Park rockt aber.


Wir verlassen den "Ich kann dem Film praktisch gar nichts abgewinnen"-Bereich und betreten die Welt des "Ich finde das Gesamtwerk mies, aber muss sagen: Ein paar Treffer landet Bay dann doch". 13 Hours hätte einfach nur brutal um jegliche Wiederholung, anti-intellektuelle Phrase und pseudodramatische Erkenntnis/Rückbesinnung gekürzt werden müssen. Und dann hätten wir einen ultrastark ausgeleuchteten, gestochen scharf gefilmten Streifen über austauschbare, kernige Bartträger mit Herz aus Gold, die versuchen, zu überleben. Uninteressante Figuren, einige Längen, Action  mit Konsequenzen, aber im Finale sehr einseitig gedreht: 13 Hours ist ein Flop, aber einer, der zwischendurch ganz nette Sequenzen in Edeloptik bietet.

Platz 9: Transformers – Die dunkle Seite des Mondes (2011)

Rosie Huntington-Whitley empfiehlt sich hier keineswegs als Schauspielstar. Aber sie fällt weniger negativ auf als Megan Fox in den ersten beiden Transformers. Und da beide von Bay eh nur als Eyecandy genutzt werden, muss ich sie ja fast schon als solche bewerten ... Und: Huntingon-Whitley bewahrt vor Bays Kamerasensor wenigstens einen Victoria's Secret-Glanz des Eleganten, während Fox ... Nunja. Auch der Humor gefällt mir hier eher. Es gibt noch immer kaum etwas, worüber ich lachen kann, aber die Augenroll-Pointen werden weniger. Patrick Dempsey ist ... ansatzweise lustig hier. Und die Story ist zwar unbedeutend, aber immerhin leidlich-duldbar, ebenso, wie das große Finale nach dem mageren Vorlauf eigentlich ganz nett ist. Linkin Park rockt aber.

Platz 8: Pearl Harbor (2001)

Pearl Harbor besteht aus exakt drei Akten: Eine unfassbar kitschige Romanze/Kameradschaftsgeschichte mit schöner Begleitmusik von Hans Zimmer, einem vergessenswerten Josh Hartnett, einem sich nicht in die Rolle einfühlenden Ben Affleck und einer annehmbaren Kate Beckinsale. Eine umwerfend gefilmte Kriegssequenz. Ein unnötig langer, pathetischer Epilog. Man werfe Cuba Gooding Junior in diesen Mix, der aus einem Nichts von einer Figur eine erstaunlich feine Performance rausholt und jede Menge richtig starke praktische Effekte.

Platz 7:  Bad Boys – Harte Jungs (1995)

Wir verlassen den Sektor der Frustration und landen bei richtig netten Filmen. Der erste Bad Boys ist, streng genommen, einfach nur ein Buddy-Cop-Movie. Die Story könnte aus zahllosen durchschnittlichen Genrevertretern stammen. Bays Regieführung hat zwar schon diese 90er-Clipästhetik, ist aber noch arg gezügelt. Will Smith und Martin Lawrence rocken aber.

Platz 6: Die Insel (2005)

Wieder ein qualitativer Sprung nach oben: Ewan McGregor und Scarlett Johansson spielen in dieser Sci-Fi-Geschichte top respektive gut. Steve Buscemi macht Mordsspaß. Sean Bean ist herrlich fies. Sowohl die anfängliche, strahlend weiße Zukunftswelt als auch die staubige Außenwelt sind überaus hübsch eingefangen. Die Story ... Nun, sie lässt viel des moralischen Potentials liegen, als Aufhänger funktioniert sie sehr gut. Die Musik von Steve Jablonsky ist klasse, Michael Clarke Duncan gefällt. Einen Hauch zu lang ist Die Insel vielleicht (etwas weniger auf-der-Stelle-treten in der Mitte hätte geholfen) und gelegentlich nervt das Product Placement. Dennoch: Jau, dieser Film hat einiges für sich.


Es kann einfach kein Zufall sein, dass Michael Bay seinen besten (soll heißen: seinen bislang einzig guten) Transformers-Film direkt nach seinem selbstironischen Befreiungsschlag Pain & Gain verwirklicht hat. Ära des Untergangs nimmt, wie Pain & Gain, alle "Bayism", und dreht die Markenzeichen dieses Regisseurs voll auf. Froschperspektive. Sonnenuntergänge. Explosionen. 360°-Kamerafahrten. Sonnenuntergänge. US-Flaggen. Sonnenuntergänge. Explosionen. 360°-Explosionen vor einem Sonnenuntergang neben einer US-Flagge. Intensive Farbästhetik. Eine winzig kleine Alibistory, die nach jeder als großes Finale dienen könnenden Actionszene einen Weg findet, noch einen Akt dranzukleben. Transformers: Ära des Untergangs ist exzessives Bombastactionkino in einer überdrehten Hyperästhetik und mit diesem verfluchten Charmebolzen Stanley Tucci! Teil eins bis drei wollten ein Minimum an Sinn ergeben und brachen sich so das Genick. Transformers: Ära des Untergangs ist ein freudig grinsendes Popcornmusical. Nur mit Explosionen und Sonnenuntergängen an Stelle von Stepptanz und Jazzhands. Leider geil? Nein. Leider oberaffengeil. Nur Imagine Dragons rocken nicht.

Platz 4: Pain & Gain (2013)

Der vielleicht ehrlichste Abspann der Hollywood-Geschichte (und somit der ältere Bruder des Deadpool-Vorspanns) gibt zu: Michael Bay steht als Regisseur auf Tod, Titten, (Farb-)Explosionen. Und einen passenderen Abschluss könnte Pain & Gain nicht haben, denn die Nacherzählung einer unglaublichen, aber wahren Geschichte ist sozusagen die aufgekratzte Parodie einer Realsatire. Action-Kriminaldrama, Selbstparodie und Hochglanzamerikanismusbewegtbildmagazin in einem. Pain & Gain ist ein Mordsbrett, das mit jedem Angucken faszinierender wird.

Platz 3: Bad Boys II (2003)

Bad Boys - Dieses Mal im vollen Michael-Bay-Stil. Gekauft.

Platz 2: Armageddon – Das jüngste Gericht (1998)

An Armageddon hängen nostalgische Gefühle an die Zeit, als ich pubertierend die Blockbusterwelt kennenlernte. Und während sich manche Filme aus jener Zeit bei erneuter Betrachtung abnutzen, habe ich Armageddon noch immer richtig gern. Eine unvergleichliche Mischung aus Pathos, Style Over Substance, unterhaltsamem Cast und vergnüglichen Zerstörungsorgien. Und Trevor Rabin hat wohl nie einen noch besseren, eingängigeren Score komponiert als hier.

Platz 1: The Rock – Fels der Entscheidung (1996)

Michael Bays Magnum Opus. Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Ein entfesselter, saucooler Nicolas Cage. Sean Connery in seiner, ja, darf ich das sagen (?), besten Leistung nachdem er die Lizenz zum Töten abgegeben hat. Ed Harris als markiger Schurke mit (für Bay) nachvollziehbarer Motivation. Dutzende tolle Sprüche. Eine unnötig lange, aber verflixt geile Verfolgungsjagd durch San Francisco. Und ein Bombenscore. The Rock rockt.

Was ist eure Meinung zu Michael Bay und seiner Filmografie? Ich bin auf eure Kommentare gespannt!

Die wichtigste Filmszene 2016

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Dieser Artikel enthält keine handlungsrelevanten Ghostbusters-Remake-Spoiler, verrät aber sehr wohl den Ablauf einer Szene im dritten Akt. Je nach eurer Befindlichkeit in solchen Sachen empfehle ich daher, zunächst den Film zu gucken, und dann erst hier weiterzulesen.

Allein schon die Kombination aus der Überschrift "Die wichtigste Filmszene 2016" und einem animierten Ghostbusters-Szenenbild dürfte bereits einige Gemüter zum Kochen bringen. Und ich fürchte, die nachfolgende Beteuerung wird es nicht besser machen: Wir müssen die Szene, über die ich nun schreibe, nicht genau so betiteln. Ich hatte für diesen Artikel diverse alternative Titelideen. "Der filmische Schlüsselmoment 2016". "Der cineastische Wendepunkt, der Ghostbusters zu einem der wichtigsten Filme dieses Jahrzehnts machen könnte". Und andere Formulierungen, die den Bodensatz des Internets gewiss nicht erfreuen dürften. Also kann ich auch direkt die knackigste Variante wählen.

All jenen, die nicht bereits in die Kommentarsektion gespurtet sind, sondern tatsächlich wissen wollen, worum es mir geht, möchte ich versichern: Keine Sorge. Ich bin niemand, der Sonys Big-Budget-Komödie aus Prinzip über den grünen Klee lobt und so tut, als sei er aufgrund seiner Besetzung über jeden Zweifel erhaben. Das wäre auch gar nicht im Sinne dieses Films. Denn Ghostbusters setzt sich über den (zu seiner Zeit begründeten) Parolenfeminismus vergangener Jahrzehnte hinweg und ist voll und ganz im "Leb damit!"-Zeitalter angekommen. Er schwafelt nicht darüber, dass Frauen die gleichen Fähigkeiten wie Männer haben. Er zeigt es einfach. Statt zu theorisieren, lebt er es vor. Und so selbstverständlich, wie Ghostbusters mit seinem Cast und seinen Figuren umgeht, ist es auch gestattet, ihn für seine Mängel zu kritisieren, ohne dadurch seine positive Vorbildfunktion zu untergraben.

Erfreulicherweise gibt es, in meinen Augen, nicht all zu viele Mängel. Ganz gleich, wie viele Menschen es aufgrund ihrer geringschätzigen Betrachtungsweise auf Frauen oder ihrer nostalgischen Verklärung des Originals nicht sehen werden. Paul Feigs Ghostbusters-Remake (oder -Reboot, wie auch immer es euch beliebt) ist ein kurzweiliger Blockbuster-Komödienspaß. Große Gesten, markige Figuren. In Anbetracht von Paul Feigs Tendenz, auszuschweifen, ziemlich knackig erzählt. Manche Gags schaffen es nicht, das Timing astrein abzustimmen, so dass sie zwischen "endet, wenn es witzig ist" und "läuft so lange, dass es erst unlustig wird, und dann wieder lustig" landen. Der Antagonist ist humorig und ein interessant eingesetzter Archetyp, wird aber als Figur nicht greifbar, wodurch das volle Potential seiner Metaphorik verloren geht. Immerhin erinnert er an die sozial gekränkten, einsamen, weißen Buben, die durchticken und zu Einzeltätern werden – was aber nur zwischen den Zeilen rüberkommt.

Davon abgesehen hat Ghostbusters allerhand Qualitäten aufzuweisen. Eine tolle Dynamik zwischen den Darstellern etwa. Eine komplett neue Figurenriege mit eigenen Persönlichkeiten, statt der bei Remakes oft üblichen, nur partiell gegenüber dem Original veränderten Rollen. Zahlreiche spaßige Dialoge. Toll aussehende Geister. Chris Hemsworth als perfekte Parodie des dummen Blondchens. Und: Kate McKinnon alias Dr. Jillian Holtzmann. Die quirligste, unterhaltsamste Leinwandschöpfung seit vielen, langen Jahren.

All das sorgte dafür, dass ich mich im Kino während der Pressevorführung sehr gut unterhalten gefühlt habe. Rundes, angenehmes Entertainment mit rezitierbaren Sprüchen, bei dem ich persönlich die kleineren Längen verzeihen kann. Wahrlich kein Meisterwerk, doch ein außerordentlich gelungener Launenheber.

Doch dann kam dieser Moment, in dem Ghostbusters einen gewaltigen Satz nach vorne macht. Es ist keine Sequenz, die diesem Film streng nach Lehrbuch einen Freifahrtschein für seine schwächeren Elemente verleiht. Wohl aber eine Szene, die mich voll und ganz gepackt hat. Ich vergaß die Leute um mich herum, ich vergaß den Kinosaal. Ich fühlte mich wie in die Filmwelt gesogen, um dort als staunender Beobachter diesen Augenblick zu verinnerlichen. Es war eine dieser Szenen, nach denen ich spüre, wie mein Filmliebhaberhherz vor Freude in die Lüfte springt und so schnell damit nicht mehr aufhören will.


Die Szene, die ich meine, spielt sich während des großen Finales ab. Drei der vier Ghostbuster hatten bereits ihren heroischen, kämpferischen Solomoment, wobei dieser stets eine kleine bis größere Pointe beinhaltete. Plötzlich schrecke ich in Gedanken auf, leicht quengelig, und frage mich, wieso meine Lieblingsfigur bisher übergangen wurde: "Aber was ist mit Holtzmann?!"

Kaum habe ich meine Frage zu Ende gedacht, stampft Holtzmann entschlossen auf die Leinwand und registriert, welche Heerschar an Geistern sich um sie herum versammelt hat. Die orchestrale Musik des Komponisten Theodore Shapiro gönnt sich eine kurze Verschnaufpause, Holtzmann merkt staubtrocken an, dass sie ja die neusten Babys in ihrem Waffenarsenal vergessen hat, rüstet auf ...

Und ZACK! Begleitet von der bombastischsten, coolsten, rockigsten, markigsten Variation des Ghostbusters-Titelthemas, die jemals auf diesem Erdenrund gespielt wurde, schlägt und schießt und wirbelt sich Holtzmann durch eine Parade stylischer Geister, während um sie herum ein reiner Farborgasmus die Leinwand erfüllt. Mein Atem stockt, ich bekomme Gänsehaut und denke nach dieser makellosen Kampfchoreografie, von mentalem Applaus begleitet: "Ich muss den Film so bald wie möglich nochmal sehen. Das. War. Cool."

Nachdem der Film zu Ende ging und im Kinosaal wieder das Licht angeknipst wurde, dachte ich lange und intensiv über diese Szene nach. Ich wollte rausfinden, weshalb sie bei mir eine solch starke Reaktion ausgelöst hat. Ja, sie ist gut gefilmt, hat eine fürs heutige Blockbusterkino außergewöhnliche Farbästhetik und die Musik ist sehr treffend auf die Bewegungen abgestimmt. Dennoch: Eigentlich nur eine gute Actionszene. Keine cineastische Revolution. Muss wohl einfach daran liegen, dass meine Lieblingsfigur dieses Films sie bekommen hat. Und am Timing, kam die Szene doch genau dann, als ich sie mir herbeigewünscht habe.

Im Anschluss an den Kinobesuch habe ich mit mehreren Menschen über den Film gesprochen. Unter anderem mit einem guten Freund, den ich als Begleitung mitnehmen durfte. Ich sprach auch mit meiner hochgeschätzten Kollegin Antje, die den Film wenige Tage zuvor in einer anderen PV gesehen hat, und ebenfalls sehr genoss. Jeder hatte seine persönlichen Highlights. Aber niemand erwähnte diese Szene. Antjes Höhepunkt etwa lag ganz woanders im Film: In einem originell-dummen Satz von Chris Hemsworth. Okay. Lag wohl wirklich ganz allein an mir, zuckte ich mit den Schultern.

Aber diese Szene ließ mich partout nicht los. In den Folgetagen spielte ich sie immer wieder vor meinem geistigen Auge ab. Ich suchte bei Spotify den Soundtrack nach der Begleitmusik dieser Sequenz ab. Kaufte mir den Score letztlich. Ich durchstöberte das Netz nach GIFs und schwärmte jedem, der es hören wollte, von der Szene vor.


Und dann stieß ich via Twitter über einen fantastischen Artikel bezüglich Ghostbusters. Erin Ramsey schreibt darin, wie sie als kleines Mädchen auf dem Spielplatz immer nur eine bessere Statistenrolle ausführen durfte, wenn sie mit Jungs herumtobte. Sie stellte das nie in Frage. 2016 jedoch sitzt sie im Kino und wird von besagter Szene überwältigt. Eine Heldin macht Geistern den Garaus. In einem zu großen Overall. Mit wuseligem Haar und zerknautschten Gesichtsausdrücken. Niemand lobt sie, weil sie gut aussieht. Sie wird von der Kamera kein Stück weit sexualisiert. Sie ist einfach nur verdammt cool, ohne sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen. Sie ist das Vorbild, von dem Erin in genau dieser Sekunde bemerkt, dass sie es als Siebenjährige hätte haben wollen, hätte sie gewusst, dass sie sich sowas wünschen kann.

Wenige Tage später stieß ich auf eine weitere Lobeshymne auf diese Szene, dieses Mal von einer Erynn Brook. Sie jubelt: Ein Film mit mehreren Frauen, die gut miteinander klar kommen. Keine Lovestory. Aber gute Actionmomente. Komplett ohne sexy Kostüme. Ohne Kommentare anderer Figuren, wie heiß diese Damen doch alle sind. Sie erleiden keine narrativen, ironischen Seitenhiebe. Sie scheitern in einem normalen Maße und kommen da ohne männliche Hilfe wieder raus. Und dann rockt Holtzmann das Haus! Sie ist eine brillante, fesselnde Verkörperung eines Rollentypus, den sonst nur Männer besetzen. Sie ist ein kompetenter Irrer.

Ja. Ripley ist eine starke Leinwandheldin. Ja, die Russos und Joss Whedon haben Black Widow weit über ihren Status aus Iron Man 2 emporgehoben. Die Braut aus Kill Bill hat's voll drauf. Furiosa in Mad Max: Fury Road ebenfalls. Und dennoch: Hier ist der Kontext nochmal anders. Und Holtzmanns Kostüm nochmal eine gute Spur unglamouröser. McKinnons Performance deutlich non-chalanter, selbstbewusster und daher desinteressierter daran, wie Holtzmann auf ihr direktes Umfeld wirken könnte. Sie ist eine herausragende Identifikationsfigur, ohne sich anzubiedern. Oder optische Erwartungen zu setzen. Oder ein positives Rollenmodell irgendwie mit jedweder romantischer Fußnote zu versehen. Sie ist irre, aber das ist für sie und ihre Gefährten selbstredend. Ich will keineswegs sagen, dass Holtzmann die beste weibliche Leinwandfigur ist, die es je gegeben hat. Gute Güte. Aber sie punktet den ganzen Film über und rockt insbesondere diesen einen Moment. So, wie Holtzmann die Geister zerfetzt, metzelt sich diese Szene durch all die schlechten Actionmomente, in denen Frauen dumm dastehen.

Nun, wie ich wohl nicht betonen muss: Ich bin ein Mann. Also will ich mich nicht anmaßen und sagen: Ich hatte genau dasselbe Erlebnis wie die Autorinnen der obig verlinkten Beiträge. Und dennoch erklären ihre Reaktionen auch meine Reaktion.
Ich habe bereits Hunderte, ach was, sicher Tausende Filme in meinem Leben gesehen. Ich bin für jedes Genre offen. Bin anders, als manch desillusionierte Kollegen, noch immer empfänglich für gute Action und launiges, so genanntes Popcornkino. Und dann kommt da Ghostbusters an. Ein Remake! Oder Reboot, wie auch immer ... Und liefert mir etwas Frisches und Unverbrauchtes. Diese Szene verschafft mir ein neues, oder zumindest rares, Seherlebnis. Und das gepaart mit einer kaum geahnten Selbstverständlichkeit. Was sie, leider, filmhistorisch überaus relevant macht.

Diese Szene, in der Holtzmann ihre Gadgets erfolgreich austestet, ist bei Weitem nicht die erste gute Actionszene mit einer Frau im Mittelpunkt. Und doch strahlt sie etwas aus, was ich nie zuvor von einer Filmszene über eine weibliche Rolle vermittelt bekommen habe. Es geht nicht um Liebe. Oder um Muttergefühle. Oder um eine Vergewaltigungsmetapher. Oder eine Rachefantasie. Oder darum, wie gut Frauen aussehen können, wenn sie einen Männerjob erledigen. Es geht ebenso wenig darum, dass Frauen mit Männern mithalten können. Es geht um absolut gar nichts. Es ist einfach nur eine verflixt coole Szene ohne jeglichen Fetischismus und ohne jegliche Aussagekraft. Und gerade daher ist diese Szene so sexy und so bedeutsam. Die Frau ist hier für einen kurzen, atemberaubenden Moment im Hollywood-Entertainment mit dem Mann gleichgezogen. Ohne Parolen. Ohne Erklärung oder Rechtfertigung, geschweige denn Relativierung. Wenigstens für diesen einen Augenblick. Es ist somit eine Szene, die das große Spektakelkino nahezu gar nicht kennt. Sie ist ein Novum. Und ich hoffe, sie wird massenhaft kopiert.

Nicht, weil es keine Heldinnen und Helden mehr geben soll, die was fürs Auge bieten. Sondern, weil es bei Helden alle Varianten gibt: Vom Adonis über den Spinner hin zum Jedermann. Wieso sollten wir nicht auch drei Spielweisen der Heldin bekommen? Die schöne Helena. Die Normale. Und die Holtzmann.

Birnenkuchen mit Lavendel

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Die Popkultur hat sie in den vergangenen Jahren für sich entdeckt: Figuren, die Asperger oder ähnliche Konditionen haben. Der von Benedict Cumberbatch einprägsam verkörperte BBC-Sherlockbefindet sich zweifelsfrei auf dem Spektrum und stellt ein besonders kühles Exemplar dar. Er selbst bezeichnet sich gar als „hochfunktionaler Soziopath“. Sitcom-Protagonist Sheldon Cooper hingegen beteuert, dass er als Kind getestet und für normal befunden wurde. Große Teile der Fangemeinde von The Big Bang Theory sind sich derweil sicher, dass der Wissenschaftler, Nerd und WG-Bewohner Autist ist. Neben diesen beiden Serien-Hauptfiguren bereicherten in jüngster Vergangenheit zahlreiche autistische Figuren die Medienlandschaft. Regisseur und Autor Éric Besnard steuert mit Birnenkuchen mit Lavendel nun auch eine französische Wohlfühlkomödie hinzu, die sich um eine solche Figur dreht.

Pierre (Benjamin Lavernhe) ist, Asperger zum Trotz, in vielerlei Hinsicht das Gegenteil zum strengen und harschen Sherlock Holmes, den die britische Erfolgsserie seit drei Staffeln zeichnet. Der belesene Gelegenheitshacker hat einen Putzfimmel und ist bei aller Verkopftheit durchaus seinem menschlichen Umfeld gegenüber aufgeschlossen. Er ist zwar schüchtern, als er der verwitweten Landwirtin Louise (Virginie Efira) aus Versehen vors Auto rennt und so in ihr Leben stürzt, findet er aber sofort einen Draht zu ihr. Daher kann er nicht anders, als sich ihrer Problemchen und Probleme anzunehmen. Von der Unordnung in ihrem Haus, über die Ärgernisse mit ihren Kindern Emma (Lucie Fagedet) und Felix (Léo Lorléac'h), bis hin zu den finanziellen Problemen ihres Betriebs. Louise weiß den verschlossenen Mann mit allerlei Macken nicht so recht einzuordnen, und hält ihn auf Abstand, selbst wenn sie ihn durchaus sympathisch findet. Dass sich Pierre aufgrund seiner Art so manchen zwischenmenschlichen Patzer leistet, sorgt für weitere Komplikationen …

Besnard formt seinen unaufgeregt erzählten Film so, wie viele Standard-Romantikkomödien gehalten sind: Es gibt das mehr oder minder ungewöhnliche erste Treffen, daraufhin lernen sich die zentralen Figuren besser kennen, was zu süßen gemeinsamen Momenten führt sowie zu Situationen, in denen sie sich gegenseitig nerven. Der große Krach ist in so einer Erzählung vor dem Einläuten der letzten Filmminuten ebenfalls unvermeidlich … Trotz dieses standardmäßigen Aufbaus ist Birnenkuchen mit Lavendelwohlgemerkt kein Supermarkt-Fertiggebäck, sondern ein liebevoll erstelltes Kino-Küchlein. Der konventionellen Dramaturgie wirkt entgegen, dass in dieser Geschichte über Zwischenmenschlichkeit die Gefühle nie hochgekocht werden – passend zum jede Szene an sich reißenden Pierre. Zwists inszeniert Besnard nicht mit lautklagender Theatralik, und wenn sich Pierre und Louise nähern kommen, so skizziert er dies charmant und süß, verzichtet dabei jedoch auf Kitsch und Pathos.

Umso stärker herrschen leise Situationskomik und ein durch mildes Licht verstärktes Bilderbuch-Gefühl vor: Zwar ist die Geschichte, von Pierres absurd guten Hackerkünsten abgesehen, durchweg plausibel, doch aufgrund des zarten Tonfalls und der in Pastelltönen gehaltenen Optik versprüht Birnenkuchen mit Lavendel eine bemerkenswerte Stimmung der Behaglichkeit. Die rasanten Wortwechsel zwischen der von Efira warmherzig gespielten Louise und dem eigenbrötlerischen Sensibelchen, das Lavernhe äußerst überzeugend darbietet, geben diesem gemütlichen Film obendrein etwas Pfiff. Daher eignet sich die Kinoproduktion auch für Zuschauer, die die Welle an französischen Heile-Welt-Kuschel-Tragikomödien zuletzt ermüdet hat.

Bloß die ständigen Zwischenschnitte auf die malerische Provinz und Louises rustikal-pittoreskes Landhaus, die wiederholt Szenenwechsel in die Länge ziehen, hätte sich Besnard verkneifen können – denn unter dieser mächtigen Verzierung drohen die Feinheiten dieses Geheimtipps verloren zu gehen. Als inspirierende Geschichte über die Verständigung zwischen Herz- und Kopfmenschen, die nie abfällig über Autisten spricht, hat Birnenkuchen mit Lavendel aber so viele Sympathiepunkte zu bieten, dass sich diese kleinere Schwäche verschmerzen lässt.

Fazit: Charmant, süß, unaufgeregt: Birnenkuchen mit Lavendel ist ein echter Wohlfühlfilm mit malerischen Bildern und reizenden Protagonisten.

Raum

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Neun Quadratmeter. Für den fünfjährigen Jack (Jacob Tremblay) bedeuten sie die Welt. Sein ganzes Leben hat er auf denselben neun Quadratmetern verbracht. Und er fühlt sich wohl in seinem kleinen Lebensraum. Es gibt ein Oberlicht, das ihn, wie er glaubt, in den Weltraum blicken lässt. Und es gibt einen Fernseher, der unwirkliche Bilder zeigt. Doch vor allem befindet sich seine Mutter mit ihm im Raum: Die junge Joy (Brie Larson), die mit nahezu unerschütterlicher Besonnenheit ihrem Sohn ein glückliches Leben ermöglicht, indem sie Jack optimistische Geschichten erzählt und selbst banale Aufgaben des Alltags in kleine Spielereien verwandelt.

Für Joy bedeuten diese neun Quadratmeter Lebensraum hingegen den reinsten Albtraum: Im Alter von 17 Jahren wurde sie vom garstigen Nick (Sean Bridgers) entführt. Seither hält er sie in seiner schallisolierten Gartenlaube gefangen, in der er sie auch regelmäßig sexuell missbraucht. Seinen so entstandenen Sohn Jack bekommt Nick allerdings kaum zu Gesicht, denn das bisschen Kampfeswillen, das in Joy übrig geblieben ist, nutzt sie, um den Jungen zu beschützen. Vor Nick. Und vor der traurigen Realität, in der er sich befindet. Aber Joys Vermögen, diese Scharade weiter mitzumachen, bricht zusammen. Und so ringt sie mit dem Gedanken, einen letzten Fluchtversuch zu wagen …

Leinwandfüllende Klaustrophobie
Regisseur Lenny Abrahamson (Frank) und Kameramann Danny Cohen (The Danish Girl) gehen in diesem Drama auf visueller Ebene einen ungewöhnlichen Weg: Obwohl die beiden Hauptfiguren ihren tristen Alltag auf äußerst begrenztem Raum bestreiten müssen, ist die Adaption von Emma Donoghues gefeiertem Roman durchweg in einem breiten Bildformat gehalten. Durch den Verzicht auf eine formale Einengung des Geschehens wird Jacks Weltsicht Rechnung getragen: Der Fünfjährige weiß nicht, dass er gefangen gehalten wird, sondern glaubt dank Joys Erziehung, dass er die gesamte Welt begriffen hat und sie komplett auskosten kann. Jacks unbändige Lebensfreude hat die große, breite Leinwand verdient.

Dessen ungeachtet ist die Bildsprache von Raum sehr wohl beengend: Cohen hält die Kamera im titelgebenden Raum stets sehr nah am Geschehen, so dass Brie Larsons und Jacob Tremblays Gesichter wiederholt nahezu das gesamte Bild ausfüllen. Auch die karge Einrichtung des verwitterten Raums und die von Jack freudig aufgezählten Details der ihm bekannten Welt sind in Nahaufnahmen zu sehen, wodurch es schwer fällt, als Zuschauer einen umfassenden Überblick zu erhalten. Abrahamson sperrt das Publikum gemeinsam mit Jack und Joy ein – und lässt ihm die Möglichkeit, beider Weltsicht nachzufühlen.

Dramatisch, aufwühlend und doch poetisch
Dies trifft nicht nur auf die Inszenierung zu, sondern auch auf das Dialogbuch der Romanautorin Emma Donoghue: Jacks Naivität dominiert mehrere Szenen, und es sind diese kindlich erzählten Sequenzen, die Raum mit Hoffnung und Unbeschwertheit erfüllen. Doch so nachvollziehbar durch die von Jacks Perspektive beherrschten Szenen sein mögen, kaschiert Donoghue in ihrem Skript nie, welch grausame Situation Joy durchlebt. Es ist glaubwürdig, dass Jack den alten Nick nur für einen bösen Zauberer hält und daran zweifelt, ob er real ist oder Einbildung. Und dennoch bleibt ersichtlich, dass er ein Entführer und Vergewaltiger ist, und wie sehr Joy wegen ihm leidet. Brie Larson (Short Term 12 – Stille Helden) meistert mit ihrem emotional aufwühlenden, aber stets mit Bodenhaftung versehenen Spiel den kniffligen Balanceakt zwischen vorgetäuschter Zufriedenheit und innerem Tumult.

Zu keinem Zeitpunkt lässt die Oscar-prämierte Mimin Zweifel an Joys Liebe zu Jack entstehen, und gerade daher sind die Zwists zwischen Mutter und Tochter überaus aufwühlend: Wann immer das einzig Gesunde in Joys Leben wegen ihres aufgekratzten Nervenkostüms und Jacks beschränkter Weltsicht einzugehen droht, ist dies mitleiderregend. So fungiert die Frage, ob Mutter und Sohn allen Umständen zum Trotz gemeinsam glücklich werden, als stärkstes, spannungstreibendes Element in Raum. Dazu trägt selbstredend auch Tremblay bei, der diese anspruchsvolle, vielschichtige Rolle ganz natürlich und ohne Pathos verkörpert.

Bei allem Schrecken, den Raum vermittelt, ist dieses Drama jedoch auch eine inspirierende Geschichte, die die menschliche Anpassungsfähigkeit skizziert sowie den Schimmer der Hoffnung, der daher selbst auf die dunkelsten Momente folgen kann. Donoghues unaufgeregt erzählte Geschichte beschönigt solche Schicksale wie das der fiktiven Joy (deren Situation jedoch an diverse reale Fälle wie etwa Natascha Kampusch erinnert) nie, sie umfasst sogar Kritik am Umgang der Nachrichtenmedien mit solchen Tragödien. Doch gerade dadurch, dass Donoghue und Abrahamson die Tiefen so menschlich zeichnen, wirken die kurzen Momente der Harmonie so poetisch und inspirierend.

Fazit: Zwei starke Performances und eine emotional aufwühlende, einsichtsreich erzählte Geschichte machen Raum zu einem dramatischen und dennoch aufmunternden Kleinod.

Batman v Superman – Dawn of Justice

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Batman und Superman: Zwei der bekanntesten Superhelden der Comicgeschichte. Wenn diese Beiden gegeneinander antreten, ist dem daraus resultierenden Duell große Aufmerksamkeit sicher. Im Comicbereich kommt es daher in unregelmäßigen Abständen zum Kampf der Giganten, mit Zack Snyders Batman v Superman: Dawn of Justice findet der Heldenzwist erstmals als Realfilm den Weg ins Kino. Doch nicht nur aufgrund des Eventcharakters der feindlichen Begegnung zwischen Batman und Superman lastet viel auf den Schultern dieses Films: Als zweiter Part im ‚DC Extended Universe‘ führt die Big-Budget-Produktion zahlreiche Figuren und mythologische Aspekte ein, die in weiteren Filmen noch eine Rolle spielen werden. Und zudem gilt es nach dem kontroversen Man of Steel, eine Kurskorrektur der Rezeptionsgeschichte des Kinofranchises vorzunehmen. Große Aufgaben, die da auf Batman v Superman: Dawn of Justice warten. Doch leider wird Snyders Epos diesen nicht gerecht.


Kein Plot, sondern eine Ansammlung an zusammengeklöppelten Filmkonzepten
Obwohl die Trailer bereits gefühlt 80 Prozent der Story enthüllt haben, bat Warner vor Kinostart die Kritikerzunft, in ihren Artikel nicht zu viel zu verraten. Davon abgesehen, dass dieser Widerspruch zwischen eigener Kommunikation und dem Wunsch dessen, was Medienjournalisten schreiben sollten, schon albern war, als Sony ihn vor den SPECTRE-Pressevorführungen äußerte: Sofern nicht irgendein Spoilerfreak in jeder seiner Kritiken zwanghaft die letzten 15 Minuten erläutert, wüsste ich nicht, was wir Kritiker im März groß über Batman v Superman: Dawn of Justice hätten spoilern können.

Denn das Drehbuch Chris Terrio und David S. Goyer besteht nicht etwa aus stringenten Geschichte oder aus mehreren aufeinander zulaufenden, einen eigenen Antrieb aufweisenden Subplots. Viel mehr besteht es aus einer Ansammlung von Handlungsansätzen, die einen eigenen Film tragen könnten, nun aber in rudimentärer Form halbherzig zusammengeklöppelt wurden: Der Unternehmer Bruce Wayne (Ben Affleck), muss hilflos mit ansehen, wie durch den in Man of Steel geschilderten Kampf zwischen zwei Aliens zahlreiche seiner Angestellten einen grausamen Tod sterben. Daher beschließt er, mehr über den in diesen Akt der Zerstörung involvierten Außerirdischen namens Superman (Henry Cavill) herauszufinden: Was sind seine Schwächen, und wie könnte er ihn im Gewand seines Superhelden-Ichs Batman töten, sollte es nötig sein?

Bruce Wayne ist nicht der einzige, der Superman kritisch beäugt: Zwar wird er gemeinhin als Retter der Menschheit erachtet, jedoch erzürnt diese Heldenverehrung jene, die bei Supermans erstem Einsatz schwer verletzt wurden oder einen geliebten Menschen verloren haben. Der US-Senat, insbesondere Senatorin Finch (Holly Hunter), denkt sogar laut darüber nach, ob er Supermans Einsätze nicht regulieren könnte. Der geniale Jungunternehmer Lex Luthor (Jesse Eisenberg) offenbart Finch alsbald, dass er ein Mineral gefunden hat, das gegen Superman und seine Artgenossen als Waffe eingesetzt werden könnte – von solch harten Maßnahmen will sie allerdings nichts wissen. Bruce Wayne alias Batman kommt unterdessen Luthors Entdeckung auf die Schliche, während Supermans Alter Ego Clark Kent seine Stellung als Journalist nutzt, um gegen Batman zu wettern: Ein Mann, der das Recht in seine eigene Hand nimmt? Das geht doch nicht!

Zwei Lichtblicke: Die Amazone und die Instrumentalmusik

Darüber hinaus umfasst Batman v Superman: Dawn of Justice den ersten Auftritt von Gal Gadot in der Rolle von Wonder Woman, einer weiteren populären Figur aus den Heften des DC-Comics-Verlags. Obwohl die Leinwandzeit der Kampfamazone knapp bemessen ist, zählt sie zu den raren Glanzmomenten dieses Films: Gadot verleiht Wonder Woman nicht etwa nur das in solchen Rollen wohl obligatorische gute Aussehen, die Fast & Furious 7-Mimin sticht vor allem durch kesse, vergnügte Gesichtsausdrücke aus dem betont ernsten, grau-schwarz-blauen Einheitsbrei dieses Films hervor. Hier ist sie, die eine Figur, die genießt, was sie tut! Begleitet von einer temporeichen, wilden Erkennungsmelodie mit energischen Kriegstrommeln, ist Wonder Woman in ihren wenigen Filmminuten eine dringend nötige frische Brise. Generell liefern die Komponisten Hans Zimmer und Junkie XL sehr gute Arbeit ab, selbst wenn abseits des Amazonenmotivs sämtliche Stücke sehr getragen daherkommen: Das Duo variiert clever Stücke aus dem Man of Steel-Score, findet ein exzentrisches, verspielt-psychotisches Thema für Eisenbergs launig dargebotenen Lex Luthor und die neuen Batman-Nummern reichen zwar nicht an die aus der The Dark Knight-Saga heran, trotzdem sind sie sehr effektiv.

Während die dick auftragenden, aber inspirierten Kompositionen überzeugen, lässt der Rest des Films die Kraft des Soundtracks vermissen: Die Geschichte wird unfassbar zäh erzählt, weder der Konflikt zwischen Batman und Superman, noch die inneren Konflikte der beiden Titelfiguren nehmen jemals so richtig Fahrt auf. Die Passagen, die nicht durch schwerfällige Dialoge oder eine behäbige Inszenierung weit über ihren Reizpunkt hinausgehen und somit dröge werden, lassen sich an einer Hand abzählen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verantwortlichen die Vorarbeit für weitere DC-Filme mit dem Vorschlaghammer vornehmen. Wiederholt bremst Batman v Superman: Dawn of Justice völlig aus und legt die eigentliche Story bei Seite, um weitere Figuren zu etablieren, die im Moment jedoch noch keine Rolle spielen. Alternativ werden in ausgedehnten Traumsequenzen/Visionen potentielle, spätere Plotlines angedeutet. Vor allem Batmans Handlungsfaden wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen, der mit Rückblenden, Vorausblicken und Traumsequenzen immer wieder auf der Stelle tritt und so ziellos wirkt. Zwar ließe sich argumentieren, dass Bruce Waynes unruhige Gedanken seine Wut auf Superman verstärken, allerdings wird somit nur seine eh etablierte Motivation weiter ausgewalzt – dabei wäre bei diesem hochdramatischen Tonfall etwas mehr Tiefe eher angebracht.

Jede Menge verschenktes Potential

Dabei ist Ben Afflecks Version von Batman gar nicht so uninteressant: Der Oscar-Preisträger spielt den Rächer im Fledermauskostüm als jemanden, der seine Wut in sich hineinfrisst und in dem die Gefühle pausenlos brodeln, obschon er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Statt laut polternd seinen Gegnern gegenüberzutreten, tritt er mit immensem Selbstbewusstsein, kühn und stoisch auf, was ihm eine äußerst einschüchternde Qualität gibt. Die Idee eines Solo-Batman-Films mit Affleck hat daher enormen Reiz, während Henry Cavills Superman in Batman v Superman: Dawn of Justicelängst nicht mehr so interessant ist wie noch in Man of Steel: Zwar sind die Gedanken, die andere Figuren über Superman haben, von Belang, deren Komplexität werden die hölzernen Dialoge aber ebenso wenig gerecht, wie die Handlung selbst, die nach dem konfliktschürenden ersten Akt jegliche Ambiguität verliert. Der Kampf zwischen Batman und Superman fällt nicht etwa in die Kategorie „Beide Seiten haben irgendwie recht“, sondern in die keinerlei Spannung zulassende Sparte „Beide sind auf der falschen Fährte“. Verbunden mit Cavills steinerner Miene weist der Superman-Part dieses grimmen Superheldentreffens die Dynamik einer bleiernen Ente auf.

Durch die dramaturgisch schwach unterfütterten Motivationen und Lex Luthors teils haarsträubenden Pläne müssen die Actionpassagen allein auf ihrer visuellen Ebene punkten. Und während der im Marketing lang versprochene, im Film eher knapp gehaltene Kampf der Superhelden immerhin solide choreografiert ist, hat der große Finalkampf angesichts eines halbgaren CG-Endgegners einige unfreiwillig komisch aussehende Anblicke zu bieten. Der träge Epilog wiederum treibt Snyders eintönig-pathetische Bildsprache auf die Spitze, so dass der Anfang des Abspanns fast einer Erlösung gleich kommt: Keine lustlosen Szenenübergänge durch Schwarzblenden mehr. Keine Ultranahaufnahmen oder ungelenke Dialoge mehr. Keine bemühten Vorausdeutungen mehr. Sondern einfach nur ein satter Score!

Die Extended Edition ist trotz rund 30 Minuten zusätzlicher Laufzeit nicht fähig, die eklatantesten narrativen Makel auszubügeln. Die Psychologie der Figuren bleibt auf dem dahinbrütenden, grantig-oberflächlichen Niveau, den schon die Kinofassung bietet, die komplett neuen Szenen geben lediglich klarere Antworten auf zuvor wacklige Randnotizen des Plots. Was die Extended Edition jedoch vorführt, ist die Macht eines guten Schnitts und einer Hand und Fuß aufweisenden Dramaturgie innerhalb einzelner Sequenzen: In der Langfassung werden viele Szenen ausführlicher aufgebaut, während die Kinoversion nur den intensiveren Mittelpart zahlreicher Augenblicke überlässt. Somit ist die über 180 Minuten lange Version weniger konfus – und diese ruhigere Erzählweise lässt eine stärkere Immersion in Snyders wenig optimistische Filmwelt zu, wodurch sich die Langfassung nicht so quälend lahm anfühlt wie die Kinoversion.

Fazit: DC Comics baut mit Batman v Superman: Dawn of Justice sein Filmuniversum weiter aus – und stellt hoffentlich fest, dass ein anderer Architekt herbei muss. Eine schwerfällige Inszenierung und ein dröges Skript, das genauso überfrachtet ist wie es ihm an einer dem Tonfall entsprechenden Tiefe mangelt, machen dieses Superheldentreffen zu einer ungeheuerlich frustrierenden Angelegenheit.

Eddie the Eagle – Alles ist möglich

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Die Olympischen Winterspiele 1988 gehören wohl zu den denkwürdigsten der Sportgeschichte: Unter anderem sorgte in diesem Jahr eine Bobmannschaft aus dem tropischen Jamaika für Wirbel. Diese ultimative Underdog-Geschichte einer Gruppe von unerfahrenen Sportlern, die sich in einer Disziplin zu beweisen versucht, die in ihrer Heimat keinerlei Standing hat, inspirierte wenige Jahre später einen Kinofilm: Jon Turteltaubs Disney-Sportkomödie Cool Runnings von 1993. Glaubt man den Pressestatements, die Kingsman – The Secret Service-Regisseur Matthew Vaughn zum Besten gegeben hat, war es dieser Film, der ihn dazu gebracht hat, nun eine ähnlich gelagerte Produktion anzupacken: Als er sich eines Abends mit seinen Kindern Cool Runnings angesehen hat, war er nach eigener Aussage völlig begeistert – und zudem erschüttert, dass niemand mehr solche Werke ins Kino bringt. Also hat er es sich zur Aufgabe gemacht, selber so einen Film zu verwirklichen. Und zwar über den Skispringer Michael „Eddie the Eagle“ Edwards, der ebenfalls bei den Olympischen Winterspielen von 1988 die Presse und die Öffentlichkeit mit einer außergewöhnlichen Geschichte in seinen Bann zog.

Seit seinen frühsten Kindstagen träumt Eddie Edwards (Taron Egerton) davon, Olympionike zu werden. Aufgrund seiner Ungeschicklichkeit, seiner Sehschwäche, seiner schwachen Knie und seiner nicht gerade athletischen Statur ist Eddie aber in den Augen vieler ein verlorener Fall. Von ihm selbst abgesehen glaubt nur seine Mutter (Jo Hartley) an ihn, selbst wenn er in einer Disziplin nach der nächsten versagt. Erst, als er eines Tages das Skifahren für sich entdeckt, macht sich Hoffnung bereit. Diese wird Jahre später jäh vom britischen Olympiakomitee zerstört, als er trotz guter Leistungen aufgrund seiner tölpelhaften Art aus dem Team geschmissen wird. Eddie lässt sich von diesem Rückschlag aber nicht lange aufhalten: Als er erfährt, dass er es dank veralteter Regeln als Skispringer zu den Olympischen Spielen 1988 schaffen könnte, macht er sich nach Garmisch-Partenkirchen auf, um den halsbrecherischen Sport im weltbekannten Skispring-Trainingszentrum zu erlernen. Dort legt sich Eddie erwartungsgemäß unentwegt auf die Nase, was den trunkenen Pistenwart und Ex-Skispringer Bronson Peary (Hugh Jackman) gegen ihn aufbringt. Alsbald bilden die beiden Außenseiter des Skisprung-Trainingsgeländes jedoch ein ungleiches Duo, das sich vornimmt, es den überheblichen Profis zu zeigen ...

Auch hinter den Kulissen ist Eddie the Eagleeine kleine Underdog-Geschichte: Da sich Matthew Vaughn keine familientaugliche Regiearbeit zutraut, übergab er den Posten an seinen Freund Dexter Fletcher, um selber bloß als Produzent zu fungieren. Der hauptsächlich als Schauspieler tätige Fletcher inszenierte bislang lediglich die positiv besprochenen, in den Kinos aber kaum gesehenen Nischenfilme Wild Bill und Sunshine on Leith. Das erklärt wohl auch, weshalb nicht er, sondern Vaughn in den Promomaterialien eine prominente Nennung erhält. Mit dieser 23-Millionen-Dollar-Produktion beweist Fletcher jedoch, dass er nicht unterschätzt werden sollte: Der 50-Jährige fängt mit Eddie the Eagledas gut gelaunte, anspornende Feeling typischer Disney-Sportkomödien ein, ohne dabei seinen Film zu einer schalen Kopie verkommen zu lassen.

Mit Texteinblendungen in einer verstaubten 80er-Schriftart und einer von Synthesizern bestimmten, kühlen, jedoch beschwingten Instrumentalmusik aus der Feder von Matthew Margeson verleiht Fletcher Eddie the Eagle ein intensives Retro-Feeling. So sehr, dass man fast gewillt wäre, zu glauben, dass dieser Film kurz nach den Olympischen Winterspielen von Calgary entstanden ist – würde nicht die Präsenz heutiger, prominenter Darsteller verraten, dass er aus der Jetztzeit stammen muss. Diese sind, selbst wenn sie der Illusion eines wiederentdeckten, filmischen Relikts nicht zugute kommen, allerdings perfekt gecastet: Kingsman – The Secret Service-Hauptdarsteller Taron Egerton versinkt völlig in der Titelrolle und meistert scheinbar mühelos den Spagat zwischen dick aufgetragenem Humor und ehrlicher Verneigung vor dem Mann, dessen Lebensgeschichte hier frei nacherzählt wird.

Mit vorgeschobenem Unterkiefer, verkniffenen Augen und polterndem Slapstick wirkt es eingangs so, als spiele Egerton bloß eine Karikatur – jedoch ist diese nicht ernstzunehmende, amüsante Oberfläche nötig. Immerhin wirkte auch der echte Eddie the Eagle auf viele Menschen im Sportzirkel genau so. Wenn sich Egerton alias Eddie dann aber mit versiertem Blick, stolz geschwellter Brust und auf einmal nicht mehr brüchiger, sondern sicherer Stimme einer Herausforderung stellt, wird klar, dass er sein Rollenvorbild ernst nimmt. Ebenso, wie diese Szenen verdeutlichen, wie unerschütterlich der olympische Gedanke ist, der Eddie the Eagle innewohnt. Sein (fiktionaler) Trainer Bronson Peary ist derweil eine perfekt auf Hugh Jackman zugeschnittene Figur: Grummelig, aber jovial, ungestüm, aber mitreißend und liebenswert.

So gut die Beiden bereits für sich genommen sind – gemeinsam blühen sie erst so richtig auf: Wie schon in Kingsman – The Secret Service beweist Egerton auch in Eddie the Eagleals Schüler eine bestechende Chemie mit seinem Leinwandmentor. Und genauso wie Egertons Zusammenspiel mit Colin Firth ist seine Interaktion mit Jackman sowohl von spritzigem Dialogwitz geprägt, als auch dahingehend glaubwürdig, dass sich beide Figuren allmählich sympathisch werden. Das Drehbuch von Sean Macaulay und Simon Kelton durchläuft zwar die üblichen Stationen einer inspirierenden Sportkomödie, allerdings wirkt der Handlungsverlauf nie erzwungen, sondern ergibt sich flüssig aus der zuvor eingeführten Mentalität der Figuren. Mit Details, wie Eddies Vater abfälliger Haltung gegenüber den Bemühungen seines Sohnes und Pearys Vergangenheit als in Ungnade gefallener Spitzensportler, lehnen sich Macaulay und Kelton (ob bewusst oder unbewusst) trotzdem deutlich in Richtung Cool Runnings. Ein kleiner Verweis auf die bobfahrenden Jamaikaner erweist sich dafür als sympathischer Tribut an die andere Irrsinnsgeschichte von Calgary, so dass diese expliziten Gemeinsamkeiten der beiden Filme nicht weiter stören.

Eine weitere Parallele zwischen Eddie the Eagleund dem Disney-Evergreen: Der stets humorvolle, leichtgängige Tonfall ermöglicht es beiden Filmen, ihre „Gib niemals auf!“-Botschaft unpathetisch zu vermitteln. Eddies Leistungen als Skispringer werden von Fletcher nie so inszeniert, als seien sie bahnbrechend. Stattdessen fängt Kameramann George Richmond Eddies von Stolz erfülltes und erleichtertes Gesicht sowie die staunenden Massen ein, um zu zeigen, wie unfassbar es ist, dass dieser unerfahrene Typ überhaupt seinen Sprung geschafft hat. Hinzu kommt Eddies ulkige Jubelei, die ihn 1988 zu einem der Olympia-Publikumslieblinge gemacht hat, und schon wird deutlich, dass es in diesem Film darum geht, sich selbst etwas zu beweisen: Hier geht es nicht um eine „Von der 0 zum Champion“-Story. Es ist, wie ein launig geschriebener Monolog in diesem Film aussagt, generell nicht von Belang, der Beste zu sein. Wichtiger ist es, sein Bestes zu geben. Und das ist ein ebenso anspornender wie aufmunternder Gedanke.

Fazit:Eddie the Eagle – Alles ist möglich ist die beste Sportkomödie des bisherigen Jahrzehnts: Mit sympathischen Darstellern, viel Humor und einer leichtfüßigen „Gib dein Bestes!“-Botschaft ist dieser Filmspaß ein regelrechter Überflieger.

10 Cloverfield Lane

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Sie wurde unter Film- und Fernsehfans bereits unzählige Male diskutiert: Die „Mystery Box“, mit der Produzent J. J. Abrams seine bevorzugte Herangehensweise ans Geschichtenerzählen beschreibt. Laut Abrams mangelt es unserem modernen Entertainment zumeist am Reiz des Geheimnisvollen, was er mit der Erzählweise sowie der Vermarktung seiner TV- und Kino-Projekte zu ändern versucht. Das mit konkreten inhaltlichen Angaben sehr sparsame Star Wars: Das Erwachen der Macht-Marketing hat dies zuletzt auf Blockbuster-Ebene vorgemacht, doch das Paradebeispiel für Abrams‘ Philosophie dürfte wohl Cloverfield sein. Die 25-Millionen-Dollar-Produktion wurde durch einen ein mysteriösen Trailer angekündigt, der im Sommer 2007 in den USA vor Transformers kopiert wurde. Zuvor war das Projekt vollkommen unbekannt, auch anschließend hielten sich der Verleih Paramount Pictures und Abrams‘ Produktionsfirma Bad Robot mit Informationen bedeckt.

Die Wartezeit bis zum Kinostart im Januar 2008 wurde durch ein aufwändiges virales Marketing überbrückt, das Interessenten mehr über die Welt erzählte, in der Matt Reeves‘ Found-Footage-Horrorthriller angesiedelt ist. Filmszenen und den eigentlichen Inhalt der Produktion anreißende Details blieben derweil äußerst rar. Das Publikum begrüßte es, und angesichts positiver Kritiken und weltweiten Einnahmen von 170,8 Millionen Dollar wurden alsbald auch Stimmen laut, dass ein weiterer Cloverfield-Film folgen könnte. Anfang 2016 überraschten Bad Robot und Paramount erneut mit einem Trailer, den zuvor keiner hat kommen sehen: Michael Bays 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi startete in den USA in Begleitung eines atmosphärischen Trailers, der sich in seinen letzten Sekunden als Vorschau auf das bis dahin komplett geheim gehaltene Projekt 10 Cloverfield Laneenttarnt. Eine direkte Cloverfield-Fortsetzung sei der nur 15 Millionen Dollar teure Film allerdings nicht, wie die Filmemacher der Presse kurz darauf mitteilten. Es handle sich eher um einen „Blutsverwandten“. Und wenn der Cloverfield-Familie eins im Blut liegt, dann wohl schneidende Spannung …

Ratlos im Bunker

Im Mittelpunkt der rätselhaften Ereignisse steht die junge Frau Michelle (Mary Elizabeth Winstead), die überstürzt aus ihrem bisherigen Leben flieht. Dabei gerät sie in einen schweren Unfall, nach dem sie in einem unterirdischen Bunker erwacht. Eingeschlossen in einem kargen Raum. Festgekettet. Der streng dreinblickenden Mann (John Goodman), der Michelle überwacht, spricht in wirren Worten davon, dass draußen etwas Grausames vor sich gegangen sei. Nur in diesem Schutzbunker wäre man also noch sicher. Michelle schenkt dem Mann allerdings keinen Glauben. Deutet doch alles daraufhin, dass sie entführt wurde. Dann aber bemerkt Michelle, dass sich eine weitere Person im Bunker befindet: Emmett (John Gallagher Jr.), der beteuert, dass es an der Erdoberfläche tatsächlich zu erschreckenden, mysteriösen Ereignissen gekommen sei. Sagen die beiden Männer womöglich die Wahrheit? Oder wartet das Grauen eher im Inneren des Schutzbunkers?

Nachdem Regisseur Matt Reeves in Cloverfieldden Found-Footage-Ansatz nutzte, um als angebliche Videoaufnahme eines New Yorker Yuppies zu zeigen, wie dieser einen Monsterangriff auf den Big Apple erlebt, geht Dan Trachtenberg in 10 Cloverfield Lane einen inszenatorisch klassischeren Weg. Doch auch ohne Found-Footage-Gimmick gelten in diesem kammerspielartigen Thriller Beschränkungen der Erzählperspektive: Die Erzählung konzentriert sich praktisch durchgehend auf Michelle, das Drehbuch von Josh Campbell, Matt Stuecken und Damien Chazelle ist so aufgebaut, dass der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Wissensvorsprung gegenüber Michelle hat. Daraus zieht Trachtenberg jede Menge Spannung, indem er das Publikum unentwegt miträtseln lässt: Was ist an der Oberfläche geschehen, welche Absichten haben Emmett und der sich als Howard vorstellende Besitzer des Bunkers? Gibt es einen Ausweg aus dem Bunker, und wenn ja, wäre es klug, ihn zu wählen?

Rundum spannend

Inszenatorisch macht Trachtenberg bei seinem Debütfilm nahezu alles richtig: 10 Cloverfield Lane ist einer dieser Filme, die tonal unentwegt auf der Kippe stehen und daher unberechenbar sind. Einerseits schürt der Regisseur ein Gefühl der Beklommenheit und Klaustrophobie, etwa durch Einstellungen, die unterstreichen, wie bedrückend Michelles grau-braune Betonzelle innerhalb des Bunkers ist. Andererseits sind andere Räume in Howards Bunker heimeliger, mit Einrichtung in einem etwas piefigen 60er-Jahre-Charme, einer stylischen Jukebox und einer großen Sammlung von teils sehr schrägen VHS-Filmen. Kameramann Jeff Cutter steuert derweil gegen die Erwartungshaltung an, und bricht das statische, auf den Bunker beschränkte Geschehen durch dynamische Aufnahmen auf: Mal sind es schleichende Fahrten vom Ende eines Raumes hin zu den sich bedächtig anschweigenden Figuren, andere Male saust die Kamera leicht wackelnd durch den Bunker, wenn die Stimmung unter dem Erdboden eskaliert.

Begleitet wird das hoch atmosphärische Geschehen durch Instrumentalmusik von The Walking Dead-Komponist Bear McCreary, der auf lautstarke, symphonische Klänge setzt und somit nicht den beengenden Handlungsort, sondern die bewegten Emotionen Michelles in Musik umwandelt. Die Klang-Bild-Schere ist daher zuweilen arg groß, jedoch verleihen die Darsteller 10 Cloverfield Lane der getragenen Musik zum Trotz ein erdiges Gefühl. Hier stehen keine überzeichneten, überlebensgroßen Hollywood-Kino-Figuren im Mittelpunkt, sondern glaubwürdige, ambivalente Figuren mit Indie-Feeling. Mary Elizabeth Winstead begeistert als das absolute Gegenteil einer typischen „Scream Queen“, also einer verängstigten Horrorfilm-Protagonistin, die ihrer Darstellerin bloß aufreibende Schreie abverlangt. Winstead fürchtet sich leiser und echter, mit vorsichtigem Zittern am ganzen Leib – wobei sie nur selten vor Angst erstarrt. Die Drehbuchautoren haben eine Figur erschaffen, die in jeder Situation nach einer Lösung sucht, um diese dann mit Geduld und Kombinationsgabe umzusetzen. Dennoch wirkt Winsteads Michelle nie abgebrüht, so dass sie als ideale Identifikationsfigur dient.

John Gallagher Jr. wiederum sorgt als unbedarfter, lässiger Typ für unaufgeregten Humor, während John Goodman seine beste Leistung seit über zehn Jahren abliefert: Er bringt die wechselhaften Launen Howards allesamt dermaßen glaubhaft rüber, dass jede Stimmungsschwankung aufs Neue schockiert. Kaum gewöhnt man sich an den etwas verpeilten, aber gutmütigen Retter, wandert er in psychopathische, bedrohliche Gefilde ab. Und kaum gewöhnt man sich an den still-bedrohlichen Howard, wandelt er sich zum cholerischen, ansonsten normalen Zeitgenossen. Oder zeigt sonst eine mittlerweile wieder vergessene oder gar gänzlich neue Facette. Somit verleiht Goodman 10 Cloverfield Laneauch einen sehr dunklen, aber prägenden Sinn für Humor, denn mitunter sind seine Stimmungsschwankungen ebenso abrupt wie pointiert. Gerade diese humorigen Momente machen die unvermeidlichen Entgleisungen umso nervenaufreibender. Und selbst wenn nicht alle für die immense Spannung sorgenden Rätsel auch bis zum Schluss Rätsel bleiben, sorgt 10 Cloverfield Lane mit subtilen Verweisen auf Cloverfield und einigen weiteren offenen Fragen auch nach dem turbulenten Finale für Grübelfalten.

Fazit: Atmosphärisch dicht, hochspannend und eine schauspielerische Tour de Force: 10 Cloverfield Laneist Spannungskino par excellence!

Endlich offiziell: Geoff Zanelli übernimmt für Hans Zimmer das Ruder in der "Pirates"-Musikwelt

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Lange mussten Pirates of the Caribbean-Fans warten, um zu erfahren, wer nach Hans Zimmer ans musikalische Steuerrad treten wird. Der Oscar-Preisträger gab bereits kurz nach dem Kinostart von Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten bekannt, für einen etwaigen fünften Teil nicht zur Verfügung zu stehen. Er sei vollkommen ausgetrocknet, was Ideen für Piratenmusik anbelangen würde. Als der fünfte Teil langsam Gestalt annahm, wurden viele Namen offiziell bestätigt. Sowohl was den Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales-Cast anbelangt, als auch die -Crew des fünften Sparrow-Abenteuers. Nur hinter einer Position prangte ein gigantisches Fragezeichen: Der des Komponisten.

Schon 2014 ließ die Gerüchteküche verlautbaren, dass wahrscheinlich Geoff Zanelli übernehmen wird, doch erst jetzt macht Walt Disney Pictures diese Personalfrage offiziell. Und es hätte kaum eine bessere Entscheidung für die seeluftgeschwängerte Filmreihe geben können.

Denn Zanelli ist seit Beginn der Piratensaga ihre heimliche Nummer in Sachen Musik. So arbeitete er im Erstling intensiv an der Erkennungsmelodie der Skelettpiraten und verlieh deren Thema (nach eigenen Aussagen) eine "Cinderella auf einem Metallica-Konzert"-Stimmung, außerdem verpasste er dem Film eine seiner knackigsten Seeschlacht-Melodien. Im zweiten Teil verantwortete Zanelli derweil die percussionlastige Leitmusik der Kannibalen und Tia Dalmas subtil-schaurig-schönes Motiv, während er im dritten Teil den Track Entering the Bath House und die meisten der Calypso-Stücke beisteuerte. In Fremde Gezeiten schlussendlich komponierte Zanelli in Rücksprache mit Zimmer das Leitthema für die Spanier sowie das der Briten.

Darüber hinaus arrangierte er ausgewählte Stücke Zimmers für einzelne kurze Szenen in den Pirates-Fortsetzungen um (etwa formte er aus Hoist the Colors die Eröffnungsmelodie der Schiffbruch-Bay-Szene). Und die Krönung zum Schluss: Basierend auf Zimmers Demo arrangierte Zanelli sämtliche He's a Pirate-Abspannvariationen der bisherigen PotC-Teile.

Über Dead Men Tell No Tales sagt Zanelli: "Was Hans für die Pirates-Filme erschaffen hat, definierte den Klang eines gesamten Genres neu. Es war stets erfüllend, mit ihm und Jerry Bruckheimer an den vergangenen vier Filmen zu arbeiten. Dead Men Tell No Tales vergrößert das Pirates-Universum um neue, einzigartige Elemente, und ich werde dem entsprechend eine unverwechselbare Klangwelt für diesen Film formen, die die bisherigen Jahre der Zusammenarbeit am Pirates-Kosmos als Sprungbrett nutzen wird."

Klingt großartig, klar soweit?! Darauf eine Buddel voll Rum!

The Jungle Book

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Rudyard Kiplings Das Dschungelbuch gehört zu den großen Klassikern der Literatur. Möglicherweise noch berühmter als die Geschichtensammlung des britischen Autors ist allerdings die 1967 erstveröffentliche, aus den Walt-Disney-Animationsstudios stammende Zeichentrickadaption. Insbesondere in Deutschland hat sich der musikalische Film in die Popkultur und das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Mit mehr als 27 Millionen gelösten Eintrittskarten ist es der erfolgreichste Kinofilm der hiesigen Nachkriegsgeschichte und Lieder wie Probier’s mal mit Gemütlichkeit und Ich wär‘ so gern wie du sind in der Bundesrepublik absolute Evergreens geworden. Andere filmische Interpretationen der Buchvorlage kommen nicht einmal ansatzweise an den Bekanntheitsgrad des Oscar-nominierten Zeichentrickspaßes heran.

Nachdem Walt Disney Pictures in den 90ern bereits einen (zwar fortgesetzten, aber weitestgehend vergessenen) Realfilm aus dem beliebten Stoff machte, folgte dieses Frühjahr mit The Jungle Bookeine neue Adaption in Form eines Effektspektakels. Die unter der Leitung von Iron Man-Regisseur Jon Favreau verwirklichte Produktion entstand nahezu ausschließlich am Computer – bloß das Menschenkind Mogli ist real. Das ist technisch beeindruckend, doch Favreau hat neben all der Effektextravaganz nicht vergessen, auch Humor und Spannung in seinen Film zu legen …

Ein digitaler Dschungel, der echter kaum wirken könnte
Der Menschenjunge Mogli wurde im indischen Dschungel von einem Rudel Wölfe großgezogen. Sein Mentor ist derweil der Panther Baghira, der ihm beibringt, welche Regeln im Tierreich zu beachten sind, und wie er im Urwald überleben kann. Als der garstige Tiger Shir Khan erfährt, dass es sich ein Mensch im Dschungel bequem gemacht hat, stellt er den anderen Tieren ein Ultimatum: Sie sollen den Buben ausliefern oder sie werden seine unbequeme Seite kennenlernen. Um Mogli zu schützen, beschließen seine Zieheltern und Mentor Baghira, ihn zur nächsten Menschensiedlung zu bringen. Doch auf dem Weg dorthin warten nicht nur weitere Gefahren, sondern auch die Versuchung eines von Sorgen befreiten Bärenlebens …

Tricktechnisch ist The Jungle Book ein wahrhaftes Meisterwerk: Visual Effects Supervisor Robert Legato und seinem Team ist es gelungen, am Computer einen täuschend echten, atemberaubenden Dschungel zu erschaffen. Die Wildnis ist nicht nur fotorealistisch, sie umgibt auch den einzigen Darsteller dieses Films nahtlos. Egal, ob Sethi alias Mogli durch Wiesen, Geäst oder Gestrüpp rennt, ganz gleich, ob die von Bill Pope (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) geführte Kamera dem Jungen auf Augenhöhe gegenübersteht oder auf ihn herabblickt und zeigt, wie seine Füße den Boden berühren: Stets wirkt es, als befände sich der Newcomer in einem tatsächlich existierenden, malerischen und dennoch bedrohlichen Dschungel.

Die Animation und Gestaltung der in diesem digitalen Dschungel lebenden Tiere ist ebenfalls gelungen, wenngleich nicht auf einem dermaßen überragenden Niveau: Während das Team des Effektkünstlers, der unter anderem bereits die Effekte in Titanic, Armageddon und Avatar – Aufbruch nach Pandora betreute, den verschiedenen Figuren eine überzeugende Körpersprache verleiht, sind die Mundbewegungen nicht bei allen Tieren gleichermaßen ausgefeilt. Die Übernahme von Bewegungsschemata, die so in der Natur vorkommen, wie etwa die mit kräftigen Schritten gezogenen Kreise eines Tigers, werden von den Animatoren behutsam mit vermenschlichten Akzenten bereichert, so dass die Tierfiguren fähig sind, Emotionen auszudrücken. Doch während etwa die Wölfe, Balu und King Louie flüssige, glaubwürdige Mundbewegungen haben und somit die Illusion sprechender, realistisch wirkender Tiere durchweg aufrechterhalten, gibt es sowohl bei Shir Khan als auch bei Baghira wiederholt Augenblicke, in denen ihre Münder nur auf und zu klappen, als seien sie Klapppuppen.

Aufgrund von Nethis Spiel stören die raren Momente, in denen die Umsetzung der Tierfiguren nicht komplett rund ist, allerdings nur in begrenztem Maße. Denn Nethi gelingt etwas, was manche ältere Kollegen, die schon mehrmals in ihren Filmen mit digitalen Geschöpfen zu tun hatten, nicht schaffen: Nethi interagiert mit seinen tierischen, am Computer erstellten Freunden und Feinden so, als befänden sie sich direkt in seiner Nähe. Während etwa Megan Fox in Teenage Mutant Ninja Turtles wiederholt und ganz verzweifelt die einzuhaltende Augenlinie zu suchen scheint, hat Nethis Spiel in Gesprächssequenzen etwas Ungezwungenes und (im besten Sinne) Alltägliches: Nethi hält während der Dialoge zumeist Augenkontakt, wandert aber auch, ganz wie es im wahren Leben ist, mit dem Blick ab, um auch die Körpersprache seines Gegenübers wahrzunehmen oder bei unangenehmen Themen dem Blick seines Gesprächspartners zu entgehen. Bloß wenn Nethi eine Szene weitestgehend allein zu tragen hat, mutet der sportliche Jungdarsteller hölzern an, schaut beispielsweise etwas distanziert aus seiner roten Unterwäsche oder lässt seinem Bewegungsablauf anmerken, dass er einstudiert ist.

Neu, und doch bekannt
Für Jon Favreau ist The Jungle Book somit etwas ähnliches wie ein Comeback: Der Regisseur, der mit dem unfokussierten Iron Man 2 und dem trägen Cowboys & Aliens Zweifel aufkommen ließ, ob er den Big-Budget-Dreh noch raushat, meldet sich nach dem peppigen Indie Kiss the Cookauf dem großen Parkett mit einer wiedergewonnenen Leichtigkeit zurück. Zwar ist Favreaus The Jungle Book aufgrund der so real wirkenden Gefahren, denen sich Mogli zu stellen hat, deutlich nervenaufreibender als der Disney-Zeichentrickklassiker. Allerdings besteht The Jungle Book ja nicht ausschließlich aus dem ruchlosen Shir Khan, der gigantischen Kaa und dem ebenso wechsellaunigen wie überdimensionalen Louie: Nach dem etwas zähen Einstieg, in dem Drehbuchautor Justin Marks Storypunkte wie die Funktionsweise des Wolfsrudels arg ausführlich, doch ohne Drive, erklärt, findet The Jungle Book eine bezaubernde Balance aus aufregendem Abenteuer-Feeling, dramatischen Wendepunkten und vergnüglichen Atempausen – all das begleitet von John Debneys monumentaler Filmmusik, die neue Themen clever mit Reprisen der 1967er-Stücke vermengt.

Und nicht nur musikalisch gibt es wohlige Déjà-vus: Wie schon in der Zeichentrickversion schickt sich Balu an, der große Publikumsliebling zu werden: Locker-lässig aus der Hüfte geschossene Sprüche und ein warmes Gemüt machen den Bären zur guten, kumpelhaften Seele dieses Films, während Baghira einmal mehr mit seiner selbstlosen Sorge um Mogli und seinem Wissen über das schwierige Verhältnis zwischen Zivilisation und Tierreich das strenge Gewissen darstellt.

King Louie derweil ändert sich vom ungefährlichen, ulkigen Stolperstein in Moglis Reise zu einem einschüchternden wie sonderbar-komischen XXL-Mafiaboss. Shir Khans Motivation ist indes stärker ausgearbeitet als im Disney-Original: Der Tiger wird somit vom galant-gemeinen Fiesling des Zeichentrickklassikers zu einem gleichermaßen groben wie gerissenen Demagogen. Interessanterweise hat der seine Erzählung eines im Dschungel lebenden Menschen insgesamt mehrdimensionaler anpackende „Realfilm“ von Jon Favreau eine launigere Schlussnote als das zum Schluss melancholisch werdende, zuvor so beschwingte Walt-Disney-Zeichentrick-Dschungelbuch. Das ist etwas perplex, und bekommt durch das bereits angekündigte Sequel einen bitteren Nachgeschmack des reinen Kommerzdenkens. Aber wenn der Abspann mit viel Witz und guter Musik (sowie in der generell sehr einnehmenden 3D-Version mit jeder Menge starken Pop-up-Effekten) besticht, dann verjagt Favreau mit geballtem Spaß jeden Zweifel: The Jungle Book ist einer dieser Neuaufgüsse, die problemlos neben dem nostalgisch verehrten, nüchtern betrachtet aber leicht überschätzten Vorbild bestehen können.

Fazit: Starke Tricktechnik, sympathische Figuren und gute Musik: The Jungle Book ist eine sehenswerte, etwas dramatischere und abenteuerlichere Ergänzung des gezeichneten Disney-Klassikers.

A War

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Wenige Minuten nach Filmbeginn rüttelt ein lautstarker Knall den Zuschauer durch: Eine dänische Gruppe von Soldaten patrouilliert durch Afghanistan, einen vorsichtigen, bedächtigen, langsamen Schritt nach dem anderen. Doch einer dieser Soldaten unternimmt einen fatalen Schritt, löst eine Landmine aus, die unter ohrenbetäubendem Lärm losgeht. Eingefangen in den unruhigen Bildern einer agilen Handkamera glaubt man sich fast in einer Dokumentation, die soeben einen grauenvollen Moment eingefangen hat. Und auch im Anschluss daran wirkt Tobias Lindholms A War vorerst wie ein nüchterner, den Trubel eines Afghanistaneinsatzes einfangender Tatsachenbericht. Nur gemächlich stellt sich Offizier Claus Michael Pedersen (Pilou Asbæk) als Hauptfigur dieses Filmes heraus:

Der belesene, einfühlsame Vorgesetzte einer Wacheinheit wird dabei gezeigt, wie er nach dem tragischen Landminenvorfall seine Einheit auf Kurs zu halten versucht. Ein Soldat will unbedingt nach Hause, weil ihn sein Gewissen umbringt – der von der Landmine gesprengte Kollege lief nämlich auf seinem Platz in der Soldatenkette. Mit den Einheimischen verhandelt Claus derweil, um sie dazu zu bringen, ihnen bei der Ortung weiterer Minen zu helfen. Ein Afghane wiederum bettelt Claus an: Sein jüngstes Kind hat schwere Brandwunden, und er weiß sich nicht mehr zu helfen. Claus versucht sein Bestes. Alsbald steht der besorgte Vater vor den Pforten des Stützpunktes: Wegen seines Kontaktes zum dänischen Militär seien nun die Taliban hinter ihm her. Claus muss immer mehr Entscheidungen in immer kürzerer Zeit treffen, all das, während seine geliebte Frau Maria (Tuva Novotny) ganz allein ihre drei Kinder großzieht und das Familienwohl aufrecht zu halten hat.

Tobias Lindholm gehört zu den wichtigsten Köpfen der aktuellen dänischen Filmlandschaft. Als Drehbuchautor verantwortete er unter anderem die Politthrillerserie Borgen – Gefährliche Seilschaften sowie das Schuld-oder-Verleumdung-Drama Die Jagd, als Regisseur und Autor verwirklichte er den Gefängnisfilm R sowie das Spannungsstück Hijacking – Todesangst ... In der Gewalt von Piratenüber somalische Piraten. Ein wiederkehrender Clou in Lindholms Schaffen: Lindholm verankert seine Werke gern zunächst fest und stringent in einem Genre, bloß um nach einer inhaltlichen Zäsur einen drastischen Genrewechsel folgen zu lassen. So geht er auch in seinem für einen Oscar nominierten Drama A War vor:

Der umsichtige und stets um seine Jungs besorgte Claus schließt sich einem Routineeinsatz an, der außer Kontrolle gerät. Um einen Verletzten zu retten, muss Claus innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden, ob Unterstützung aus der Luft nötig ist und überhaupt eingreifen darf, oder ob dabei Kollateralschäden entstehen können. Kurz danach wird Claus aufgrund seiner Entscheidung unehrenhaft heimgeschickt. Die somit folgende bittersüße Rückkehr zu seiner Familie, bitter, da vor erniedrigendem Hintergrund, süß, weil er endlich seine Liebsten wiedersieht und seiner Frau unter die Arme greifen kann, nimmt jedoch kurz darauf an Bitternis zu: Claus muss vor ein Schöffengericht, um sein Handeln in Afghanistan zu rechtfertigen. Denn ihm wird vorgeworfen, leichtfertig den Tod von Zivilisten verschuldet zu haben.

Und diese Anklage ätzt sich in jede Pore des Protagonisten sowie des längst in den Bann gezogenen Betrachters: Lindholm nimmt der Bildsprache jegliche noch verbliebene Hektik, lässt die Kameras fast schon beängstigend ruhen. Die Sequenzen sind nunmehr von Stille, statt von sich überlappenden Dialogen geprägt und lassen somit Zeit zur Reflexion – aber nicht, um eine konkrete, unanfechtbare Antwort zu finden. Der zum Justizdrama gewandelte Kriegsfilm besteht im zweiten Akt aus zwei Sorten von Szenen: Jenen, in denen Claus im eigenen Heim wegen der ihn und seine Frau plagenden Gedanken keine Ruhe findet, und selbst unschuldige Anblicke wie die unter einer Decke herausragenden Füßlein seiner Kinder unschöne Erinnerungen wecken. Und jenen, die im unzeremoniellen, grau-grauen Gerichtssaal spielen, in denen gefordert wird, klare Aussagen über chaotische, zurückliegende Situationen zu treffen.

Mit der klinischen Sauberkeit und keinerlei Licht-und-Schatten-Metaphorik bedienenden, hellen Ausleuchtung des Gerichts verzichtet Lindholm auf jegliches Pathos sowie auf eine das Urteil vorwegnehmende Emotionalisierung. Der Schwerpunkt liegt allein auf Ethik, auf der Rechtslage und auf der Frage, ob Claus und die trocken befragten Zeugen aus dem zuvor gezeichneten, unübersichtlichen Geschehen Antworten zu ziehen wissen, die das Handeln des Protagonisten auch aus der Distanz rechtfertigen. Dank des facettenreichen Spiels von Pilou Asbæk, der vor allem im zweiten Akt mit seinen ins Nichts schweifenden, fragenden Blicken Bände spricht, und der starken, jegliche etwaigen Klischees der umsorgenden Soldatengattin oder hysterischen, da überlasteten Mutter vermeidenden Tuva Novotny, wird A War entgegen des so rationalen Fokus nie zu einem gefühlslosen Film: Claus‘ Schicksal darf Mitleid erregen, selbst wenn der nahezu durchweg auf Musikuntermalung verzichtete Lindholm es nicht provoziert. Ebenso überlässt er jedem einzelnen Betrachter sein eigenes Urteil: Was wäre die richtige Entscheidung gewesen, und kann diese überhaupt ohne ein großes „Aber …“ gefällt werden?

Fazit: Das mit vielschichtigen Darstellungen aufwartende, intelligente Drama A War ist eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit Schuldfragen sowie eine einnehmende Befassung damit, was Soldaten in Afghanistan durchmachen.


Hardcore

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Hart, schnell, krank und lediglich mit dem Minimum an Alibistory versehen: Musikvideo-Regisseur Ilya Naishuller und Produzent Timur Bekmambetov (Wanted) stellen sich vor den Actionkino-Alltag und versetzen ihm einen gepfefferten Tritt in die Eier. Denn ihr komplett in der Egoperspektive (nicht aber komplett am Stück) gefilmtes Stück kinematografischen Irrsinns namens Hardcore setzt sich aus der kühnen Derbheit der Crank-Filme und der wackligen Logik jener First-Person-Shooter zusammen, die primär auf ein hohes Gewaltpotential ausgelegt sind. Verschnaufpausen sind in diesem absonderlichen und kernigen Actionkonzentrat ungefähr so rar gesät wie in Mad Max: Fury Road. Jedenfalls, sobald der zumeist nur seine Hände zeigende Protagonist Henry erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Denn seinem mit wildem Eifer verfolgten, adrenalingeschwängerten Feldzug gegen das in nur wenigen Worten erklärte Böse ist ein gemächlicher Prolog vorgeschaltet, der den Betrachter an die Ich-Perspektive gewöhnt und obendrein die Low-Sci-Fi-Welt dieser Nischenproduktion einführt:

Schwer verletzt wacht Henry im Labor seiner Frau Estelle (Haley Bennett) auf. Besorgt dreinblickend pflegt sie ihn, bringt seine Erinnerung auf Vordermann und nutzt ihr Wissen in Sachen Cyborgtechnologie, um ihrem Gatten mit hochmodernen Prothesen ein Weiterleben zu ermöglichen. Doch noch während des letzten Feinschliffs an der Prozedur, die Henry zu einem Kämpfer irgendwo zwischen Mensch und Maschine machen soll, platzt der psychopathische Akan (Danila Kozlovsky) ins Labor. Er demütigt Henry und nimmt Estelle gefangen, um sie dazu zu zwingen, eine willenlose Heerschar an kybernetisch aufgemotzten Soldaten zu erschaffen. Das kann Henry natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Also rennt, springt, prügelt, schießt und kämpft Henry im Moskau einer nahen Zukunft, was das Zeug hält, und um an Akan zu gelangen, dessen Plan vereitelt werden muss. Auf dem Weg zur Befreiung Estelles ist Henry nahezu auf sich allein gestellt. Nur der schräge Jimmy (Sharlto Copley) steht mit wirrem Rat und unvorhersehbarer Tat zur Seite …

Selbst wenn die Marketingköpfe hinter Hardcorees stellenweise so darzustellen versuchen: Die russisch-amerikanische Produktion ist längst nicht die erste „First-Person-Erfahrung“ der Kinogeschichte. Bereits die Kriminalroman-Adaption Die Dame im Seevon 1947 versuchte mit den damals gegebenen Möglichkeiten, den Zuschauer wortwörtlich in die Perspektive der Hauptfigur zu versetzen. Seither spielten Regisseure in unregelmäßigen Abständen mit diesem Konzept, wie etwa Gaspar Noé in Enter the Void, Franck Khalfoun in Alexandre Ajas Maniac oder Andreas Tom mit FPS – First Person Shooter. Während die erstgenannten Filme mit dem Perspektivspiel einen dramaturgisch-psychologischen Effekt erzielen, haben der deutsche Horrorfilm FPSund Hardcore eins gemeinsam: Sie imitieren den Look und das Feeling von Egoshootern – FPS schielt dabei auf den Horrorsektor, Hardcore stärker auf bewusst krude eine Mischung aus der Welt von Call of Duty: Advanced Warfare und dem Humor eines Duke Nukem 3D.

Als hauptsächlich mit der GoPro Hero3 Black Edition gedrehter Kinofilm hat Hardcore aber auch viel von den Videos, die eine Jugendsubkultur aus Russland mit Vorliebe bei YouTube hochlädt: Mit Helmkameras gefilmte Stuntvideos. Im Gegensatz zu diesen, die als Nebenprodukt von todesmutigen Aktionen entstehen, weiß der hoch kinetische Hardcoreaber die Bedürfnisse des Publikums zu berücksichtigen: Regisseur Ilya Naishuller achtet stets darauf, dass trotz der sich unentwegt bewegenden Kamera eine Übersicht der Szene gewahrt ist. Wenn Henry etwa aus einem Geheimversteck flieht, so blickt er sich ruhig um, bevor das Chaos so richtig losbricht. So kann sich der Zuschauer Orientierung verschaffen, womit die geballten, schnellen Actionsequenzen noch immer spannend bleiben, statt zu einem reinen Bewegungswust zu verkommen. Nur gelegentlich stiftet Naishuller Verwirrung, dies aber teils mit gewitztem Effekt, etwa wenn Henry einen Sprung vom Dach eines Autos nur übersteht, weil er mit viel Glück auf dem vorbeifahrenden Motorrad einer Helferin landet.

Überhaupt bewahrt Naishuller seinen Actiontrip davor, eintönig zu werden, indem er die waghalsigen Stunts und das ruchlose Gemetzel mit pointiertem Humor auflockert: So selbstbewusst und fähig „Hardcore Henry“ auch auftreten mag, diverse Male überschätzt sich der Anti-Held dann doch und scheitert bei von anschwellender Musik begleiteten Kunststücken oder legt sich ganz schlicht und unzeremoniell bei einem Sprung auf die Fresse. Insofern ist Henry der schweigsame Bruder im Geiste des Crank-Protagonisten Chev Chelios: Jason Stathams abgebrühter Auftragskiller vollführt in seinen bislang zwei Filmen ebenfalls abgefahrene Dinge, bloß um an anderer Stelle über seine eigenen Füße (oder sein Ego) zu stolpern. Generell wirkt Hardcorewie ein in der Egoperspektive gefilmter Cousin des elektrisierenden und durchgeknallten Crank: High Voltage, der ebenfalls Actioneskapaden mit pechschwarzem Humor vermengt.

Während bei Mark Neveldine und Brian Taylor aber die kranken Einfälle Vorfahrt haben, legt Ilya Naishuller mehr Wert auf eine hohe Actiondichte – diese setzt sich zu ähnlich großen Teilen aus realistischen Stunts und unverfrorenen, ultrablutigen Gewaltspitzen zusammen. Eben diese Splatter-Momente stehen mal für sich und setzen somit hinter den vorhergegangenen Actionpassagen ein dickes Ausrufezeiten, andere werden vom Musikvideo-Regisseur wiederum so betont albern präsentiert, dass sie einen ganz abgeschmackten Humor bedienen. Allerspätestens im großen, von Queen-Musik begleiteten Finale lässt Hardcore jegliche Zurückhaltung links liegen und greift mit faszinierender Frechheit die Lachmuskeln der Zuschauer an, für die Zimperlichkeit ein Fremdwort ist.

Nicht, dass das krass-schrille Finale unvorhergesehen auf das Publikum hereinbricht: Mit dem extrem dick auftragenden Nebendarsteller Sharlto Copley haut Naishuller seinem Publikum eine genüsslich-exzentrische Rolle um die Ohren. Der unter anderem aus Elysium bekannte Südafrikaner chargiert sich wandelbar, doch stets maßlos übertrieben durch absurde Dialoge, die den Plot am Laufen halten und Hardcorezwar kein Herz, aber zumindest eine Persönlichkeit verleihen. . Wenngleich auch Copley die wenigen Leerläufe dieses Films nicht übertönen kann (so ist ein schwach ausgeleuchteter Abstecher in ein Bordell etwas lang geraten), sorgt er immerhin für Spaß und bestärkt Henry in seiner Motivation, es Akan heimzuzahlen. Denn Henrys rudimentär charakterisierte Freundin ist keine so überzeugende Antriebsfeder wie Copleys Jimmy, dessen sonderbare Art (die zu einer unvergesslichen Musicaleinlage führt) schon eher einen (kaputten) moralischen Orientierungspunkt markiert. Und das ist symptomatisch für Hardcore: Wieso nach Normalität streben, wenn es auch einen harten, bescheuerten Weg gibt?

Fazit: Harte, durchgeknallte Action für filmverrückte Adrenalinjunkies der Generation Call of Dutyund YouTube: Hardcore pfeift auf Kinogesetze und bringt Videospiellogik sowie GoPro-Stuntaktionen ebenso derbe wie amüsant auf die Leinwand. Das ist nicht mehr Papas Actionkino!

Battleship

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Der sein Potential konsequent unterbietende Tunichtgut Alex Hopper (Taylor Kitsch) wird von seinem Bruder Stone (Alexander Skarsgård) dazu verdonnert, bei der US-Navy anzuheuern. Dort kann sich der temperamentvolle Alex zwar zum Leutnant mausern und eine Beziehung mit Admiralstochter Samantha (Brooklyn Decker) aufbauen, Verantwortungsbewusstsein lernt er trotzdem nicht. Deswegen steht ihm der Rausschmiss aus dem Militär kurz bevor. Aber während des großen Rimpack-Flottenmanövers entdeckt die Flotte des Admirals Shane (Liam Neeson) ein gigantisches, unbekanntes Objekt im Meer. Wie sich herausstellt, ist es außerirdischen Ursprungs und baut ein Schutzschild um sich auf. Nur noch eine Handvoll Zerstörer der Navy befindet sich in Reichweite des Objekts, der Kontakt zur Außenwelt ist nicht möglich. An Bord eines dieser Schiffe befindet sich Alex, der alsbald sein Führungstalent beweisen muss, denn die Aliens verfügen über zerstörerische, übermächtige Waffen ...

Schiffe versenken: Der Film

Anfang des Jahrzehnts: Comicverfilmungen haben sich von einer Rarität in Hollywood zu einer festen, kommerziell außerordentlich rentablen Institution entwickelt. Comicriese Marvel baute sogar ein eigenes Studio auf, welches mit Iron Man, Captain Americaund Co. die Blockbuster-Landschaft ordentlich aufmischt. Kein Wunder, dass auch weitere filmfremde Unternehmen in dieses Geschäft einsteigen und ihre Lizenzprodukte auf die Leinwand bringen wollen.

Die Firma Hasbro ist in dieser Beziehung der aggressivste Akteur. Auch wenn einige Hasbro-Projekte partout nicht fruchten wollen, sondern hartnäckig in der Vorbereitungsphase stecken bleiben. Dazu zählen eine neue Cluedo-Leinwandadaption sowie ein Monopoly-Spiel. Losgetreten wurde Hasbros Gier nach Kinoeinnahmen durch Transformers, die, von der Umsetzung ihrer frühen Filme abgesehen, durchaus das Zeug dazu haben, im Kino zelebriert zu werden. Immerhin haben diese als langlebige Reihe von Actionfiguren eine eigene Mythologie und etablierte Figuren zu bieten. Das bietet sich nicht weniger für einen Kinofilm an, als eine populäre Reihe von Comicheften.

Trotzdem ändert dies nichts an der filmischen Dreistigkeit, die Brettspiel-Variante des simplen Strategiespiels „Schiffe versenken“ um Aliens bereichert auf das männliche, jugendliche Kinopublikum loszulassen. Dass die Trailer eine inoffizielle Transformers-Fortsetzung erwarten lassen, machte Battleship schlussendlich zum Spitzenanwärter auf den Titel „kommerziell am kältesten durchkalkuliertes Filmprodukt 2012“. Angesichts dessen, dass schon die wesentlich filmtauglicheren Transformersbis dahin in reinen Effektlärm mündeten, sind das alles andere als viel versprechende Voraussetzungen für einen vergnüglichen Action-Blockbuster.

Vor diesem Hintergrund betrachtet ist Battleshipeine gehörige qualitative Überraschung – und da der Film bis heute für viele Filmfreunde eine Lachnummer darstellt, ist er wohl auch ein unterschätztes Werk. Denn Hancock-Regisseur Peter Berg fabrizierte mit seiner Effektschlacht das flüssiger erzählte, kurzweiligere und somit aufregendere Gegenmodell zu Michael Bays Alien-Invasionen (die Zerstörungsoper Transformers: Ära des Untergangs mal ausgenommen). Und das, obwohl sich weder das Drehbuch, noch das Produktionsdesign mit Originalität bekleckern. Doch die Umsetzung stimmt, und das ist gerade bei dieser Art von auf Hochglanz polierter, anspruchsarmer Action-Unterhaltung ein entscheidender Punkt.

Einfallslos, aber vergnüglich umgesetzt

Das Autoren-Duo Jon & Erich Hoeber (R.E.D.) orientierte sich bei der Handlung und den Figurenentwürfen dieses Spektakels sehr eng an den einschlägigen Blockbuster-Vorbildern. Die Filmografie von Michael Bay wurde genauso wie ausgewählte Produktionen Jerry Bruckheimers (u.a. The Rock, Top Gun) nach bewährten Klischees abgeklopft und in das Konzept eines nautischen Militäractionfilms gepresst. Das einzige ansatzweise originelle an Battleshipist der Schauplatz, schließlich spielt unwirkliche Hollywood-Action auf hoher See derzeit nur im Piratenzeitalter. Ein Sci-Fi-Actionthriller, in dem die US-Navy gegen Aliens kämpft, hat dagegen schon einen unverbrauchten Klang.

Regisseur Peter Berg und Hauptdarsteller Taylor Kitsch (John Carter) gelingt zudem schon in den ersten Minuten, woran Michael Bay mit seinen jüngeren Regiearbeiten katastrophal scheiterte. Trotz aller Vorhersehbarkeit ist die Charakterisierung der Hauptfigur Alex Hopper nämlich sehr amüsant geraten. Anfangs zeichnet sich sogar ein Hauch emotionalen Dilemmas ab, doch dieser Ansatz geht nach einiger Zeit zwischen den Seegefechten unter. Trotzdem bleibt der spitzbübische Hopper eine sympathische Rolle, die zu keinem Zeitpunkt in das anstrengende Territorium von Shia LaBeoufs Transformers-Figur abgleitet.

Die restlichen Navy-Mitglieder unter den Figuren sind kaum mehr als Stichwortgeber, sowohl ernster als auch komödiantischer Natur. Liam Neeson wird sträflich unterbeschäftigt und Rihannas schmerzlich hölzernes Spiel wird durch die Coolness der ihr zugeteilten Sprüche überdeckt, ansonsten gibt es über diesen Aspekt von Battleship nicht viel zu urteilen. Überraschend spritzig sind dagegen die Szenen über die „Helden der zweiten Reihe“ rund um Brooklyn Decker. Diese mögen zwar am Reißbrett entworfen sein, dennoch enthalten sie viele augenzwinkernd-humorige Momente und dürfen auch Relevantes zur Hauptgeschichte beitragen. Auch hier gilt: Das bekommt nicht mehr jede überlange Popcorn-Produktion hin, und selbst wenn, dann selten so anspruchslos-engagiert wie bei Battleship.

Action, als wäre Transformersübersichtlich inszeniert

Das Hauptaugenmerk liegt selbstverständlich auf der bombastische Ausmaße annehmenden Action, die neben dem explosiven Meeresgeschehen vor Hawaii auch Abstecher aufs Festland macht, wo die Alienwaffen (deren Design sehr an die Transformers-Filme erinnert) eine Schneise der Zerstörung durch Großstädte ziehen. Was die schiere Masse an Explosionen, Schusswechseln und Krawall angeht, muss sich Peter Berg vor Sprengstoff-Maestro Michael Bay nicht verstecken. Berg unterscheidet sich vom Megalomanen Bay jedoch darin, dass er sein Publikum nicht inmitten des Getümmels von fliegendem Metall, Flammen und computergeneriertem Schutt und Asche packt. Stattdessen zieht Berg die Kamera ein Stück weit zurück, um aus einer mehr Überblick gewährenden Betrachterposition aus das volle Ausmaß der Zerstörung zu zeigen.

Dadurch lassen sich die enormen Schauwerte von Battleshipbesser bestaunen als die verwackelten und in Super-Nahaufnahmen verlorenen CGI-Monstrositäten aus den ersten drei Transformers-Filmen. Obwohl die 200-Millionen-Dollar-Produktion nach der Figureneinführung praktisch eine einzige, gewaltige Actionszene darstellt, wird die Seeschlacht zwischen Marine und Aliens nie langweilig. Dem Drehbuch mag es an Originalität und Anspruch mangeln, dennoch gelang es den Filmemachern, durch abwechslungsreiche Actionsequenzen den Unterhaltungsfaktor oben zu halten und dem Effektwahnsinn eine klare Richtung zu verleihen. Anders gesagt: Die Story mag hauchdünn sein, aber sie erfüllt ihren Dienst, indem sie den (zu großem Teil digitalen) Bleihagel immer wieder unerwartet durchrüttelt und so vor Monotonie bewahrt. Sogar die Vorlage konnte man überraschend schlüssig in das Geschehen einbinden.

Die Filmmusik von Steve Jablonsky prescht währenddessen energisch voran und weiß, die Action kraftvoll sowie stimmig zu untermalen. Der Transformers 1 – 3-Komponist bedient sich allerdings freimütig an den typischen Stilmitteln jüngerer Hans-Zimmer-Filmmusiken; lange, bassreiche Noten erinnern zum Beispiel frappierend an Inceptionoder The Dark Knight. Aufgrund eines Verzichts auf einschneidende Leitthemen ist die während der Action noch sehr stark wirkende Musik nach dem Abschalten also rasch wieder vergessen. So steht der Filmscore als Paradebeispiel für das Gesamtwerk: Battleship bringt das Adrenalin für rund zwei Stunden zum Kochen und unterhält dabei recht mühelos. Sobald der Abspann beginnt, bleiben bloß ein paar coole Sprüche und die beeindruckenden Effekte in Erinnerung zurück. Als filmisches Fast Food funktioniert Battleshipaber um Längen besser als die ein überdeutliches Vorbild darstellende erste Transformers-Trilogie.

Fazit: Peter Berg vermengt in einem nautischen Blockbuster-Flickenwerk „Schiffe versenken“ mit Transformersund einem Hauch Top Gun. Anspruch und Originalität gehen dabei früh von Bord, doch eine durchweg unterhaltsame Erzählweise und stattliche, mit sicherer Hand inszenierte Action machen aus einem dreisten Kommerzwerk die gelungenere Transformers-Alternative.

The First Avenger: Civil War

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Zwei befreundete Helden. Gegeneinander aufgebracht. Durch ein Missverständnis. Erzeugt durch List und Tücke eines Schurken, gegen den sie sich letztlich verbünden: Ein simples Storykonzept, das in Superheldencomics gern verwendet wird. Für kurze, auf Action gebürstete, die verschiedenen Stärken und Schwächen der Figuren abwiegende Geschichten ist dagegen auch wenig einzuwenden. Für einen spannenden, sich ernst nehmenden Kinofilm ist dies wiederum recht mager. Glücklicherweise variiert The First Avenger: Civil War dieses schlichte Schema intensiv ab, statt es in dunkle,kontrastreiche Farben zu tauchen und ihm mit bleischweren Dialogen mühseligeine Möchtegernrelevanz einzuprügeln. Viel mehr fußt die neuste Regiearbeit der Brüder Joe & Anthony Russo auf einem plausiblen, vertrackten Grundsatzkonflikt zweier Superhelden, der zu höchstdramatischem Effekt auf politischer und persönlicher Ebene ausgetragen wird. Somit dient The First Avenger: Civil War als Kulminierung der bisherigen Zwistigkeiten der Marvel-Heldentruppe, die sich bereits in den ersten beiden Avengers-Filmen zankten, welche jedoch letztlich dazu dienten, die Gemeinschaftlichkeit dieser Figuren in den Fokus zu rücken.

Zudem fungiert der von den Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely lose nach Motiven der Civil War-Comicsaga verfasste Actionfilm als packende, eine neue emotionale Fallhöhe aufbauende Antwort auf all jene Momente in den bisherigen Marvel-Kinoabenteuern, in denen Konsequenzen eher klein geschrieben wurden. Denn als ein von Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) geleiteter Einsatz der aus Topagentin Natasha Romanoff/Black Widow (Scarlett Johansson), Fliegerass Sam Wilson/Falcon (Anthony Mackie) und der Telekinese beherrschenden Wanda Maximoff/Scarlet Witch zusammengesetzten Avengers wegen eines Versehens unschuldige Leben kostet, reißt den Vereinten Nationen der Geduldsfaden. Der zum U.S. Scretary of State aufgestiegene Ex-General Ross (William Hurt) erklärt alsbald der Heldentruppe, dass ein neuer Gesetzesentwurf verlangt, dass sich die Avengers als Sondereinheit der UNO unterstellen. Der geniale Erfinder und Unternehmer Tony Stark/Iron Man (Robert Downey Junior), den seit seinem letzten Avengers-Einsatz schwere Schuldgefühle plagen, stimmt ohne zu Zögern zu. Auch der Android Vision (Paul Bettany) sieht darin einen logischen Schritt, ebenso wie Stark-Weggefährte Lt. James Rhodes/War Machine (Don Cheadle).

Captain America, der vor wenigen Jahren eine harte Lektion darüber lernen musste, dass staatlichen Organisationen nicht zwangsweise zu trauen ist, widerspricht hingegen. Er fürchtet, dass die Avengers mit ihrer Unabhängigkeit auch ihre Effektivität abgeben würden. Zudem sind die Autoritäten hinter Bucky Barnes her, Steves besten Freund aus Jugendtagen, der durch Gehirnwäsche zum eiskalten Killer Winter Soldier (Sebastian Stan) wurde. Steve glaubt, dass die Avengers das Recht haben sollten, auch Nachsicht walten zu lassen und Verdächtigungen kritisch zu hinterfragen. Die Unstimmigkeiten über den Gesetzesentwurf entzweien die Avengers allmählich, und als in Wien ein schweres Attentat verübt wird, droht die Situation im Wust der Schuldzuweisungen überzukochen …

Ein Actiondrama mit so vielen Superhelden, dass es eigentlich nicht funktionieren dürfte
Bei solch einem nahezu irrsinnigen Aufgebot an kostümierten Heroen drängen sich zwei Fragen auf: Kann The First Avenger: Civil Warals 13. Film aus dem Avengers-Universum narrativ überhaupt auf eigenen Beinen stehen? Und kann sich angesichts des immensen Figureninventars eigentlich eine dynamische, schlüssige Erzählung entfalten? So berechtigt diese Fragen sein mögen, so sehr werden sie durch stetig voranschreitendes Storytelling und eine präzise Inszenierung zerschlagen: Selbst wenn die Besetzungsliste wie ein feuchter Produzententraum wirkt und eher nach einem dritten Avengers-Film anmutet, ist dies ganz klar ein Captain America-Film. Soll heißen: Dieses gewitzte Superhelden-Actiondrama hat inmitten der unaufhörlich eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen "Team Cap" und "Team Iron Man" in Steve Rogers einen klaren Protagonisten. Der annähernd 100 Jahre alte Supersoldat ist der erzählerische Dreh- und Angelpunkt, es ist sein Konflikt mit sich selbst, mit ideologischen Fragen, mit seinen früheren und neuen Teamkollegen sowie seinem einstigen besten Freund, der den Plot befeuert.

Die restlichen Figuren und deren Handeln treiben entweder Captain Americas Motivation voran (sei es durch Bestärkung oder Widerstand), oder aber sie stützen das Tun und Denken seines zum Rivalen gewandelten Kollegen Iron Man. Selbst Neuzugänge wie ein gewisser, vorlauter Teenager aus New York oder ein von Stolz und Rachegelüsten angetriebener Politiker/Vigilante wachsen weit über ihren potentiellen Status als wandelnde Trailer für kommende Kinofilme hinaus. Sie gießen mit ihrer Präsenz Öl ins Feuer des Antagonismus, der zwischen den berühmten Avengers-Mitgliedern entfacht ist. Seltener war ein Kinofilm mit so großem Cast so stringent und zielgerichtet wie dieser – selbst wenn sich über die Ausführlichkeit mancher Szenen streiten lässt, so ist kein einziger Subplot unbedeutend. Ohne Unterlass schleifen die Russos sowie Marcus & McFeely an den Charakterzügen ihrer Figuren oder fügen den angerissenen Fragen über Verantwortlichkeit und Vertrauen neue Argumente zu.

Inhaltliches Kuddelmuddel bekommen Kenner der Marvel-Filmwelt also keineswegs vorgesetzt. Was die Frage der Selbstständigkeit dieses Heldenkonflikts anbelangt, fällt die Antwort unterdessen schwerer. Zuschauer, die nicht den kleinsten Hauch Vorwissen mitbringen, müssen durchaus etwas Anpassungsfähigkeit mitbringen und die nicht weiter erklärten Kräfte und Herkünfte des vorgeführten, illustren Personals ohne Weiteres akzeptieren. Anderweitig droht, dass sie über kurz oder lang von der Vielfalt an Power-Ausrüstungen, kuriosen Talenten und Superfähigkeiten überwältigt werden. Die weiteren Stützpfeiler des Projekts werden aber durchaus innerhalb der gebotenen Laufzeit errichtet, denn die Figurenmotivationen beruhen nicht allein auf früheren Produktionen: Ob Steves Bindung zu Bucky, Tony Starks Schuldgefühle, Black Widows Wankelmütigkeit sowie ihre tiefe Freundschaft zu Steve oder andere Handlungselemente, sie alle werden innerhalb dieser mehr als 140 Minuten (wieder) eingeführt, ausgearbeitet und weitergesponnen. Dennoch erhöht die Kenntnis der bisherigen 'Marvel Cinematic Universe'-Projekte selbstredend die emotionale Bindung zu den Figuren, was wiederum die Anfeindungen der Figuren packender und aufreibender gestaltet.
Chaos und perfekte Teamdynamik: Vielseitige Action, stimmig umgesetzt
Ein weiterer Aspekt, der diesem Mammutprojekt Kohärenz verleiht, ist die überaus kompetente Inszenierung der Kampfsequenzen, welche allesamt die Story nicht etwa unterbrechen, sondern vorantreiben. Die Russos, die bereits mit dem rasanten The Return of the First Avenger ihr Auge für Action unter Beweis gestellt haben, zeichnen mit den Kampfchoreografien den Verfall der Avengers-Teamdynamik nach und unterstreichen die Dringlichkeit der zentralen Konflikte. Eingangs agieren die Avengers als eingespieltes Team, innerhalb dessen sich die einzelnen Mitglieder mit ihren jeweiligen Fähigkeiten ergänzen, weshalb ihnen schnelles, intuitives Handeln möglich ist. Doch in späteren Actionszenen werden die Schläge und Tritte härter sowie unpräziser, bis in einem großen Showdown der beiden Civil War-Fronten das bloße Chaos vorherrscht, da Superkräfte wild und scheinbar kopflos eingesetzt werden und alle Beteiligten aufs reine Geratewohl vorgehen. Anders als in den bisherigen 'Marvel Cinematic Universe'-Filmen ist die alles abrundende Action-Schlussnote allerdings keine Bombastsequenz: Wenige Handelnde, ein Minimum an Gimmicks, dafür ein Maximum an charaktergetriebener Motivation und Vehemenz sorgen für ein fesselndes Ende, das nicht mit Coolness, sondern der Persönlichkeit der Figuren auftrumpft.

Ästhetisch gehen die Russos den gewagten Weg, die visuelle Sprache der Actionsequenzen schrittweise zu ändern: Die erste Avengers-Mission ist aller Teamharmonie zum Trotz äußerst rasant geschnitten, mit Bourne-Style-Handwackelkamera und vielen Nahaufnahmen. Eine spätere Verfolgungsjagd zu Fuß, Motorrad und Auto bleibt ähnlich flott und dynamisch, wird aber vermehrt mit halbnahen Aufnahmen, Halbtotalen und Totalen bereichert, wodurch dem Zuschauer mehr Überblick über die stilistisch an The Raid 2 erinnernden Stunts gewährt wird. Das 17-minütige, chaotische Superheldenaufeinandertreffen auf einem Flughafen ist letztlich temporeich, jedoch mit weiten Einstellungen und einem etwas ruhigeren Schnitttempo illustriert. Somit erlauben die Russos, dass mit zunehmender Intensität und Turbulenz dennoch nicht die visuelle Verständlichkeit der Action abhanden kommt und The First Avenger: Civil War trotz der mal spaßigeren, mal härteren Scharmützel eine durchweg stimmige Tonalität wahrt: Der Anfang ist kernig und hart gefilmt, das Ende ist wiederum inhaltlich kernig, hart und dramatisch– und da sich die Bildsprache wandelt, ist dennoch Abwechslung geboten, weswegen diese Heldenauseinandersetzung nicht monoton und schlauchend daherkommt.

Während die Spezialeffekte, von sehr wenigen, als solchen leicht zu erkennenden Green-Screen-Aufnahmen abgesehen, zur Spitzenklasse moderner Big-Budget-Hollywood-Produktionen zählen (auch in ruhigen, emotionalen Szenen weiß The First Avenger: Civil War mit seinen Effekten zu erstaunen, digitaler Verjüngungstricks sei Dank), ist dieses Abenteuer auf musikalischer Seite ein kleiner Rückschritt. In The Return of the First Avenger lieferte Komponist Henry Jackman (Baymax – Riesiges Robowabohu), einen mutigen, exzentrischen, lauten Score ab. Jackmans neue Marvel-Instrumentalmusik ist im Vergleich deutlich handzahmer und konventioneller, zählt mit dezenten Abwandlungen von figurenbasierten Leitmotiven und einer ausgewogenen Düsternis, die aber nie die humorvollen Akzente erstickt, trotzdem zu den besseren Kompositionen im eher zurückhaltenden Marvel-Musikkanon.
Ein rundum gut aufgelegtes Ensemble
Während Komponist Henry Jackman nicht zu Hochform aufläuft, trifft dies sehr wohl auf mehrere der Darsteller zu: Robert Downey Junior gibt seine bisher facettenreichste Leistung im Bereich des Unterhaltungskinos ab, indem er dem weiterhin pointiert scherzenden Iron Man eine ungeahnte Verletzlichkeit und Demut mitgibt, dem Verbissenheit und zuvor nicht gezeigtes, aber plausibles Wutpotential gegenüberstehen. Auch Chris Evans wird vom Drehbuch mehr denn je in seiner Superheldenkarriere gefordert. Die moralische Unfehlbarkeit seiner Paraderolle wird dezent hinterfragt, da beiden Seiten in diesem Zwist gute sowie schwache Argumente an die Hand gegeben werden. Vor allem erhält Evans die Gelegenheit, sich durch die Interaktion mit ganz unterschiedlichen Leinwandkollegen zu behaupten – etwa mit dem staunenden, amüsierten Paul Rudd als Scott Lang/Ant-Man, mit dem subtil bedrohlichen Daniel Brühl oder mit Emily VanCamp als CIA-Agentin Sharon, mit der er aus wenigen Szenen viel zwischenmenschliche Chemie schröpft.

Chadwick Bosmans Einstand ins Marvel-Universum ist ebenfalls überzeugend, denn trotz eines im englischsprachigen Original dick aufgetragenen Akzents verleiht er seiner Figur Würde und Kompromisslosigkeit. Weitere Nebendarsteller, wie der einmal mehr als Clint Barton/Hawkeye agierende Jeremy Renner oder Marvel-Newcomer Martin Freeman, manövrieren sich angemessen durch ihre raren Szenen, wobei sich abzeichnet: Mehr Leinwandzeit bedeutet auch eine bessere, stärker nachhallende Performance – Sebastian Stan etwa drückt ungeheuerlich viel nur durch seine Augen aus und gibt dem lebenden Stein des Anstoßes für den Avengers-Streit ebenso Charisma mit wie eine Respekt einflößende Härte.

Das umfangreiche, kunterbunt durchmischte und engagiert verkörperte Figurenensemble gestattet es den Russos, den bislang dramatischsten Marvel-Film noch immer mit schillernder Kreativität zu versehen und so den Spaßfaktor nicht im Keim zu ersticken: Auch wenn sie im Clinch liegen, sind es noch immer die bereits bekannten, schlagfertigen Figuren aus den bisherigen Marvel-Werken. Dadurch, dass sie auch in diesem Zwist nicht auf den Mund gefallen sind und auch mal neckische Kommentare bringen, bleiben diese Superhelden menschlich – womit es umso mehr schmerzt, wenn sie sich gegenseitig fertig machen. Einfache Lösungen gibt es hier nicht – und trotzdem hämmern die Russos nicht mit betonter Trostlosigkeit auf das Publikum ein. Ein regelrechtes Popcornkino-Paradox – und somit eine klare Sehempfehlung für den ersten Film in Marvels sogenannter 'Phase drei'.

Fazit: Ein unvergesslicher, ausgefeilter Superheldenzwist: The First Avenger: Civil War ist nicht nur bombastisch, sondern auch dramatisch und verbreitet obendrein noch immer großes Sehvergnügen.

Triple 9

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Es gibt sie noch immer: Die dreckigen, mittelgroßen Actionthriller aus Hollywood, die mit rauen Gewaltspitzen und moralisch kaputten Hauptfiguren ein Gegengewicht zum Actionkino für die breite Masse darstellen. Triple 9, inszeniert von The Road-Regisseur John Hillcoat, zählt zwar nicht zu den denkwürdigsten Vertretern dieser Gattung, seinen Schwächen zum Trotz ist dieser Copthriller aber immerhin ein ansehnlicher „Throwback“. Also ein Film, dessen Feeling an vergangene Kinozeiten erinnert. Wären da nicht die zahlreichen heutigen Darsteller, die vor der Kamera herumrennen und fluchen, so könnte man glatt glauben, auf der Leinwand einen verloren gegangenen und nun wiederentdeckten, ganz passablen 80er-Actioner der härteren Gangart zu sehen.

Im von Gangkonflikten zerrütteten Atlanta hat die russische Mafia die Oberhand. Nicht zuletzt deshalb, weil Anführerin Irina Vlaslov (Kate Winslet) über ein Ass im Ärmel verfügt: Der Special Agent Michael Atwood (Chiwetel Ejiofor) ist ihrer Schwester Elena (Gal Gadot) verfallen, hat sogar ein Kind mit ihr. Und um seinen Sohn endlich wiedersehen zu können, tut Michael einfach alles, was von ihm verlangt wird. Irina begnügt sich allerdings nicht etwa damit, dass Michael und seine Polizistenfreunde Marcus Belmont (Anthony Mackie) sowie Jorge Rodriguez (Clifton Collins Jr.) der russischen Mafia freies Geleit geben müssen. Nein. Sie drängt Marcus und seine moralisch flexiblen Cop-Kumpels sowie Ex-Soldat Russel Welch (Norman Reedus) dazu, für sie knifflige Raubüberfälle zu bewerkstelligen. Das unfreiwillige Bankräuber-Team holt noch Russels Bruder Gabe Welch (Aaron Paul) ins Boot, und auch wenn die Gruppe den Dreh raus hat, wollen sie nur noch eins: Dass dieses Elend endlich aufhört. Doch Irinas letzter Auftrag ist nahezu unmöglich über die Bühne zu bringen. Nur ein „Triple 9“-Code könnte genügend Ablenkung mit sich bringen. Und mit dem übertrieben engagierten, integren neuen Polizisten Chris Allen (grundsolide: Casey Affleck) scheint auch das perfekte Opfer gefunden …

Drehbuchautor Matt Cook lässt in Triple 9 diverse Leerstellen: Während der von 12 Years a Slave-Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor gespielte Michael für sein Handeln eine klar erkenntliche Motivation aufweist, ist es beim Rest der Gang Interpretationssache, weshalb sie sich auf Irinas Forderungen einlassen. Ist es Treue gegenüber Michael, Angst vor der Mafia, die innerlich bebende Lust am Verbotenen? Mögliche Erklärungen werden, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft gegeben, was bis zu gewissem Grad sogar vorteilhaft ist, da Triple 9 ohne übermäßige Erläuterungen zügiger vorangeht und die Unerklärlichkeit einzelner Aspekte das desolate, moralisch vermoderte Grundgefühl von Story, Setting und Figurenensemble stützt. The First Avenger: Civil War-Mime Anthony Mackie etwa legt seine Rolle eh so an, dass er hinter seiner Fassade des routinierten, fast schon entnervten Polizisten eine Lust an Destruktion verbirgt, weshalb er kein Mitleid mehr kennt. Trotzdem überstrapazieren Cook und Hillcoat die Plausibilität ihrer Prämisse, wenn sie gleich vier Figuren einen Polizistenmord planen lassen, weil ein gemeinsamer Bekannter (zu dem sie teils nur beiläufige Bindungen haben) unter dem Pantoffel der Mafia steht.

Diese Tendenz zu konstruierten Ergebnissen, denen nur dünne Erklärungen vorangehen, beraubt insbesondere dem Abschluss des Films seine Wirkkraft: Die dramatischen Nachwehen der vorhergegangenen Turbulenzen beruhen vermehrt darauf, dass Figuren (darunter der von Woody Harrelson gespielte, immens coole Chaos-Ermittler Jeffrey Allen) nun doch an zuvor schwer erreichbare Informationen gelangen oder einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind. Die Auseinandersetzung mit den ethischen Abgründen der Protagonisten wird so zu einer Zufallsgeschichte verwässert.

Auf dem Weg zum lauen Abschluss liefern Hillcoat und sein Cast jedoch gute, harte Action ab: Wenn die auf die falsche Seite des Rechts abgeglittenen Hauptfiguren einen Überfall begehen oder Marcus ausnahmsweise seinen beruflichen Pflichten nachgeht und einen Gangster jagt, hämmert das Sounddesign. Die dynamische, doch nicht haltlos verwackelte Kamera treibt das Adrenalin nach oben, während ein vergleichsweise ruhiger Schnitt für Übersichtlichkeit sorgt. Hillcoat hält indes auf die schwitzig-blutig-versifften Aspekte des Geschehens drauf, akzentuiert die sauber orchestrierte Action mit dreckigen, grafischen Gewaltspitzen.

Die unter anderem von Atticus Ross (The Social Network) verantwortete Instrumentalmusik unterstreicht das Gezeigte zwar effizient, fällt dabei in ihrer sonorer Finsternis aber austauschbar aus. Ähnlich sieht es mit den Frauenrollen aus: Gadot, Winslet und Teresa Palmer verkörpern allesamt jeweils einen Stereotyp (Tussi, herrische Matriarchin, verständnisvolle Gattin) und sind somit kaum mehr als lebende Plot-Antriebfedern. All das kann nicht von der bestechend-grimmen Atmosphäre ablenken sowie von den packenden Actioneinlagen – vor allem das zerstörerische, wilde Opening brennt sich ins Gedächtnis. Actionliebhaber, die sich nach rauerer Kost sehnen, kommen also auf ihre Kosten. Eine Renaissance wird Triple 9 aber gewiss nicht auslösen.

Angry Birds – Der Film

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„Schluss mit lustig“ schreit es einem vom deutschen Hauptplakat zu Angry Birds – Der Film entgegen. Eine sonderbare Art und Weise, eine computeranimierte Komödie zu bewerben, die auf einer der gefragtesten Spiele-Apps der Geschichte basiert. Zumal besagte App mit simpler, vergnügter Musik, einem freundlich-cartoonigen Look und einer ulkig-banalen Prämisse auf sich aufmerksam macht: In einer kunterbunten Welt haben grüne Schweine mit fragwürdigem architektonischen Talent Vögeln ihre Eier geklaut. Und nun rächen sich die vom Spieler gesteuerten, des Fliegens nicht fähigen Vögel, indem sie sich gegen die wackeligen Bauten der Schweine schleudern, um diese zum Einsturz zu bringen. Wenn der Film zu diesem durchgedrehten Zeitvertreib damit wirbt, dass „Schluss mit lustig“ ist, dann kann das ja nur in eine Katastrophe münden. Oder?

Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht. Die Digitaltrickkomödie der Regiedebütanten Clay Kaytis und Fergal Reilly weiß sehr wohl, den dünnen Handlungsfaden mit viel Humor zu strecken. Dadurch, dass der einstige Simpsons- und Saturday Night Live-Autor Jon Vitti aus der Absurdität der Prämisse selbstironische Pointen schröpft, erhält das Leinwandgeschehen wenigstens eine augenzwinkernde Identität. Und ist somit immerhin kein reines Cash-In, das auf der wirtschaftlichen Welle eines allmählich abflauenden Hypes mitzureiten versucht. Doch wann immer im Angry Birds-Film die Albernheit zurückgeschraubt wird, fällt der Spaßfaktor schneller zu Boden als ein flügellahmer, erzürnter Vogel.

Im Zentrum des unausgegorenen Abenteuers steht der dauergenervte Vogel Red (Originalstimme: Jason Sudeikis / dt. Stimme: Christoph Maria Herbst), der wegen seiner Wutausbrüche von seinem friedfertigen Umfeld zu Wuttherapiestunden verdonnert wird. Dort lernt der Eigenbrötler eine kuriose Truppe an Problemvögeln kennen: Den hektischen Chuck (Josh Gad/Axel Stein), den unheimlichen Terrence sowie den gutmütigen Bomb (Danny McBride/Axel Prahl), der bei Überraschungen wortwörtlich explodiert. Als eines Tages ein Schiff mit grünen Schweinen am paradiesischen Vogel-Eiland anlegt, weckt deren Anführer Leonard (Bill Hader/Ralf Schmitz) Reds Misstrauen. Der Rest der Bevölkerung feiert die Neuankömmlinge hingegen, weil sie technische Neuerungen und neuartige Musik mit sich bringen. Also macht sich Red zusammen mit Chuck und Bomb auf die Suche nach dem mächtigen, weisen Adler (Peter Dinklage/Smudo), um nach Rat zu fragen ...

Drehbuchautor Vitti lässt sich Zeit, bis er zu dem Punkt kommt, den zahllose Menschen vom Smartphone kennen. Bevor die Schweine mit gestohlenen Eiern abdampfen und daraufhin mit Vögeln bombardiert werden, soll sich das Publikum nämlich erstmal mit Red anfreunden. Und das nun auf zwei Beinen laufende Angry Birds-Logo hat, vor allem in der deutschen Synchronfassung, durchaus seinen rauen Charme. Mit staubtrockenem Humor, entnervtem Blick und strengen Seitenhieben auf den Irrsinn seiner Friede-Freude-Eierkuchen-Mitvögel hat Red die Lacher und somit die Sympathien auf seiner Seite.

Problematisch ist, dass die Filmemacher es nicht darauf beruhen lassen, sondern mit Subplots Red zu einer regelrechten, runden Identifikationsfigur formen wollen, auf dieser Ebene jedoch das Skript zu dünn geraten ist: Eine wirr geschnittene, keinerlei Chronologie oder Dramatik erkennen lassende Rückblende zeigt Red als Außenseiter, der wegen seiner Augenbrauen und seiner Verehrung des mythologischen weisen Adlers verlacht wird. Wenn alle anderen Vögel auf die Widersprüchlichkeiten der Schweine reinfallen, wird Red wegen seiner kritischen Nachfragen attackiert. Und wenn Red seinem Idol begegnet, wird in langgezogenen Dialogszenen Salz in Reds Wunden gestreut, weil er auf eine Mogelpackung reinfiel. All diese Sequenzen verlassen sich auf Allgemeinplätze und sind daher viel zu seicht, um die mit dramatischen Pausen gespickte Laufzeit dieser Passagen zu rechtfertigen.

Deutlich knackiger geschrieben und umgesetzt sind die Dialogwitze zwischen Red und seinen Therapiefreunden: Hier macht sich Vittis Erfahrung bemerkbar, und selbst wenn so etwas wie eine fließende Erzählweise in Angry Birds – Der Film mit der Lupe gesucht werden muss, so macht der stete Schlagabtausch zwischen Red, Chuck und Bomb immerhin Laune. Vor allem, wenn die farbenfrohe Heile-Welt-Fassade durchbrochen und etwa angesprochen wird, welche Schweinereien Chuck seine Therapiestunden eingebracht haben, haben die komödiantischen Einfälle und das Timing der Umsetzung Pfiff. Eben dieser Pfiff geht dafür wieder verloren, wenn die Filmemacher nach einer kinoreifen Begründung für den Vögel-Schwein-Konflikt suchen.

Sind die Schweine etwa eine Versinnbildlichung von gierigen Großkonzernen, die die Vögel übers Ohr hauen, während sie mit ihnen Handel treiben? Nein. Sie sind Einwanderer, die über ihre Intentionen lügen, darüber, wie viele sie sind, und die nebenher die Lebensqualität in ihrer neuen Heimat verschlechtern, ehe sie sich zurückziehen und die ungeborenen Kinder ihrer Gastgeber verschleppen. Egal, wie beabsichtigt die unglücklichen Deutungen dieser Ereignisabfolge sein mögen: Donald Trump wird das mögen, liberalere Zuschauer dürften sich derweil im Kinosessel winden. Erst das turbulente, wenngleich antiklimatische Finale besinnt sich wieder auf die Qualitäten dieses Films: Knalligen Unsinn. Mit gelungenem 3D und solider Tricktechnik (Detailfreude ist gegeben, dafür ist das Bild kostensparend arm an Schattenwürfen) suhlen sich Clay Kaytis und Fergal Reilly darin, eine cartoonige, gewollt bescheuerte Antwort auf solche Materialschlachten wie in Man of Steel parat zu haben. Die Jüngsten und Junggebliebenen im Publikum wird das bei Stange halten, auch wenn dabei der kernige Dialogwitz der ersten Filmminuten flöten geht. Haften bleibt das Geschehen jedoch nicht, denn dafür gehen der Vogelattacke zu früh die feschen Ideen aus.

Fazit: Dialogwitz zu Beginn, cartoonige Slapstick-Action zum Schluss, Langeweile im Mittelteil: Angry Birds – Der Film ist weder eine Katastrophe geworden, noch ein reines Werbemittel für die berühmte App. Doch ein paar geflitschte Vögel mit losem Mundwerk machen noch keinen denkwürdigen Kinofilm.

Die Poesie des Unendlichen

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Interessant, aber arg zurückhaltend. Britisch-spröder Charme, aber wenig Herz. Von Wissenschaft fasziniert, doch selber nur oberflächlich vorgehend: Das dramatische Biopic Die Poesie des Unendlichen des Regisseurs und Autors Matthew Brown hat seine Reize, ist insgesamt jedoch zu konventionell, zu vorsichtig, zu nichtssagend, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Angesichts der Person, welche im Mittelpunkt dieses im Original The Man Who Knew Infinity betitelten Spielfilms steht, eine Schande. Denn mit dem legendären Mathematiker Srinivasa Ramanujan hat sich Brown einen Protagonisten ausgesucht, mit dem sich eine Geschichte über Liebe erzählen lässt. Über Kolonialismus. Über den Zauber der Mathematik, sowie über die Tücke des wissenschaftlichen Vorgehens. Sowie über eine Männerfreundschaft, die womöglich tiefer ging, als es zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielen Menschen genehm war.

Verkörpert wird der Inder, der den mathematischen Betrieb Englands aufrüttelte, von Slumdog Millionär-Hauptdarsteller Dev Patel. Wie schon seine Paraderolle aus Danny Boyles mit acht Oscars prämierten Drama steht Srinavasa Ramanujan zu Beginn seiner Geschichte arm und ohne nennenswerte Zukunftsaussichten dar. Doch als der Büroangestellte seine Vorgesetzten mit seinen außergewöhnlichen Berechnungen und Formeln in Staunen versetzt, wagt er den Vorstoß: 1913 schreibt er dem Mathematikprofessor G. H. Hardy (Jeremy Irons), der am Trinity College in Cambridge lehrt, um ihm seine Theorien nahe zu legen. Hardy erkennt, dass in Ramanujan großes Talent schlummert und bittet ihn, nach England zu reisen. Zwar bedauert das indische Mathegenie es, seine Gattin Janaki (Devika Bhisé) zurücklassen zu müssen, dennoch tritt es die Reise an – die Reise in eine neue Kultur. Und damit sind nicht nur die Unterschiede zwischen England und Indien gemeint, sondern auch die zwischen universitären Methoden und Ramanujan.

Denn der Quereinsteiger eckt nicht bloß mit seinen nonkonformistischen Thesen an, sondern vor allem mit seiner Haltung, dass Gegenrechnungen und Beweise nur Zeitverschwendung seien. Neue Überlegungen fliegen ihm sinnbildlich gesprochen zu, während er sich schwer tut, Beweisverfahren zu erlernen. Neben Hardy hat nur dessen Kollege John Littlewood (Toby Jones) Geduld für den Inder übrig, den viele Fakultätsmitglieder am liebsten sofort zurückschicken möchten ...

Neben dem abscheulich-arroganten Elitegedanken von Hardys Kollegen und Ramanujans Problemen, sich als Vegetarier gesund zu ernähren, während der Erste Weltkrieg strenge Essensrationen mit sich bringt, wird zudem der Entzug an Geborgenheit angerissen: Ramanujans engster Vertrauter in England ist die Verkörperung britischer Steifheit und lächelt bevorzugt, wenn es keine Zeugen gibt. Ramanujans Frau derweil schreibt ihm nicht mehr, weil sie denkt, dass er sie nach seiner Abreise vergessen hat – dabei lässt seine Mutter sämtliche Briefe des Mathematikers verschwinden. Die Handlungsmotive der gluckenhaften Mutter werden nur angerissen und wirken in der beiläufigen Art eher wie erzählerischer Ballast, genauso wie Brown seine zunächst so vornehme, unaufgeregte Inszenierung punktuell durch aggressive visuelle Klischees aus dem Gleichgewicht bringt: Da kündigt sich eine schwere Erkrankung durch blutig vollgehustete Taschentücher an, und schwere Erkenntnisse werden bei heftigem Unwetter gemacht.

Der Konflikt „Eingebung gegen Beweisführung“ geht wegen der faktenorientierten, dramatischen Verschlechterung von Ramanujans Zustand gen Schluss verloren, allerdings führt ihn Brown bis dahin kurzweilig vor: Patel legt Ramanujan eingangs vielleicht zu weitäugig und begriffsstutzig an, dennoch taugt er als scheuer Mensch mit hell leuchtendem Geist als Sympathieträger, ebenso wie Jeremy Irons mit verknöchertem Starrsinn und elegant-verbittertem Äußeren einmal mehr den strengen, doch insgeheim begeisterungsfähigen Briten mimt. Ihre verbalen Auseinandersetzungen stellen die Vor- und Nachteile beider Sichtweisen heraus und sind zudem mit staubtrockenem Witz versehen, so dass ihre gemeinsamen Szenen klar die Höhepunkte des Dramas darstellen.

Ramanujans Anpassungsschwierigkeiten außerhalb des mathematischen Betriebs werden dagegen zu unspezifisch angepackt. Hardys beiläufige, zurückhaltende Anmerkung, dass er für seinen Schützling womöglich mehr als Freundschaft empfunden hat, ist wiederum in ihrer Nebensächlichkeit zwar charaktergetreu, dennoch fehlt es ihr selbst an der subtilsten inhaltlichen Stützte – es ist fast so, als hätte sich Brown durchweg in Hardys Methodik geübt, um für wenige Sekunden auf Ramanujans Verzicht der Beweisführung auszuweichen.

Fazit: Im Subgenre der Biopics über mit Zahlen mühelos hantierenden Genies ist Die Poesie des Unendlichen weit von der Klasse eines The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben, A Beautiful Mind oder Die Entdeckung der Unendlichkeit entfernt. Mit Jeremy Irons‘ sprödem Charme kann sich das Werk aber trotz mancher erzählerischer Makel auf ein duldbares Niveau retten.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Junges Licht

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Beim gemeinsamen Essen mit den Kindern hat ein Ehepaar eine Meinungsverschiedenheit. Der Mann geht wegen der Widerrede seiner Frau an die Decke, fährt seiner Gattin radikal über den Mund, macht sie so klein, dass sie in eine Streichholzschachtel passen würde. Die Kinder zucken nicht mit der kleinsten Wimper. Ist ja Alltag. Wenn der Sohn gegenüber seiner Mutter klagt, dass der Lehrer in der Schule Prügel verteilt, wundert sie sich über das Wehleiden ihres Sprösslings. Natürlich haut der Lehrer zu, wenn der Knabe doch unanständig ist?! So geht Erziehung. Und wenn sich Vater mit einem langjährigen Kumpel unterhält, dann muss er sich schon gefallen lassen, wenn er wegen seiner nichtigen Arbeit während des Krieges verlacht wird. Ein richtiger Mann sollte schon ordentlich Feinde weggeschossen haben. Es ging immerhin um Stolz und Ehre!

Der 12-jährige Julian (wunderbar: Oscar Brose) lebt in einer Gesellschaft und in einer Zeit, auf die all dies zutrifft. Und noch vieles mehr. Nebensächlich fallen gelassene Xenophobie, als selbstverständlich präsentierte Homophobie und ein garstiges Desinteresse daran, wie es denjenigen geht, die auf der sozialen Leiter ausgerutscht sind. Die Rede ist von den frühen 1960er-Jahren im sich langsam aus dem Kriegsschutt ziehenden Deutschland. Basierend auf Ralf Rothmanns gleichnamigen Roman, blickt Ruhrpott-Regisseur Adolf Winkelmann in Junges Licht jedoch nicht mit einem vernichtenden Kopfschütteln auf jene Tage zurück. Der Contergan-Regisseur verzichtet auf diese dramaturgischen Pausen, die zeitkritische Geschichtsfilme so häufig aufweisen, wenn sie frühere Missstände abbilden. Situationen, die der aufgeklärte Zuschauer aus dem Jahre 2016 verächtlich beäugen dürfte, werden nicht in dramatischen Geiger- und Holzbläser-Melodien erstickt. Und zu keinem Zeitpunkt weist eine für ihre Zeit progressive Figur ihrem Umfeld den Weg.

Stattdessen hüllt Winkelmann die neutralen und rückblickend so beißenden Alltäglichkeiten der Ära des Wiederaufbaus in das audiovisuelle Kleid eines romantisierten Jugendfilms. Schlicht-verschnörkelte Klänge des Bochumer Musikers Tommy Finke säuseln daher, und schaffen eine fast märchenhafte Stimmung. Hach, ist es nicht schön, wenn sich der 12-jährige die Faust aufschneidet, um eine Ausrede zu haben, aus der Pauke zu verschwinden? Ist es nicht malerisch, wenn Julians Vater (stark: Charlie Hübner) bei der Arbeit unter Tage vom Kohlestaub so pechschwarz gefärbt wird, dass die von ihm verkleckerte Milch einen derben Kontrast zu seiner Haut darstellt? Mensch, das war noch ein Beruf ..!

Verstärkt wird der nostalgisch-schwelgerische Anschein dadurch, dass Winkelmann und sein Kameramann David Slama freimütig mit dem Bild spielen. Kräftige oder entsättigte Farben – oder doch sauberes, kontrastreiches Schwarzweiß? Breites Bild oder das beengende, einst alltägliche Academy-Ratio? Einem rein rationalen Schema folgen die Formatwechsel nicht, anders als etwa in Wes Andersons Grand Budapest Hotel, in dem das Bildformat die unterschiedlichen Erzählebenen trennt. Die Wechsel von breit zu eng, von farbig zu schwarzweiß sind fließend, ungeordnet, folgen einer träumerischen, aus dem Bauch heraus kommenden Logik. Das mag eingangs leicht verwirrend sein, verdichtet jedoch die kindliche, von früher schwelgende Stimmung, die Winkelmann durchweg so berückend erzeugt. Durch eben diese erhebt er Junges Licht zu einem Meisterwerk der dramatischen Ironie empor. Denn wenn in diesem verspielt-unaufgeregten Sommerferienabenteuer des Bergarbeitersohns zwischen den Zeilen eine Ehe an angeblichen Nichtigkeiten zerrüttet, eine Pubertierende (toll: Greta Sophie Schmidt) Erwachsene anbaggert oder nonchalant mit Kriegstaten geprahlt wird, dann kann einem schon die süßlich-unbescholtene Inszenierung im Halse stecken bleiben.

Fazit: Eine kritische Abrechnung mit dem Deutschland der frühen 60er-Jahre, verkleidet als verklärte Kindheitserinnerung: Junges Licht ist ebenso wunderschön wie betrüblich.


The Beatles: Eight Days a Week - The Touring Years

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Der Kernkatalog der Beatles umfasst zwölf Studioalben - einige von ihnen gehören zu den unter Musikhistorikern am meisten gefeierten Platten der Pop- und Rockwelt. Doch ein nicht unerheblicher Teil des Pilzkopf-Phänomens fußt nicht auf den Studiokompositionen der vier Briten, sondern darauf, wie sie von 1963 bis 1966 mit ihren Liveauftritten die ganze (Teenager-)Welt in Ekstase versetzt haben. Apollo 13-Regisseur und Beatles-Fan Ron Howard widmet sich eben dieser Periode der aktiven Schaffenszeit des Liverpooler Quartetts - jenen Jahren, in denen die Beatlesmania zum Schneiden dick war, die prägendsten Kompositionen der einflussreichen Band allerdings noch auf sich warten ließen.

Vor allem ist The Beatles: Eight Days a Week - The Touring Years ein Film von einem Fan mit Fans für Fans: Howard rafft die Tourjahre der Beatles in etwas mehr als 100 Minuten zusammen (eine spezielle Kinofassung lässt darauf einen 30-minütigen Konzertmitschnitt folgen) und setzt diesen impressionsartigen Überblick aus diversen Quellen zusammen. Er nutzt mehrere Konzert- und TV-Liveauftritte der Beatles, um ihren damaligen Sound zu repräsentieren. Teils erstmals veröffentlichtes Archivmaterial zeigt, was sich hinter den Kulissen der Beatles-Tourneen abspielte, außerdem werden neue Interviews mit Paul McCartney und Ringo Starr sowie prominenten Fans und Wegbegleitern gezeigt.

All dies erfolgt in einem verneigenden Tonfall, jedoch vermag es Ron Howard, dieses Material so zusammenzustellen, dass sich auch Interessenten mit überschaubarer Beatles-Begeisterung der Hype der Tourjahre neu erschließt. Der Regisseur zeigt auf, dass die Beatles mit der richtigen Attitüde und dem richtigen Sound zur richtigen Zeit fürs richtige Zielpublikum rauskamen: Die Babyboomer kamen in die Pubertät und brauchten eine neue Musikrichtung, die von einer eingespielten, scherzenden Truppe rübergebracht wurde, die zu ihrer Altersklasse zählt. Wer zur Beatlesmania-Zeit noch nicht gelebt hat, bekommt von Howard in dieser Kreuzung aus Konzertfilm und Dokumentation obendrein durch zahlreiche zeitgenössische Aufnahmen vorgeführt, wie intensiv der Trubel um die Britrocker war. Die Bewegtbilder durchdrehender Teenies uns kilometerlanger Warteschlangen machen wenigstens ansatzweise erlebbar, was sich 1963 bis 1966 abgespielt haben muss.

Während Howard den Aufstieg der Beatles etappenweise nachzeichnet, geht er etwas scheuer damit um, zu erklären, weshalb die Band beschlossen hat, das Touren aufzugeben: Im letzten Drittel der Doku häufen sich die mit einem Lachen nacherzählten Anekdoten, wie anstrengend der proppevoller Tourneeplan war, wie sehr das Musikmachen in den Hintergrund geriet und dass damalige Konzertsäle und Stadien eigentlich gar nicht soundtechnisch für den Andrang eines Beatles-Konzerts ausgelegt waren. Und dann, zack: Okay, das war ein Nervfaktor zu viel, die Beatles werden zur Studioband.

Natürlich ist angesichts der Stimmung von The Beatles: Eight Days a Week - The Touring Years keine kritische Auseinandersetzung zu erwarten - oder eine Informationsbombe von einem Film. Doch selbst der amüsierte, begeisterte Weg, den Howard einschlägt, würde weitere Vertreter dieser rückblickend launigen Negativanekdoten vertragen, zumal im Mittelteil diese Doku doch was eintönig wird: Die Beatles werden vom Massenphänomen zu einem noch größeren Massenphänomen zu einem noch etwas größeren Massenphänomen. An dieser Stelle etwas weniger kleinteilig vorzugehen, um am Ende etwas stärker auf die Risse in der Tourneehypefassade einzugehen, hätte also keinesfalls geschadet, sondern die Doku nur etwas abwechslungsreicher, somit pfiffiger dastehen lassen.

Trotzdem: 815 Konzerte in 15 Ländern, kondensiert auf wenige, sehr interessante Filmstunden inklusive diverser Ohrwürmer: The Beatles: Eight Days a Week - The Touring Years ist ein liebevolles Fangeschenk, das auch Musikfreunde abseits der Kernzielgruppe zu unterhalten weiß.

Monsieur Chocolat

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Man kann Monsieur Chocolat simpel zusammenfassen: Es ist ein biografisches Drama über den ersten schwarzen Zirkusclown in Europa. Eine treffendere, genauer hinschauende Zusammenfassung würde aber lauten: „Rafael Padilla und der trügerische Schein der gesellschaftlichen Progression“. Denn das auf historischen Begebenheiten beruhende, französische Filmdrama zeichnet eine vermeintliche Erfolgsgeschichte, die sich wegen der zermürbenden Wirklichkeit zur Tragödie wandelt.

Frankreich auf der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert: Der einst gefeierte Clown George Footit (James Thiérrée) ist auf der Suche nach einem neuen Engagement – und nach dem Ansatz für eine neue Nummer, die ihn wieder erstrahlen lässt. Eines Abends begegnet Footit in einem kleinen Wanderzirkus einem geborenen Performer, der jedoch in der Rolle des ungezähmten, gefährlichen Kannibalenkönigs verschenkt wird. Footit tritt nach der Vorstellung auf ihn zu und erfährt, dass es sich bei ihm um einen geflohenen Sklaven (Omar Sy) handelt. Footit schlägt vor, dass sie als Clown-Duo die Zirkuswelt revolutionieren. Footit spielt die typische Rolle des gescheiten, etwas verärgerten weißen Clowns. Und aus dem ehemaligen Sklaven wird kurzerhand Chocolat, der erste schwarze Darsteller der archetypischen Clownsfigur des „Dummen August“.

Das ungewöhnliche Gespann sorgt für Aufsehen und wird sogar in den womöglich angesehensten Zirkus Frankreichs geladen, wo es sich alsbald zur Star-Attraktion entwickelt. Doch so viele Lacher sie in der Manege auch einsacken mögen: Hinter den Kulissen haben sich Footit und „Chocolat“ nur wenig zu sagen. Aus den befreundeten Kollegen ihrer Anfangstage werden zwei Menschen, die halt eine arbeitstechnische Zweckgemeinschaft eingehen. „Chocolat“ entscheidet sich für ein Leben in Saus und Braus, während Footit grantig daneben steht und ihn dafür beneidet, dass ihm ein Hauch mehr Aufmerksamkeit zuteil wird …

Eben diese Aufmerksamkeit kommt jedoch zu einem großen Preis. Denn alles, was „Chocolat“ vorgaukelt, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, kommt mit einer bitteren Kehrseite. Immer wieder lassen die Dialogwechsel und (die historischen Fakten teils vereinfachenden oder überspitzenden) Entwicklungen des Geschehens das Lächeln über „Chocolats“ Aufstieg entschwinden. Das für das Skript zuständige Autorenquartett führt wiederholt vor, dass die Fortschritte des Clown-Darstellers praktisch unbedeutend sind: Vom Kannibalenkönig zum Dummen August, denn der Gedanke, dass ein Schwarzer vielleicht die „ernstere“ Clownsrolle übernimmt, der ist ja unmöglich. Das Duo bekommt Werbeverträge, womit „Chocolat“ gewissermaßen zum ersten schwarzen Superstar Europas wird – wenngleich er nur als Lachfigur Wertschätzung erhält. Footit nimmt ihm seinen aggressiven Namen aus seinem ersten Zirkus weg – um ihn Chocolat zu taufen, als wäre das eine nennenswerte Besserung.

Dass „Chocolat“ eigentlich Rafael Padilla heißt, will in dieser von Roschdy Zem routiniert inszenierten Geschichte kaum jemand wissen. Die wenigsten Figuren fragen den von Omar Sy mit Feingespür und Melancholie gespielten Komiker, was er sich wünscht. Doch während über Padilla kaum jemand seiner Zeitgenossen etwa erfahren will, bleibt in diesem Film sein Bühnenpartner außen vor: Zwar wird es thematisiert, dass Footit unglücklich ist und keinen nennenswerten Lebensinhalt hat, erörtert wird dies – abgesehen von einer flüchtigen Andeutung unterdrückter Homosexualität – indes nicht. Somit sind die Szenen, die sich näher mit Footit beschäftigen, dabei aber störrisch an der Oberfläche bleiben, narrativer Ballast. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Padilla rund charakterisiert wird: Sy spielt nicht etwa nur die bloße Opferrolle, sondern darf auch selbstzerstörerische Tendenzen seiner Figur zeigen.

Umso bedauerlicher, dass der wegen der Rückständigkeit der Gesellschaft unvermeidbare, tiefe Fall, der erfolgt, sobald sich Padilla den nötigen Respekt verschaffen will, von Regisseur/Autor Zem und seinen Ko-Autoren praktisch übersprungen wird. Während Monsieur Chocolat vor allem zu Beginn viel Laufzeit auf die schlichten, fast schon aggressiv-dummen Clownsnummern jener Zeit aufwendet, hetzt das Drama nach Chocolats großer Stunde zum Ende hin. Der Weg vom Höhe- zum absoluten Tiefpunkt wird ausgelassen und das Publikum schlicht mit dem Resultat konfrontiert. Das hat zwar den leider auch heutzutage noch immer nötigen „Der Gesellschaft aufzeigen, wie intolerant sie ist“-Effekt, beraubt der Titelfigur aber ein gutes Stück des ihr gebührenden Mitleids. Denn zum Schluss bleiben eher Fragen des „Und wie konnte das nun passieren?“ über – anstelle der wichtigeren Frage: „Wo sind Fehler geschehen, aus denen wir lernen können?“

Fazit:Monsieur Chocolat ist eine stark gespielte, traurige wahre Geschichte, die leider anfangs zu detailliert und gen Ende zu rasch erzählt wird. Trotzdem schrammt das Drama dank Omar Sys Performance und des hier dargelegten, zweischneidigen Aufstiegs einer historischen Persönlichkeit eher daran vorbei, ein Top zu sein, als daran, ein Flop zu sein.

Ein deutscher Folterhorror

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Ein abgewrackter Zeitgenosse mit schiefen Zähnen und ohne jegliches Vermögen, sich in einen ihm ungewohnten sozialen Rahmen einzugliedern, hängt sich an die Fersen einer ihm nahestehenden Karriereperson. Mit schlechten Witzen und polterndem Verhalten blamiert der ungepflegte Mister Krummzahn sein Gegenüber bis auf die Knochen – doch am Ende dieses Kinofilms lernen wir die Lektion: Wenn du gaga bist und unfähig, dich dir fremden Gefügen anzupassen, dann lass dich nicht beirren. Die, die dich nicht mit offenen Armen empfangen, die sind unsensibel! Insbesondere, wenn du ein einfacher Typ aus der Mitte des Volkes bist und deine Gegenüber aus einer finanzstarken Geschäftswelt stammen.

Die Rede ist von Cars 2, dem meines Empfindens nach schlechtesten Pixar-Film in der bisherigen Geschichte der kalifornischen Animationsschmiede. Die Lektion, dass der lärmende Bauerntölpel Hook (ein verrostender Abschleppwagen), der keine Rücksicht auf die Wünsche seines Freundes Lightning McQueen (ein erfolgreicher Rennwagen) zu nehmen gewillt ist, letztlich im Recht liegt und ein Vorbild darstellt, lässt mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Doch die obige Beschreibung trifft nicht bloß auf den albernen Animationsfilm zu, der sich obendrein auch als Agentenfilmperiflage verdingt, sondern auch auf den deutschen Kritikerliebling des Jahres 2016: Maren Ades Toni Erdmann.

Diese Dramödie ist im Grunde genommen nichts weiteres als eine fast dreistündige Spielvariante dessen, was in Cars 2 passiert, wenn nicht gerade Agentenfilme aufs Korn genommen werden – bereichert durch ein bisschen Nacktheit: Der pensionierte Musiklehrer Winfried Conradi (Peter Simonischek) folgt seiner geschäftstüchtigen Tochter Ines (Sandra Hüller) nach Bukarest, wo sie einen wichtigen Businessauftrag abwickeln will. Winfried, der glaubt, dass Ines zu wenig Spaß im Leben hat, heftet sich an die Fersen der emsigen Unternehmensberaterin, und erstickt sie in einer Welle aus schalen Witzlein. Zumeist schiebt er sich dabei ein krummes Gebiss in den Mund und bringt jegliches Gespräch zum Entgleisen. Am Ende des Films lässt sich Ines von der Albernheit ihres Vaters und dessen Alter Ego Toni Erdmann anstecken.

Der international gefeierte Programmkinohit Toni Erdmann erinnert mich allerdings nicht bloß an John Lasseters mit einer verkorksten Moral versehene Digitaltrickkomödie, sondern auch an einen gänzlich anderen Film: Den berühmt-berüchtigten A Serbian Film. Genauer gesagt: Für mich ist Toni Erdmann die Antithese zu Srdjan Spasojevićs Skandalwerk. Während A Serbian Film gemeinhin als reines Werk der Provokation, als sinnloser Folterhorror rezipiert wird, er sich jedoch sehr wohl als kritische, schwarzhumorige sowie mutige Auseinandersetzung mit seinem Heimatland betrachten lässt, so versteht die überwältigende Mehrheit des Publikums Maren Ades erschöpfenden Cannes-Beitrag als aussagekräftige Dramödie. Für mich hingegen ist er die reinste Folter. Bitte, zündet mich nicht an, reibt mir keinen Käse ins Haar, sondern lasst mich erklären …

Wider dem Erdmann
Toni Erdmann eröffnet damit, wie Winfried einem Paketlieferanten einen Scherz spielt – und schon in dieser Szene entwickle ich eine Antipathie für den von Theaterveteran Simonischek verkörperten Unruhestifter. Dass ich seinen Streich verflucht unlustig finde, laste ich in diesen frühen Momenten dem Film aber noch nicht an: Ade verfolgt einen pseudodokumentarischen Ansatz, inszeniert die Sequenz, als wäre Kameramann Patrick Orth ein unbeteiligter Zuschauer. Weder inszenatorisch noch narrativ suggeriert Ade eingangs, welche Position zu Winfrieds Albernheiten zu beziehen ist. Diesem filmischen Realismus geht Ade jedoch nur halbherzig nach, und mit der pseudo-authentischen Darstellung der folgenden über 160 Minuten geht auch eine parteiische Erzählweise einher: Ines wird später als dauertelefonierende, ihrem Vater gegenüber kurz angebundene Arbeitswütige eingeführt, die sich aus dem Bildhintergrund in die Nähe Winfrieds verirrt.

Während Winfried durch den Verlust seines geliebten Hundes, den Ade in einer der wenigen einfühlsam-wortlosen Szenen abwickelt, ein halbseidenes Motiv für sein weiteres Handeln erhält, bekommt Ines trotz der langen Filmlaufzeit keinen entschuldigenden Hintergrund verpasst, der ihr ablehnendes Verhalten auch jenseits seiner Scherzkeksanflüge erläutert. Wenn Ines sich bei Bekannten zurecht auskotzt, dass sie von ihrem Vater humorterrorisiert wird, nur weil sich ihr Vater wegen des Todes seines Hundes in die Hosen macht, wird sie sofort dadurch bestraft, dass dieser das mitbekommt – und auch wenn Ade die pseudodokumentarische Bildsprache beibehält, so fokussiert sie klar stärker die Reaktionen auf Windrieds triumphale Retourkutsche. Und in den sogleich zwei Versöhnungsszenen im letzten Akt behält ebenfalls die Perspektive des Vaters die Oberhand – der oberflächlichen Neutralität zum Trotz untermauert Ade also deutlich stärker die missratene Seniorenulknudel als Protagonisten, von dem es zu lernen gilt.

Diese Inkonsequenz, mit der Ade Toni Erdmann aufzieht, finde ich bedauerlich. Es ist ein auf mich halbseiden wirkender Beinaherealismus: Ja, es wird mit Handkamera gearbeitet und es fehlt das Omnipräsente in der Bildsprache. Sie ist immer nah an den beiden Hauptfiguren, so als würden zwei Dokumentarteams sie verfolgen, und es gibt praktisch keine Eröffnungseinstellungen oder Totalen. Gleichwohl scheut Ade davor zurück, die Kamera wirklich mitten in der Szene zu platzieren: Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, in denen Objekte das Blickfeld einschränken (der intime Augenblick, in dem Winfried seinen Hund betrauert, gehört dazu), ist die Bildeinteilung sehr klar und aufgeräumt, sie fokussiert die Darsteller – wodurch das Wirklichkeitsgefühl gehemmt wird und sich eher die Stimmung aufbaut, ein kaum instruiertes Kamerateam sei beauftragt worden, ein halb-improvisiertes Schauspielevent einzufangen, mit dem irgendein irrer Geschäftsmann seine Belegschaft auf mehreren Firmenpartys belustigen will. Verstärkt wird dieses 'Weder-realistisch-noch-stilisiert'-Gefühl dadurch, dass ein Großteil der Dialogpassagen durch einen sauberen Schuss-Gegenschuss-Schnitt strukturiert wird: Simonischek darf seinen Part sagen, Sandra Hüller darf antworten, Simonischek darf von seiner Filmtochter enttäuscht dreinblicken und gegebenenfalls mit einer weiteren Unfugsaktion kontern – manchmal grinsen im Bildrand die Kollegen der frustrierten Ines.

Eine das unbequeme Chaos dieser Aufeinandertreffen bestärkende bildästhetische Unübersichtlichkeit bleibt aus – womit Ade es erschwert, wenigstens zwischendurch völlig in Ines‘ Blickwinkel einzutauchen, die vom unangemeldeten Eintreffen ihres Vaters aus dem Konzept gebracht wird und darum bangen muss, die schwierige Businesssituation irgendwie noch zu meistern. Es ist eine sehr vorsichtige, gar bequeme inszenatorische Wahl: Als Übersicht bewahrender Möchtegernbeobachter kann das Publikum aus sicherer perspektivischer Distanz Winfrieds respektive Tonis Späße verfolgen und leicht augenrollend kichern. Hach, was lässt sich dieser Mann nur alles einfallen! Warum lacht die Tochter denn nicht mit? Spießerin!

Dadurch lässt Toni Erdmann Ambivalenz missen: Der humorvolle Vater, der weiß, dass es im Leben mehr gibt als nur Arbeit, seinen Lebensinhalt verliert und daher die Beziehung zu seiner kühlen Tochter flicken will gegen die arbeitswütige Kapitalistin, die eine Ölfirma beraten soll, wie sehr sich Outsourcing (böses Schlagwort!) lohnt. In meinem Fall kommt erschwerend hinzu: Ich stehe durchweg konträr zu der Botschaft, von der ich das Gefühl habe, dass Ade sie mir nahezu drei Stunden lang eintrichtern will. Ich finde Winfried nicht lustig und auch, wenn Ines auf dem Papier ein Workaholic ist und Rettung benötigt, so sehe ich die Umsetzung und denke: Ines ist eine aufgeweckte, je nach Situation unsichere (wann immer ihr Vater sie überrumpelt) oder schlagfertige Frau (etwa, wenn sie mit ironischem Lippenzucken einem Chauvi-Kollegen antwortet: „Wenn ich Feministin wäre, würde ich nicht mit so einem wie dir zusammenarbeiten!“). Sie hat allem Arbeitsstress zum Trotz noch ein Sexualleben (auch wenn sie vom Psychoterror ihres Vaters zu geschlaucht ist, um die Affäre mit einem Mitarbeiter ganz konventionell fortzuführen). Ines scheint obendrein ihren Job zu lieben – selbst alberne Aufgaben wie „Der Frau eines wichtigen Geschäftskontakts Shoppingtipps geben“ begrüßt sie mit weniger Augenrollen als ihren Vater.

Der Film setzt schlichtweg an, als sie gerade einen extrem wichtigen Auftrag abwickeln will – wenn mir dann stundenlang gesagt wird, sie müsse mit Käsereibensprüchen, Demütigungen durch ihren sie als Sekretärin abstempelnden Vater sowie schiefen Zähnen ins Leben zurückgeholt werden, dann feuere ich Winfried nicht an und verzeihe ihm so manches Missgeschick. Stattdessen leide ich unter jedem einzelnen seiner abgedroschenen Witzlein, stöhne ob seiner notorischen Lügen und frage mich: Wieso holt Ines nicht einfach die Polizei, die Jungs mit der Zwangsjacke oder einen Exorzisten, um diesen abgeranzten Rostabschleppwagen in Menschengestalt loszuwerden?

Ist der Film nicht das Gegenteil dessen, was der Konsens besagt?
Häufig kann ich Lobeshymnen auch nachvollziehen, wenn ich sie nicht teile. Ich finde etwa Fast & Furious 7 einen durchwachsenen Actionfilm, weil sich die Figuren für meinen Geschmack zu sehr vom Glücksfaktor abhängig machen. Dennoch kann ich verstehen, wenn jemand die spektakuläre Action lobt. Unter den jüngeren Terence-Malick-Filmen ist Knight of Cups für mich der schwächste, da zu ziellos in seinen Inhalten, doch aufgrund der Bildästhetik und geschliffenen Off-Kommentare glaube ich jedem, der sagt, dass er von ihm abgeholt wurde. Toni Erdmann indes ist zwar kein Film, bei dem ich behaupten würde, dass ihn niemand mögen kann oder dass es ein schlechter Film sei, auf den alle aus einer Laune reinfallen. Trotzdem stehe ich ratlos da, wenn ich die Intensität der lauten, begeisterten Rezeption dieses Films bei zahlendem Publikum und der schreibenden Zunft betrachte.

Ich habe Berge von Kritiken durchforstet, um mir die Faszination Toni Erdmann zu erklären. Allerdings scheint die überlange Dramödie auf die überwältigende Mehrheit ihres Publikums einen unerklärlichen Reiz auszuüben – denn fast alle Kritiken, die mir untergekommen sind, bestehen fast ausschließlich aus Lob. Eine Herleitung, weshalb dieser innige Applaus erfolgt, ist schwer zu finden. Was nun keine Degradierung des Toni Erdmann-Erfolges sein soll, manchmal ist es schwer, zu erklären, weshalb man etwas mag. Nur hilft mir dies in meiner Suche nach Ansätzen, wo die Begeisterung herrührt, nicht weiter.

Wenn es mal nicht heißt, dass alles so toll sei weil es so lustig und dramatisch ist, sondern auch weitergehende Argumente gegeben werden, dann fällt zumeist ein Stichsatz: Toni Erdmann ist gut, weil er anders ist. Es sei endlich mal ein deutscher Film, der ganz und gar undeutsch sei. Das sehe ich allerdings nicht so. Für mich ist der Film nicht undeutsch, er ist für mich sogar ganz und gar urdeutsch – was ich an dieser Stelle nicht einmal geringschätzig meine, bloß um den Film fertig zu machen. Diese Feststellung markiert durchaus ein dickes Fragezeichen hinter die Begründungen für den Hype, ist vielleicht auch ein Signal, dass ich ihn überbewertet finde. Dem Film gegenüber ist es derweil neutral gemeint.

Sicherlich: Toni Erdmann verzichtet auf einzelne Elemente, die in den jüngeren deutschen Komödienerfolgen präsent waren. Er hat weder das hohe Tempo eines Bully- oder Bora-Dagtekin-Films, noch die Aufbackbrötchenwerbespot-Ästhetik und die Popsongs eines Schweiger- oder Schweighöfer-Films. Der Humor Winfrieds, der lange Strecken des Films dominiert, ist hingegen einem Leitfaden für deutsche Stereotype entflohen. Wir Deutsche gelten als unlustig, Meister des schlechten Timings und Fans eines extrem simplen Humors. Und an welchen Stellen wurde in meiner Kinovorführung am meisten gelacht? Winfried blamiert seine Tochter auf einem wichtigen Termin. Winfried schiebt sich krumme Zähne ins Gesicht. Winfried setzt sich auf ein Pupskissen. Haha, der sieht aber lustig aus. Hihi, nun angekettet zu sein ist aber unpraktisch! Hoho, „Miss Schnuk“ ist aber ein alberner Fakename für die eigene Tochter. Hinzu kommen weitere staubige Klischees über uns Deutsche: Eine schlichte, schwarzweiße Weltsicht (entweder blödelst du ununterbrochen rum und verstehst Spaß, oder du bist ein lebloses Arbeitstier), ein kleinbürgerlich-abfälliges Bild von der großen Businesswelt sowie lapidarer Alltagsrassismus (eine Randfigur bezeichnet Chinesen als Leute, die schnell besoffen sind, Winfried spricht von Harry-Belafonte-Liedern als Negermusik). Fehlen nur noch Lederhosen und eine penetrante Liebe zum Fußball – Brezeln kommen in Toni Erdmann praktischerweise schon vor. Sollte ich jemandem, der nicht aus Westeuropa stammt, erklären, wie wir Deutschen ticken – ich würde ihm Toni Erdmann zeigen.

Die Stellen, die ich fein beobachtet finde und die mich leise zum Schmunzeln gebracht haben, die gingen im Kino derweil baden. Etwa die mit präzisem Timing ablaufende Stelle, in der Ines vor Beginn ihrer Geburtstagsfeier beschließt, ihr Kleid zu wechseln – und dabei von der Türklingel unterbrochen wird, woraufhin sie wortlos, aber spürbar, damit hadert, was nun schneller ginge: Weiter ausziehen, um in ein neues Kleid zu schlüpfen, oder das halb ausgezogene Kleid wieder anziehen? Hüller stellt hier einen sehr naturalistischen Slapstick zur Schau – der zumindest für mein Kinopublikum wohl zu feingliedrig war. Und, um hier leicht zu polemisieren zu wollen, aus dieser Passage sowie den Reaktionen auf ähnlich gelagerte Szenen ziehe ich meine These: Wenn ich Toni Erdmann, so wie ich ihn erlebt habe, einordnen müsste, so wäre dies konträr zum generellen Konsens. Es ist kein undeutscher, dramatisch-urkomischer Film über eine Vater-Tochter-Beziehung. Sondern eine Kapsel urdeutscher, schlimmer Eigenschaften, die Ade treffgenau einfängt. Bloß, dass sie für meinen Begriff zu wenig aus diesen Feststellungen macht.
Ein kleines Assoziationsspiel
Aufgrund der obig geschilderten Pro-Winfried-Haltung und des trockenen Pseudorealismus, der einen die Narrative kommentierenden roten Faden für eine beobachtende Experimentaltheaterstimmung opfert, ist Toni Erdmann für mich kein klug konstruiertes Spiegelbild Deutschlands – sondern eine Alltagsbeobachtung, die mir annähernd drei Stunden lang zuflüstert, ich solle doch mal was mehr lachen. Und da der vorgeführte Humor schlicht nicht meiner ist, es mir zugleich nicht möglich scheint, mich auf eine Metaebene zu flüchten („Ist es nicht lustig, wie unlustig Winfried ist?“), habe ich nur wenige Rettungsinseln in Toni Erdmann.

Da wäre Sandra Hüllers facettenreiches Spiel, das von überarbeitet, doch engagiert, zu völlig matt reicht. Mit einem verfinsternden Blick kann sie, ohne dabei den gestischen Holzhammer auszupacken, vermitteln, dass durch den zuvor getätigten Spruch ihres Vaters nun Ines‘ Haltung von „Das ist nicht lustig!“ zu „Ich töte dich gleich!“ schwankt. Wenn ihre Affäre mit einem Arbeitskollegen auf Basis ihrer ausgelaugten Energiereserven zu einem kleinen, abgeschmackten Sexspielchen ohne Penetration wird, macht Hüller die gedanklichen Schritte Ines‘ durch das Verziehen eines Mundwinkels deutlich. Überhaupt funktioniert der Film für mich, so lange er sich nur um Ines dreht und ein 'Slice of Life'-Satiredrama über die heutige Geschäftswelt ist, in der die protzige Firmenparty ebenso wichtig ist wie das strunzlangweilige Meeting. Winfried crasht in diesen weniger originellen, doch für mich funktionierenden Film, wie Hook aus der durchwachsenen Agentenkomödie Cars 2 einen Problemfilm darüber macht, dass der lauteste, irrsinnigste Typ im Raum immer Recht hat.

Des Weiteren finde ich die Nacktparty gegen Schluss zumindest humorvoll in Szene gesetzt – die innere Struktur der Sequenz stimmt, nur passt sie für mich nicht zum Vorlauf, da ich es Ines nach den ersten zwei Filmstunden weiterhin nicht abkaufe, nun so auf Konventionen zu pfeifen. Als alleinstehender Sketch hingegen ist die Sequenz für mich gelungen, ebenso wie der einzige Moment, in dem Winfried mal Repressionen zu spüren bekommt und wegen eines dummen Spruchs aus seinem Munde ein Ölfabrikarbeiter gefeuert wird – ein Brotkrumen von Ambivalenz in einem beinahedokumentarisch inszenierten Lobgesang auf einfallslosen Stehgreifhumor, der mich an die Decke bringt.

Entsprechend qualvoll empfand ich weite Strecken von Toni Erdmann. Unentwegt wünschte ich mir, dass der uneingeladen bei Ines reinplatzende Vater wieder verschwindet und seine Tochter in Frieden lässt. Und da kommt das zweite Proargument für den Film ins Spiel, das ich ausgraben konnte: In vielen Rezensionen ist davon die Rede, dass sich die Verfasserin/der Verfasser wiedererkannt hat. Das Widerspiegeln scheint ein großer Reizpunkt dieses Arthouse-Kassenschlagers zu sein, und ich könnte mir glatt vorstellen, dass etwa Regisseurin Maren Ade meine Reaktion auf ihren Film nichtmal übelnehmen würde. Wenn er mich aufgrund dessen, was ich in ihm wiedererkenne, wütend werde, hätte sie ihren Job ja richtig gemacht.

Partiell würde ich ihr sogar beipflichten. Ade will in ihrem Film zweifelsfrei Reizpunkte treffen – die Vater-Tochter-Beziehung in ihrem Film ist, ebenso wie Ines‘ Arbeitsumfeld, in einer Grauzone zwischen spezifisch und allgemein verankert. Wiederkehrende Referenzpunkte wie Winfrieds geliebte Käsereibe sind sehr speziell, lassen diese Figuren besonders erscheinen, dadurch, dass die Unterfütterung solcher herausstechender Merkmale ausbleibt, kann jedoch jeder im Publikum diese Aspekte beliebig und frei nach eigener Erfahrung umdeuten. Ähnlich, wie Ines‘ Beruf zwar als Unternehmensberaterin konkretisiert wird, wir sie aber selten bei der Ausübung sehen, sondern zumeist auf Allgemeinplätzen (nerviger Chef, es gibt viel zu tun, Gerede am Arbeitsplatz, …) verharren. Die Nerven, die Ade somit gewollt bei mir attackiert, führen bei mir halt auf einen Menschenschlag zurück, der mir genauso während Cars 2 in den Sinn kommt: Leute, die störrisch jederzeit nur ein Ich ausleben, statt es zu vermögen, sich treu zu bleiben, während sie sich einem gesellschaftlichem, situationsbedingten Frame unterzuordnen. Ob Hook oder Winfried: Sie repräsentieren einen stets gleichbleibenden, ungepflegten, auffälligen, simplen Kerl, der keine Gesprächsthemen mitbringt, sondern mit seinem Wesen alles übertönt – und der sich nicht an eine besondere gesellschaftliche Situation anpassen würde, selbst wenn sein Leben davon abhinge.

Da Toni Erdmann als Assoziationsfilm für mich hauptsächlich daraus besteht, mir weißzumachen, wir alle sollten ein bisschen mehr wie diese Leute sein, kommen wir auch zurück zu A Serbian Film. Beide Filme provozieren. Doch A Serbian Film ist eine makabere, bitterböse Provokation, die auf den maroden Stand einer Gesellschaft zeigt und ihn mittels perverse Überhöhung auf seine profundesten Schwachstellen untersucht – was in rabenschwarzen Humor und fiese Dramatik mündet. A Serbian Film hat ein Folterfilm-Gewand und einen Beobachtungen kommentierenden Kern. Toni Erdmann hat das Erscheinungsbild einer authentischen Bestandsaufnahme und scheint bei vielen dringende Reaktionen zu wecken. Ich derweil finde für mich keine komplexen Aussagen, keine unerwarteten Feststellungen, keine Lösungsansätze. Ich sehe nur, wie mir über 160 Minuten lang die grässlichsten Verhaltensweisen den Schlund runtergedrückt werden, man verfrachtet mich in eine auf mich zugeschnittene Hölle. Toni Erdmann ist, so wie er für mich funktioniert, der wahre Folterhorror – und ein zugegebenermaßen äußerst effektiver.

Bloß eines, das will ich Ade trotz dieses skurrilen Kompliments nicht lassen. Genauso wenig wie all den Toni Erdmann-Anhängern, die nun womöglich aufschreien, der Film hätte mir vorgeführt, ich sei vielleicht zu verbiestert, zu engstirnig oder hätte eine traumatisch verwurzelte Phobie vor ungepflegten, älteren Herren mit schiefen Zähnen, die doch nur lustig sein wollen: Ihr müsst mir nicht einreden, ich bräuchte einen Hook oder Toni Erdmann in meinem Leben, der mein Lachen wieder zu Tage fördert. Ich bin wahrlich kein Spießer, Langeweiler oder Arbeitstier. Ich kann sehr wohl rumblödeln, Unsinn verzapfen und eine trocken gewordene Situation wieder ins Spritzige verkehren. Aber ich kenne Variationsgrade.

In der Weltsicht von Toni Erdmann (oder der Weltsicht, die dieser filmische Spiegel in meine Richtung reflektiert) ist man entweder spaßbefreit oder rennt auch in den unangebrachtesten Momenten herum wie der letzte Vollpfosten. Meiner Auffassung nach gibt es hingegen Augenblicke, in denen es angebracht ist, albern zu sein, Situationen, die nach Angepasstheit verlangen, und diverse Grauzonen. Etwas, das viele der durchgeknalltesten Leinwandhelden verstehen, etwas, das ich mir selber wenigstens meistens zutraue. Toni Erdmann allerdings weiß es mir nicht zu vermitteln.

Ich bin mir sicher: Die Mehrheit derjenigen, die Ades Kritikerliebling beklatschen und sich auf die Seite der Titelfigur schlagen, indem sie mehr Leben und Unberechenbarkeit verlangen, würden durchdrehen, käme ich Scherze reißend und unangemeldet zu deren Geschäftsmeetings oder würde sie zu einer Nacktparty einladen. Vielleicht sollen wir das auch gar nicht aus dem Film ziehen, ich will nichts beschwören. Aber das, was viele aus ihm ziehen – Rührung und Freude – ziehe ich definitiv nicht aus ihm. Entgegen der Filmhandlung würde ich aber sagen: Leben und leben lassen, liebes Filmdeutschland. Ich werde nicht kostümiert vor euren Türen stehen und euch so lange behelligen, bis ihr mir zustimmt. Das wäre ja wahnsinnig.
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