Als Kinokritiker lebt man nur für eine sehr begrenzte Zeit im luftleeren Raum. Denn wer sich passioniert mit der Filmkunst beschäftigt, kommt nicht umher, ebenso auf die vorherrschende Meinung über bestimmte Werke und Künstler zu blicken. Dies hat eine unumstößliche Auswirkung auf den eigenen Schreibprozess: Wer etwa einen Blog betreibt und einen großen Filmklassiker sieht, wird es sich zweimal überlegen, ob er eine eigene Kritik zu diesem Projekt verfasst, wenn er doch letztlich nur dem generellen Konsens zustimmt. Denn welche filminteressierten Leser werden sich schon um eine Citizen Kane-Kritik reißen, die bloß nur die allgemein bekannten Lobhuldigungen umfasst. Ein neuer Aspekt muss her. Eine abweichende Meinung, eine originelle Interpretation, eine ungewöhnliche Betrachtungsweise, der Versuch, den Film in einen atypischen Kontext zu setzen ...
Bei aktuellen Filmen, bei denen sich der Konsens noch bildet, gestaltet sich dies selbstredend etwas anders. Viele Rezipienten erwarten in diesem Fall eine klare Ansage: Lohnt sich der Kinogang?
Als ich Die Eiskönigin in der Pressevorführung sah, ging ich ohne jegliches Wissen hinein, wie diese Disney-Produktion von der Kritik oder dem zahlenden Publikum aufgenommen wird. Er war noch nirgends regulär gestartet und es galt zudem ein Presseembargo. Basierend auf dem, was sich auf der Leinwand abspielte, und meinen zwangsweise entstehenden Überlegungen, über die Gründe, weshalb dieses Märchenmusical mich vollkommen kalt ließ, formierte sich in mir eine feste Überzeugung. Oder eher eine sehr klare Prognose, wie die Rezeptionsgeschichte aussehen wird: Kritiker teilen sich wie bei Merida in zwei Lager auf. Gelegenheitskinogänger sind amüsiert. Und Disney-Fans dürften diesen Film (allgemein betrachtet, Ausnahmen gibt es ja immer) ungeheuerlich frustriert verlassen. Denn Die Eiskönigin hat unfassbares Potential, in eine bestimmte, aufregende stilistische Richtung zu gehen, steuert allerdings gewaltsam in eine komplett andere.
Mit dieser Geisteshaltung im Hinterkopf verfasste ich meine hier im Blog veröffentlichte Kritik. Und ich stehe noch immer zu meinen Beobachtungen. Die Eiskönigin missfiel mir aufgrund der darin geschilderten Elemente und Produktionsentscheidungen. Und je mehr ich mich an die in der Kritik erwähnten Aspekte zurückerinnere, desto wütender werde ich ob dieses Films.
Dann aber zeichnete sich nach und nach ein mir recht fremdes Bild ab: Ich schätzte die Reaktion der Disney-Fangemeinde voll und ganz falsch ein, lag meilenweit daneben. Erste US-Fanstimmen überschlugen sich. Dann gelangten die Zuschauerreaktionen bezüglich der deutschen Vorpremiere ins Netz, zuletzt erschienen dann die US-Profikritiken. Genereller Konsens: Eines der besten Werke der Disney-Geschichte. Mit Abstand.
Ich bin wahrlich niemand, der einknickt, weil seine Meinung unpopulär ist. Ich werde Lone Ranger trotz desaströsem US-Kritikerkonsens bei jeder Gelegenheit verteidigen und ebenso wenig jemals James Camerons Titanic vergöttern. Gleichwohl war mir bewusst, dass es sich angesichts dieses Die Eiskönigin umgebenen Klimas anbietet, an anderer Stelle eine neue Besprechung dieses Films zu veröffentlichen. Generell schreibe ich für meinen Blog und für Quotenmeter.de zwei eigenständige Texte (wenn ich denn zwei Artikel zum gleichen Film veröffentliche), allerdings unterscheiden sie sich generell eher durch Tonfall und Zielpublikum voneinander.
Zwischen meiner Blogkritik und dem Veröffentlichungstermin meiner Kinokritik zu Die Eiskönigin dagegen kam es zu einem gewaltigen Wechsel der Wahrnehmung, die Disneys 53. abendüllenden Animationsfilm in filminteressierten Kreisen zuteil kam. Selbstredend macht dies meine ursprüngliche Kritik nicht obsolet. Keinesfalls! Dessen ungeachtet ergab sich nun, nach der Entstehung eines Konsens rund um den Film, die Möglichkeit, meine Kritikpunkte vor einem neuen Hintergrund zu erläutern. Gleichzeitig verschob sich die Erwartungshaltung, die an eine Kritik gestellt werden könnte. Galt es zunächst, zu verraten, wie mir der Film gefiel und zu erläutern, worauf sich meine Empfindungen beruhen, sieht sich nun ein Verriss des laut vorherrschender Meinung besten Disney-Films der letzten zehn bis zwanzig Jahre direkt mit der Frage konfrontiert "Wie kann man nur diesen Film nicht mögen?"
Ich habe versucht, diese sich mir erbietende Gelegenheit zu nutzen und habe daher meine Zweitkritik dieses Animationsfilms im Hinblick auf diese Gesichtspunkte verfasst. Und da ich weiß, dass viele meiner Blogleser bloß dann bei Quotenmeter.de vorbeisurfen, wenn ich hier explizit auf einen Artikel von mir hinweise, möchte ich nun auf das Ergebnis meiner Bemühungen verlinken:
Am kommenden Wochenende schaue ich mir Die Eiskönigin erneut an. Denn anders als bei Cars 2, den ich sofort als hoffnungslosen Film erachtet habe, oder Merida, für mich ein ähnlich frustrierender Film, bloß wegen schwächerer Qualitätsschwankungen von mir mit weniger Passion verfolgt, ist es in diesem Fall so, dass ich in Die Eiskönigin Elemente finde, die ich außerordentlich liebe. Dass diese durch Faktoren an den Rand gedrängt werden, die ich als störend empfand, lassen mich diesen Film derzeit überaus ärgerlich wirken. Und ich kann daher schlicht nicht in den "bester Disney-Film seit X"-Jubel mit einstimmen. Auf persönlicher Ebene muss ich dagegen noch herausfinden, ob bei wiederholtem Sehen die Freude über die Stärken oder eher der Hass auf die Patzer obsiegt. Womit sich abzeichnen würde, ob Die Eiskönigin für mich eher ein Bambi wird (dem ich den großen Respekt der Kritiker eher missgönne) oder ein Schneewittchen und die sieben Zwerge (den ich niemals lieben könnte, dafür aber respektieren).
Weshalb ich es nun noch nicht vorhersehen kann, wo Die Eiskönigin in meinem ganz und gar objektiven Disney-Pantheon landet? Weil ich als Disney-Fan von Produktionen dieses Studios einen höheren Dauerspaßfaktor erwarte als andere Filmliebhaber es möglicherweise tun. Ich erwarte von Disney-Filmen, dass sie für die Ewigkeit gemacht sind. Sowohl filmhistorisch, als auch im Hinblick auf mein ganz eigenes Sehverhalten. Sogar Disney-Meisterwerke, die ich richtig mies finde, schaue ich in recht regelmäßigen Abständen. Und daher gelten da ganz andere Maßstäbe als bei einer einmaligen Beurteilung. Himmel und Huhn ist vielleicht für viele ein wahrer Kulturschock, was ich absolut nachvollziehen kann, aber auf Dauer nervt mich Die Kühe sind los! um ein Vielfaches mehr, während ich beim Hühnchen besser an den wenigen Qualitäten festhalten kann.
In diesem Sinne: Viel Spaß mit euer aller liebsten Disney-Film der neuen Ära. Ehrlich, ich gönne es euch und ich gönne Disney den Erfolg. Lieber wird ein mich frustrierender, aber gutes Potential aufweisender Film populär als ein künstlerischer Totalausfall wie Cars 2.
Ich halte euch derweil auf dem Laufenden, wie wenig mir das Wintermärchen nach der Zweitsichtung noch gefällt.